Wirtschaftspolitisches Forum

Land beeinflusst Gewerbesteuerhebesätze



Petra Enß und Robert Schwager, NST-Nachrichten - Niedersächsischer Städtetag, November 2005, S. 243-245


Sechs Jahre nach der Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs in Niedersachsen haben die Regierungsparteien seine erneute grundlegende Neuordnung angekündigt. So dokumentieren sie im Koalitionsvertrag ihre Absicht, den ländlichen Raum im Rahmen ebendieses Gesetzes stärker zu fördern. Auch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe macht eine Neuregelung in absehbarer Zeit notwendig. Im Vordergrund der Diskussion um die anstehende Reform stehen dabei naturgemäß die Finanzausstattung der kommunalen Gebietskörperschaften und die Mittelverteilung zwischen diesen. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, darauf hinzuweisen, dass der Finanzausgleich neben diesen zentralen Zielen auch als ein steuerpolitisches Instrument eingesetzt werden kann. Neuere Ergebnisse der Finanzwissenschaft zeigen nämlich, dass die Entscheidung über den Hebesatz der Gewerbesteuer nicht nur von Ausgabennotwendigkeiten und den anderen Einnahmen, wie den Anteilen an der Einkommensteuer, abhängt, sondern auch durch die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs beeinflusst wird.


Im Zentrum dieses Wirkungszusammenhangs steht die im kommunalen Finanzausgleich festgelegte Abschöpfungsquote. Diese beschreibt, in welchem Umfang die Zuweisungen an eine Kommune sinken oder die Umlagen steigen, wenn die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer in dieser Gebietskörperschaft – etwa durch Ansiedelung eines profitablen Unternehmens – steigt. Dieser Zusammenhang wird durch das Berechnungsbeispiel im Kasten illustriert. Die dort errechnete Abschöpfungsquote von 13,21% bedeutet, dass die Zuweisungen an die Gemeinde nach einer Steigerung des Gewerbeantrags um einen Euro um 13,21 Cent gekürzt werden. Für die Beispielgemeinde bedeutet dies, dass sie trotz der durch erfolgreiche Ansiedelungspolitik erreichten Steuermehreinnahmen in Höhe von 30.000 Euro insgesamt lediglich über ein um 3.571 Euro (=30.000 – 26.429 Euro) höheres Budget verfügen kann. Es verbleiben in diesem Beispiel also gerade einmal knapp 12% der zusätzlichen Steuereinnahmen in der Gemeinde.


Wenn ein Gemeinderat den Hebesatz der Gewerbesteuer festsetzt, werden die Mitglieder vor allem berücksichtigen, welche Ausgaben die Gemeinde zu tätigen hat und welche Einnahmen neben der Gewerbesteuer zur Verfügung stehen. Trotz der dadurch oftmals sehr eng gesetzten Rahmenbedingungen ist die Wahl des Hebesatzes auch eine politische Entscheidung, bei der generell zwei Wirkungen gegeneinander abzuwägen sind. Einerseits steigt das Steuer­aufkommen, wenn der Hebesatz erhöht wird. Andererseits werden dadurch jedoch auch, zumindest langfristig, Ansiedelungen von Unternehmen erschwert oder sogar Abwan­derungen ausgelöst. Ein zu hoher Hebesatz schwächt also die Steuerkraft – ganz abgesehen von den zu erwartenden nachteiligen Beschäftigungswirkungen. Im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs wird nun eine geringere Steuerkraft zum Teil durch höhere Zuweisungen kompensiert. Dadurch wiegt die Abwanderung von Unternehmen aus fiskalischer Sicht weniger schwer als ohne Finanzausgleich. Dieser schwächt also den wesentlichen Nachteil einer Hebesatzerhöhung ab; folgerichtig entsteht ein Anreiz, die Hebesätze höher zu wählen als dies ohne Finanzausgleich der Fall wäre.


Dieser Zusammenhang ist um so stärker ausgeprägt, je größer die Abschöpfungsquote ist. Bei einer hohen Abschöpfungsquote lohnt es sich für eine Gemeinde aus fiskalischer Sicht besonders wenig, viele Unternehmen mittels niedriger Steuersätze anzusiedeln. Wenn jedoch der Großteil zusätzlicher Steuereinnahmen in der Gemeinde verbleibt, wird sie sich viel stärker um die Ansiedlung neuer Unternehmen bemühen – und die Hebesätze senken. Die Höhe der Abschöpfungsquote hat also Einfluss auf den gewählten Steuersatz: je höher diese ist, desto höher ist der Steuersatz.


Untersuchungen auf Basis von baden-württembergischen Gemeindedaten zeigen, dass der von der Abschöpfungsquote ausgehandelte Effekt auf die Gewerbesteuerhebesätze nicht nur theoretisch plausibel, sondern auch quantitativ von Bedeutung ist. Bei einer Absenkung dieser Quote um einen Prozentpunkt ist eine Absenkung der Hebesätze um vier Punkte zu erwarten. Selbstverständlich lässt sich dieses Ergebnis ohne genauere Berechnungen nicht unmittelbar auf Niedersachsen übertragen. Dennoch ist zu vermuten, dass der Wirkungszusammenhang auch in Niedersachsen anzutreffen ist, und dass deshalb eine Senkung der Abschöpfungsquote ähnlich spürbare Auswirkungen auf den Hebesatz hätte. So beträgt die Abschöpfungsquote bei einer kleinen kreisangehörigen Stadt wie Winsen (Luhe) ca. 13,4%. Würde man die Abschöpfungsquote auf 7% senken, dann könnte diese Kommune etwa die Hälfte ihrer Steuermehreinnahmen behalten, an Stelle von jetzt etwa 4%. Unterstellt man einen quantitativ vergleichbaren Effekt wie in Baden-Württemberg, so wäre zu erwarten, dass eine solche Stadt daraufhin ihren Hebesatz um ca. 25 Punkte senkt. Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern haben höhere Abschöpfungsquoten, da der größenklassenspezifische Durchschnittshebesatz, mit dem die Finanzkraft berechnet wird, hier höher liegt. Entsprechend ergeben sich beispielsweise für Hildesheim 16,8% und für Braunschweig und Osnabrück jeweils 15,9%. In den größeren Städten würde dann eine Absenkung der Abschöpfungsquote auf unter 10% die Hebesätze um etwa 25 Punkte sinken lassen.


Für die Landespolitik bedeuten diese Überlegungen, dass bei einer Reform des kommunalen Finanzausgleichs nicht nur die Ausgleichswirkung innerhalb Niedersachsens bedacht werden sollte. Vielmehr ist die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs auch für die steuerliche Attraktivität des Standortes Niedersachsen insgesamt von Bedeutung. Während eine starke Ausgleichswirkung des kommunalen Finanzausgleichs tendenziell zu höheren Hebesätzen der Gewerbesteuer führt, stellt eine maßvolle Angleichung der kommunalen Finanzkraft für das Land ein Instrument dar, sich als Standort mit vergleichsweise niedrigen Unternehmenssteuern zu etablieren.


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