Forum for Economic Policy
Anstieg der Weltagrarpreise: Ursachen und Ausblick
In den vergangenen Monaten sind die Weltmarktpreise für Ölsaaten und Getreide dramatisch angestiegen. Da es sich bei diesen Feldfrüchten um wichtige Grundnahrungsmittel handelt, sie gleichzeitig aber auch als maßgeblicher Kostenträger in der Tierproduktion gelten, sind die Nahrungsmittelpreise insgesamt ebenfalls stark geklettert. Dies hat zu politischen Unruhen in vielen Entwicklungsländern geführt; die jüngsten Geschehnisse in Haiti liefern dafür ein eindrückliches Beispiel.
Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise beruht auf verschiedenen Faktoren. Auf der Angebotsseite haben steigende Energiepreise eine Verteuerung der Produktion und des Handels zur Folge. Zusätzlich haben in den vergangenen Jahren extreme Wetterbedingungen, v.a. in Hauptanbauregionen wie beispielsweise Australien, das Erntevolumen insgesamt gesenkt. Auf der Nachfrageseite haben wachsende Einkommen in den Schwellenländern – insbesondere China und Indien – zu einem verstärkten Absatz tierischer Veredelungsprodukte geführt. Weil aber für die Produktion eines Kilos Fleisch bzw. eines Liters Vollmilch mehr als ein Kilo Futter benötigt wird, ist die weltweite Nachfrage nach Getreide und Ölsaaten über-proportional angestiegen. Darüber hinaus wirkt sich die seit einigen Jahren stark steigende Nachfrage nach Biotreibstoffen (Biodiesel aus pflanzlichen Ölen und Bioethanol aus Zucker oder Getreide) entsprechend aus.
Zusammengenommen haben diese Verlagerungen dazu ge-führt, dass der globale Getreideverbrauch die weltweite Produktion in 7 der letzten 9 Jahre überstiegen hat. Das daraus resultierende Unterangebot an Getreide hatte einen kontinuierlichen Abbau der internationalen Lagerbestände zur Folge, die sich mit derzeit ca. 15 % des jährlichen weltweiten Konsums mittlerweile auf dem niedrigsten Stand seit den 1970er Jahren befinden. Es verwundert nicht, wenn die Märkte angesichts der zunehmenden Verknappung mit Preisaufschlägen reagieren.
Auch die Volatilität der Preise hat stark zugenommen: Geringe Lagerbestände führen zu sensiblen Reaktionen der Marktteilnehmer auf Wettermeldungen und Erntevoraussagen. Auch die wachsende Betätigung von Spekulanten auf den Agrarmärkten sowie plötzliche Politikänderungen (z.B. Ausfuhrbeschränkungen zur Abfederung des inländischen Preisanstiegs in Argentinien, Russland und der Ukraine) wirken sich auf das Preisgefüge aus.
Viele sehen in der jüngsten Entwicklung einen Wendepunkt des historischen Preistrends für Nahrungsmittel. Mehr als ein Jahrhundert lang hat vor allem der starke technische Fortschritt dafür gesorgt, dass das weltweite Angebot an Nahrungsmitteln schneller gewachsen ist als die Nachfrage. Im Ergebnis folgten die Preise einem fallenden Trend, der von zeitweiligen Ausschlägen (z.B. Kriege, Wirtschaftskrisen) durchbrochen wurde ( siehe Abb. 1).
Viele Experten behaupten nun, dass die aktuelle Hochpreisphase keinen weiteren temporären Ausschlag darstellt, sondern dass eine fundamentale Verschiebung des langfristigen Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage vorliegt. In Ergänzung der zuvor erwähnten Faktoren wie Einkommenszuwachs und Energiepreise wird zusätzlich angeführt, dass Klimawandel als auch der Rückgang von Anbauflächen und verfügbarem Wasser Ertragszuwächse zukünftig beschränken und zu anhaltender Knappheit führen werden.
Andere warnen davor, die Anpassungsfähigkeit des Agrarsektors angesichts hoher Preise zu unterschätzen. Sie weisen auf Produktionspotentiale z.B. in der ehemaligen Sowjetunion hin und stellen heraus, dass fehlgeleitete Bioenergiepolitiken maßgeblich zu den jüngsten Preisausschlägen beigetragen haben: Ohne die zusätzliche Nachfrage des Bioethanolsektors hätte die Weltgetreideproduktion den globalen Konsum in 7 der letzten 9 Jahre übertroffen, anstelle dahinter zurückzubleiben. Und schließlich wird argumentiert, dass der technische Fortschritt im Agrarsektor durch Investitionen in Forschung und Entwicklung beschleunigt werden kann. Leider sind diese seit Jahrzehnten (auch in Deutschland) vernachlässigt worden; so ist z.B. der Anteil der offiziellen Entwicklungshilfeausgaben, die weltweit im Agrarsektor getätigt wurden, zwischen 1980 und 2007 von 17% auf 4% gefallen.
Unabhängig davon, ob die jüngsten Preisanstiege einen Wendepunkt markieren oder nicht, ein Rückgang der Nahrungsmittelpreise auf das Niveau der späten 1990er und frühen 2000er Jahre ist in naher Zukunft unwahrscheinlich. Für Weizen prognostiziert die Weltbank Preise von mehr als 250$/t bis 2015; jüngste Prognosen der FAO und der OECD sind ähnlich.
Nach Jahren der Gleichgültigkeit in der EU angesichts von Getreidebergen und Milchseen erinnern die aktuellen Geschehnisse auf den Weltagrarmärkten daran, dass billige Nahrungsmittel keine Selbstverständlichkeit sind; eine Tatsache, die für viele hungernde Menschen weltweit bereits seit Jahren Realität ist.
Abb. 1: Reale Weizenpreise (1995 US$/t, 1866-2008)

Quelle: Antle, J.M. and V.H. Smith, eds. (1999). The Economics of World Wheat Markets, CAB International; USDA; eigene Berechnungen