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Presseinformation: Das Verschwinden der Niederwälder

Nr. 21 - 02.03.2022

Naturschutzbiologe der Universität Göttingen analysiert historische Waldbewirtschaftung

 

(pug) Niederwälder sind eine historische, multifunktionale Form der Waldbewirtschaftung. Sie wurde über Jahrhunderte zur Brennholzgewinnung betrieben, lieferte aber auch viele weitere Produkte wie Holzkohle oder Eichenrinde zum Gerben von Leder. Niederwälder sind dadurch gekennzeichnet, dass ihr Holz häufiger als bei anderen Waldarten geerntet wird. Ein Forscher der Universität Göttingen konnte nun zeigen, dass diese Waldbewirtschaftungsform in Deutschland fast verschwunden ist. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Trees, Forests and People erschienen.

 

In Niederwäldern wird das Holz alle 20 bis 35 Jahre geerntet – bei den heute vorherrschenden Hochwäldern ist dies je nach Baumart nur alle 80 Jahre oder später der Fall. Im Niederwald werden die Bäume regelmäßig „auf den Stock gesetzt“, also kurz über dem Boden abgesägt. Niederwälder sind dadurch heller, wärmer und offener als Hochwälder und bilden ein Mosaik aus verschiedenen Stadien der Vegetationsentwicklung. Dies schafft günstige Bedingungen für viele Tier- und Pflanzenarten: Niederwälder sind die letzten Rückzugsräume für einige stark gefährdete Schmetterlings- und Vogelarten und weisen eine hohe biologische Vielfalt auf. In Deutschland sind Niederwälder über die vergangenen 150 Jahre fast überall in Hochwälder umgewandelt worden, da Brennholz durch fossile Brennstoffe ersetzt wurde. Die Folge: Tier- und Pflanzenarten, die an Niederwälder angepasst sind, haben stark abgenommen.

 

Bisher war unbekannt, wieviel aktiv genutzte Niederwaldfläche in Deutschland noch vorhanden ist. Prof. Dr. Johannes Kamp, Leiter der Abteilung für Naturschutzbiologe an der Universität Göttingen, hat in der aktuellen Studie anhand von Satellitendaten wie dem Landsat-Archiv der NASA und Google Earth sowie einer Literaturstudie abgeschätzt, wieviel Fläche aktuell noch dem bewirtschafteten Niederwald zuzuordnen ist. Demnach hat die aktiv bewirtschaftete Fläche über die vergangenen 100 Jahre massiv, nämlich um 99 Prozent abgenommen: von etwa 680.000 Hektar im Jahr 1927 auf etwa 6400 Hektar im Jahr 2020. „Diese Schätzung und das Verorten der verbliebenen Niederwälder auf den Karten sind ein erster Schritt, um das zukünftige Überleben dieser Waldform in Deutschland einzuschätzen und eventuell Niederwald zu reaktivieren“, sagt Kamp.

 

Derzeit gibt es nur noch drei Regionen in Deutschland, in denen Niederwald noch großflächig aktiv bewirtschaftet wird. Das letzte Gebiet mit noch intakten, traditionellen Bewirtschaftungszyklen sind die sogenannten „Hauberge“ im Grenzgebiet von Hessen und Nordrhein-Westfalen. „Wir konnten auch zeigen, dass die Fläche des jährlich eingeschlagenen Niederwaldes unter anderem von der Nachfrage nach Brennholz abhängt“, erläutert Kamp. „Diese wird wiederum vom Ölpreis beeinflusst.“ Aktuell stark steigende Energiepreise könnten daher stellenweise zu einer Renaissance der Niederwaldnutzung führen, mit positiven Auswirkungen für die Biodiversität, vermutet Kamp. Allerdings verursacht das Verbrennen von Holz viel Feinstaub und ist kurzfristig nicht klimaneutral, daher ist eine großflächige Umwandlung von Hoch- zurück in Niederwälder kaum denkbar.

 

 

Originalveröffentlichung: Kamp, J.: Coppice loss and persistence in Germany. Trees, Forests and People (2022). Doi: https://doi.org/10.1016/j.tfp.2022.100227

 

 

Kontakt:

Prof. Dr. Johannes Kamp

Georg-August-Universität Göttingen

Abteilung für Naturschutzbiologie

Bürgerstraße 50, 37073 Göttingen

Telefon: 0551 39-25207

E-Mail: johannes.kamp@uni-goettingen.de

www.uni-goettingen.de/conservation