Forum for Economic Policy

Anstieg der Weltagrarpreise: Ursachen und Ausblick



Stephan von Cramon-Taubadel, cege report, p. 2, June, 2008


In den vergangenen Monaten sind die Weltmarktpreise für Ölsaaten und Getreide dra­ma­tisch angestiegen. Da es sich bei diesen Feld­früchten um wich­tige Grund­nahrungsmittel han­­delt, sie gleichzeitig aber auch als maß­geblicher Kosten­träger in der Tierproduktion gelten, sind die Nahrungs­mittelpreise ins­ge­samt eben­falls stark ge­klet­tert. Dies hat zu politischen Un­ruhen in vie­len Ent­wick­lungs­ländern ge­führt; die jüngsten Gescheh­nisse in Haiti liefern dafür ein eindrückliches Beispiel.


Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise beruht auf ver­schie­denen Faktoren. Auf der Angebotsseite haben steigende Energiepreise eine Verteuerung der Produk­tion und des Handels zur Folge. Zusätzlich haben in den vergangenen Jahren extreme Wetterbedingungen, v.a. in Haupt­an­bauregionen wie beispielsweise Australien, das Ernte­volumen insgesamt gesenkt. Auf der Nachfrageseite haben wachsende Einkommen in den Schwellenländern – insbesondere China und Indien – zu einem verstärkten Absatz tierischer Verede­lungsprodukte geführt. Weil aber für die Produktion eines Kilos Fleisch bzw. eines Liters Vollmilch mehr als ein Kilo Futter benötigt wird, ist die weltweite Nachfrage nach Getreide und Ölsaaten über-proportional angestiegen. Darüber hinaus wirkt sich die seit einigen Jahren stark steigende Nachfrage nach Biotreibstoffen (Biodiesel aus pflanzlichen Ölen und Bioethanol aus Zucker oder Getreide) entsprechend aus.


Zusammengenommen haben diese Verlagerungen dazu ge-führt, dass der globale Getreideverbrauch die weltweite Produk­tion in 7 der letzten 9 Jahre überstiegen hat. Das daraus resultierende Unterangebot an Getreide hatte einen kontinuierlichen Abbau der internationalen Lagerbestände zur Folge, die sich mit derzeit ca. 15 % des jährlichen weltweiten Konsums mittlerweile auf dem niedrigsten Stand seit den 1970er Jahren befinden. Es verwundert nicht, wenn die Märkte angesichts der zunehmenden Verknappung mit Preisaufschlägen reagieren.


Auch die Volatilität der Preise hat stark zugenommen: Geringe Lagerbestände führen zu sensiblen Reaktionen der Marktteilnehmer auf Wettermeldungen und Ernte­voraus­sagen. Auch die wach­sende Betätigung von Spekulanten auf den Agrarmärkten sowie plötzliche Politikänderungen (z.B. Ausfuhrbeschrän­kun­gen zur Abfederung des inländischen Preisanstiegs in Argentinien, Russland und der Ukraine) wirken sich auf das Preisgefüge aus.


Viele sehen in der jüngsten Entwicklung einen Wende­punkt des historischen Preistrends für Nahrungsmittel. Mehr als ein Jahrhundert lang hat vor allem der starke technische Fortschritt dafür gesorgt, dass das weltweite Angebot an Nahrungsmitteln schneller gewachsen ist als die Nachfrage. Im Ergebnis folgten die Preise einem fallen­den Trend, der von zeitweiligen Ausschlägen (z.B. Kriege, Wirtschaftskrisen) durchbrochen wurde ( siehe Abb. 1).


Viele Experten behaupten nun, dass die aktuelle Hochpreisphase keinen weiteren temporären Ausschlag darstellt, sondern dass eine fundamen­tale Verschiebung des langfristigen Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage vorliegt. In Ergän­zung der zuvor erwähnten Faktoren wie Einkommenszuwachs und Energiepreise wird zusätzlich angeführt, dass Klima­wandel als auch der Rückgang von Anbauflächen und ver­fügbarem Wasser Ertragszuwächse zukünftig be­schränken und zu an­hal­ten­der Knappheit führen werden.


Andere warnen davor, die Anpassungsfähigkeit des Agrarsektors angesichts hoher Preise zu unterschät­zen. Sie weisen auf Produktionspotentiale z.B. in der ehemaligen So­wjetunion hin und stellen heraus, dass fehlgeleitete Bioenergiepolitiken maßgeblich zu den jüng­sten Preisausschlägen beigetragen haben: Ohne die zusätzliche Nachfrage des Bioetha­nolsektors hätte die Weltgetreideproduktion den globalen Konsum in 7 der letzten 9 Jahre übertroffen, anstelle dahinter zurückzubleiben. Und schließ­lich wird argumentiert, dass der technische Fortschritt im Agrarsek­tor durch Investitionen in Forschung und Ent­wicklung beschleunigt werden kann. Leider sind diese seit Jahrzehnten (auch in Deutschland) vernachläs­sigt worden; so ist z.B. der Anteil der offiziellen Entwicklungshilfeausgaben, die weltweit im Agrarsektor getätigt wurden, zwischen 1980 und 2007 von 17% auf 4% gefallen.


Unabhängig davon, ob die jüngsten Preisanstiege ei­nen Wendepunkt markieren oder nicht, ein Rückgang der Nahrungsmittelpreise auf das Niveau der späten 1990er und frühen 2000er Jahre ist in naher Zukunft un­wahr­scheinlich. Für Weizen prognostiziert die Weltbank Preise von mehr als 250$/t bis 2015; jüngste Prognosen der FAO und der OECD sind ähnlich.


Nach Jahren der Gleichgültigkeit in der EU angesichts von Getreidebergen und Milchseen erinnern die aktuellen Ge­schehnisse auf den Weltagrarmärkten daran, dass billige Nahrungsmittel keine Selbstverständlichkeit sind; eine Tatsache, die für viele hungernde Menschen weltweit bereits seit Jahren Realität ist.




Abb. 1: Reale Weizenpreise (1995 US$/t, 1866-2008)

Cramon-Taubadel

Quelle: Antle, J.M. and V.H. Smith, eds. (1999). The Economics of World Wheat Markets, CAB International; USDA; eigene Berechnungen