"Eigenes, gefühltes Daseyn - aus dem Nichts!"
Der Merkmalskomplex des empfindsam Idyllischen in den Erzählwerken Friedrich Heinrich Jacobis

Jacobis Spätfassungen der Erzählwerke Eduard Allwills Briefsammlung (1792) und Woldemar (1796) sind, trotz ausführlicher philosophischer Einschübe, als genuin literarische Schriften zu betrachten. Hinsichtlich literarischer Kriterien wurden diese Werke Jacobis hinsichtlich Bezügen zu Rousseau, vor allem bezüglich Julie Oder Die neue Heloïse (1761), und Goethe, besonders zu Die Leiden des jungen Werther(s) (1774/1787), hin untersucht. Doch obwohl gerade neuere Interpretationsansätze betonen, dass die Spätfassungen der Erzählwerke Jacobis sich deutlich von den genannten Vorbildern differenzieren, steht eine konkrete Herauskristallisierung origineller Akzente noch aus.
Diese Originalität wird mithilfe des Merkmalskomplexes des empfindsamen Idyllischen herausgearbeitet. Das empfindsam Idyllische wird als literarische Mikrogeschichte definiert, die sich phänomenologisch aus Salomon Geßners Idyllen (1756) ableiten lässt und als kontingente Linie in der Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beobachtet werden kann. Geßners Idyllen werden als Gesamtwerk als literarische Konstruktion einer möglichst idealen Daseinsform betrachtet, die aus einer innerfiktional inszenierten Realität heraus imaginiert werden. Die empfindsame Idylle Geßners zeichnet sich durch narratologische, ästhetische und topische Merkmale aus, die zusammen den gattungsübergreifenden Komplex des empfindsam Idyllischen ergeben. Anhand des Merkmalskomplexes des empfindsam Idyllischen wird die Originalität der Spätfassungen der Erzählwerke Jacobis im Vergleich mit Rousseaus Julie und Goethes Werther verdeutlicht, indem das empfindsam Idyllische identifiziert und auf die werkinhärente Rolle und Funktion hinterfragt wird.