mehr zum Projekt: Außenseiter und Etablierte zugleich: Palästinenser und Israelis in unterschiedlichen Figurationen

Im gegebenen historischen Kontext von Israelis und Palästinensern, interagieren die gleichen Individuen oftmals in diversen sehr unterschiedlichen sozialen und lokalen Kontexten. Dabei handeln sie manchmal als Mitglieder von Gruppierungen ethnopolitischer oder religiöser Außenseiter und bei anderen Gelegenheiten als Mitglieder der Etablierten. Betrachten wir bspw. einen Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft und christlicher Religionszugehörigkeit, der in einem Dorf mit christlicher Bevölkerungsmehrheit in Israel lebt. Dieser interagiert mit jüdischen Israelis in allen sozialen Settings in Israel als Mitglied der nicht-jüdischen Minderheit, während er innerhalb seines Dorfes gegenüber den muslimischen Mitbürgern als Mitglied der lokalen religiösen Mehrheit handelt. In anderen lokalen Kontexten Israels mit einer muslimischen Mehrheit interagiert die gleiche Person hingegen als Mitglied der christlichen Minderheit innerhalb der Gruppierung der Palästinenser in Israel, die wiederum eine Minderheit innerhalb der Einwohnerschaft Israels darstellt. Im Westjordanland wiederum kann er einer religiösen Minderheit angehören und gleichzeitig Mitglieder der palästinensischen Mehrheit innerhalb dieses lokalen Kontextes sein. Diese beispielhafte Aufzählung ließe sich noch deutlich erweitern (z.B. um die Beduinen, die Drusen und die verschiedenen Denominationen des Christentums und des Islam) und zeigt die ausgesprochene Komplexität der Interaktionsbeziehungen innerhalb des Forschungsfeldes.

Das weitere Forschungsinteresse ist dabei auf die Beantwortung der Frage gerichtet, welchen Einfluss multiple Mitgliedschaften in verschiedenen Außenseiter-Etablierten-Figurationen auf die soziale Interaktion zwischen den Mitgliedern der jeweiligen Mehrheit und solchen der jeweiligen Minderheit haben.
Angestrebt ist eine sorgfältige und dem historischen Einzelfall gerecht werdende Analyse von alltagsweltlichen Dimensionen des Nahostkonflikts, die vor allem die subjektiven Perspektiven, Handlungsgeschichten und Biographien der einzelnen Akteure in den Blick nimmt. Daraus ergibt sich die Chance, Möglichkeiten der Konfliktlösung bzw. Konflikttransformation auf der Ebene des Alltags aufzuzeigen.

Die sich daraus ergebenden Forschungsfragen beziehen sich auf die sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Minderheits- und Mehrheitsgruppierung in verschiedenen Figurationen und sollen sowohl aus einer Makro- als auch Meso- und Mikroperspektive betrachtet werden.
Auf der Ebene der sozialen Interaktion erhoffen wir bspw. Antworten auf folgende Fragen zu erhalten: Was sind die konstitutiven Faktoren innerhalb der beobachtbaren Interaktionen zwischen den Mitgliedern der Gruppierungen von Außenseitern und Etablierten? Was sind die Auswirkungen der verschiedenen Mitgliedschaften in verschiedenen Paaren von Etablierten und Außenseitern auf die Strukturen der sozialen Interaktion zwischen den Mitgliedern der jeweiligen Mehrheits- und Minderheitsgruppierung? Welche Arten von Konflikten können beobachtet werden? Gibt es Anzeichen für konstruktive Veränderungen der Muster der Interaktion und der Auseinandersetzung? Was sind die hemmenden oder unterstützenden Faktoren für Veränderungen der gegenwärtigen Formen des konflikthaften Prozesses? Anders ausgedrückt: Bieten die biographischen Konstellationen und die situativen Kontexte Chancen für eine beginnende Entspannung der rigiden Muster der bisherigen Interaktion?

In Bezug auf die Erfahrungen der sozialen Akteure möchten wir u.a. zu Folgendem Erkenntnisse gewinnen: Was sind die konkreten Erfahrungen, die die Teilnehmer/-innen in der sozialen Interaktion mit den Mitgliedern der jeweiligen Außenseiter- bzw. Etabliertengruppierung machen? In welchem Umfang und auf welche Weise haben diese Erfahrungen ihr Leben und ihre Deutungsmuster verändert? Und: In welchem Umfang und auf welche Weise haben diese Erfahrungen zu einem positiv oder negativ veränderten Image des/der Anderen geführt?

Betrachten wir die Wahrnehmungen der im Forschungsfeld Handelnden, sollen folgende Fragestellungen in den Blick genommen werden: Wie nehmen die Angehörigen der jeweiligen Eablierter-Außenseiter-Figurationen das Muster der sozialen Beziehungen zu den Mitgliedern der je komplementären oder anderen Gruppierung wahr? Insbesondere sind wir daran interessiert zu erfahren, wie sie die kollektiven Zugehörigkeitskonstruktionen und die kulturelle Anpassung der Mitglieder der jeweils anderen Gruppierung in unterschiedlichen Figurationen wahrnehmen? Darüber hinaus: Ob und wie die Angehörigen der Minderheits- oder Mehrheitsgruppierung die Möglichkeiten für eine Transformation oder Deeskalation des Nahostkonflikts wahrnehmen? Außerdem soll das Erleben der eigenen Rolle bei der Veränderung der Realität des Konfliktes untersucht werden. Auch sind wir daran interessiert, wie die Mitglieder einer Minderheit/Mehrheit das eigene kollektive Narrativ interpretieren und mitgestalten und wie sie die Narration der ‚Anderen‘ innerhalb einer Etablierten-Aussenseiter-Beziehung wahrnehmen und emotional darauf reagieren?

Die Beantwortung dieser vielfältigen Fragestellungen auf verschiedenen Ebenen des Sozialen erfordert eine methodisch differenzierte Herangehensweise. Die somit notwendige Methodentriangulation umfasst hier die Erhebung und Analyse sowohl biographischer als auch thematisch fokussierter narrativer Interviews mit Juden, Moslems und Christen, teilnehmende Beobachtungen in verschiedenen Städten und Regionen (Nazareth, Nazareth Ilit, Haifa, Jaffa, Beer Sheva, Bethlehem, Ramallah und Jerusalem), Sequenzanalysen videographierter Interaktionen sowie den Einsatz standardisierter Fragebögen (n=1700), die auf der Grundlage qualitativer Analysen gruppierungsspezifisch konstruiert werden. Mit der Analyse der so erhobenen quantifizierten Daten wollen wir neben den nicht quantifizierbaren auch messbare Transformationen der erforschten lokalen Etablierten-Außenseiter-Figurationen (bzw. messbare Teilaspekte dieser Transformationen) in unserer Untersuchung berücksichtigen.

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