In publica commoda

Presseinformation: Vor 175 Jahren: Revolution in Göttingen

Nr. 131 - 14.09.2023

Erstes Flugblatt, Auszug der Studierenden und die Karriere eines Kommunisten

 

(pug) Am 17. September 1737 wurde die Universität Göttingen feierlich eingeweiht. Anlass, einen Blick auf ihre Geschichte zu werfen und an besondere Ereignisse zu erinnern – diesmal an das Revolutionsjahr 1848. Damals protestierten in den deutschen Fürstentümern viele Aufständische für politische Freiheiten, demokratische Reformen und einen deutschen Nationalstaat. Das ging auch an Göttingen nicht spurlos vorbei. Die Regierung war sogar besonders wachsam gegenüber der Universitätsstadt.

 

Bereits 1831 hatte man hier den heftigsten Aufstand im Königreich Hannover militärisch niederschlagen müssen. Und hier hatten 1837 die Göttinger Sieben gegen die Aufhebung der Verfassung protestiert! Seitdem wachte ein neuer, vom Staat eingesetzter Polizeidirektor strikt über die politische Ruhe in Stadt und Universität. Die Unzufriedenheit von Bürgerinnen und Bürgern sowie Studierenden speiste sich gleichermaßen aus politischen Forderungen und den alltäglichen Gängelungen durch den Polizeidirektor und seine Landdragoner.

 

Am 1. März 1848 tauchte das erste Flugblatt aus Baden in Göttingen auf. Baden galt als liberale Hochburg; hier hatte unter Führung des Radikaldemokraten Friedrich Hecker die deutsche Märzrevolution begonnen. Auch in der Universitätsstadt formulierten die Studierenden nun auf Versammlungen ihre Forderungen: Abschaffung der akademischen Gerichtsbarkeit und der Studiengebühren, Entschulung des Studiums, Versammlungs- und Verbindungsfreiheit, aber auch die Abschaffung der lateinischen Sprache für Promotionen. Manches klingt heute fremd, anderes vertraut. Die Demonstrationen verliefen friedlich bis zur Nacht vom 11. auf den 12. März, als der Polizeidirektor die Weender Straße gewaltsam von feiernden Mitgliedern einiger Corps räumen ließ. In den nächsten Tagen solidarisierten sich andere Studierende, die Bürgerschaft und schließlich der akademische Senat mit den Protestierenden.

 

Doch die Regierung blieb hart. So griffen die Studierenden zu ihrer schärfsten Waffe, dem Auszug: Am 17. März 1848 verließen sie Göttingen in einer geschlossenen Kolonne und kehrten in ihre Heimatorte zurück. Damit trafen sie Stadt und Universität wirtschaftlich ins Mark. König Ernst August musste reagieren, gab die Polizei der Stadt zurück und ließ Studentenverbindungen offiziell zu. Am 1. Mai wurden die zurückgekehrten Studierenden von der Bürgerwehr feierlich durch das mit Schwarz-Rot-Gold beflaggte Weender Tor in die Stadt zurückgeholt.

 

In Göttingen wurde es nun ruhiger. Ein Erlass des Innenministeriums vom 27. Juni 1848 zeigt aber, dass die republikanische Bewegung in Göttingen aktiv blieb. Es heißt darin: „daß zu Göttingen republikanische Zusammenkünfte von Bürgern und Studenten stattfinden, deren Absicht dahin geht, Hecker zu unterstützen“. Man traf sich im Gasthaus „Stadt Hamburg“ vor dem Geismar Tor – das Ministerium verlangte Aufklärung. Die Badische Revolution war bereits niedergeschlagen, ihr Anführer Friedrich Hecker geflohen. Und seit über einem Monat diskutierte die Nationalversammlung nun schon über eine Verfassung, die bürgerliche Grundrechte und eine nationale Einigung sichern sollte. Das erste gewählte gesamtdeutsche Parlament war dazu am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zusammengekommen.

 

Dennoch kämpften einige Göttingerinnen und Göttinger in kleinen Gruppen weiter. Der Privatdozent Otto Volger organisierte zum Beispiel am 30. Juli 1848 noch eine Volksversammlung auf der Plesse. Hierzu lud er nicht nur die die Bevölkerung der Stadt, sondern auch der umliegenden Dörfer ein. Das Treffen endete jedoch in einer Schlägerei. Volger sollte sich vor dem Universitätsgericht, das nun wieder selbst für die Disziplinierung verantwortlich war, wegen Beleidigung des Amtmanns von Bovenden verantworten. Da war er aber schon auf dem Weg in die Schweiz.

 

Unterdessen stellte ein radikal-republikanischer Student namens Schläger in der Göttinger Bürgerversammlung den Antrag, den von der Paulskirche eingesetzten Reichsverweser – eine Art Vertreter des Kaisers – abzulehnen. Der Antrag fiel jedoch lautstark durch. Konspirativer agierte der Student Johannes Miquel, Burschenschafter und Kommunist. Nach einer Karzerstrafe des Universitätsgerichts führte ihn seine Karriere vom Briefwechsel mit Karl Marx in den Sessel des preußischen Finanzministers und zur Erhebung in den Adelsstand.

 

Wie in ganz Deutschland blieb auch in Göttingen nicht viel von den großen Ideen von 1848. Im lokalen Rahmen aber haben sich Bürgerinnen und Bürger sowie Studierende gemeinsam Luft zum Atmen verschafft.

 

Kontakt:

Dr. Holger Berwinkel

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