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Presseinformation: Ein Kopf und hundert Enden: Wie ein verzweigter Wurm seine Fortpflanzung steuert

Nr. 81 - 19.05.2025

Internationales Forschungsteam erstellt Karte über Genaktivität eines seltenen Meereswurms

 

(pug) Forschende haben die genetischen Grundlagen eines der bizarrsten Tiere des Ozeans aufgedeckt: Der in tropischen Gewässern vorkommende verzweigte Wurm Ramisyllis kingghidorahi lebt versteckt im Inneren eines Schwammes und pflanzt sich auf außergewöhnliche Weise fort. Jedes Körperende produziert eigene Fortpflanzungseinheiten, die sich abtrennen und zur Paarung wegschwimmen. Wie wird dieser komplexe Mechanismus über die vielen Zweige des Körpers hinweg gesteuert? Das haben Forschende unter der Leitung der Universität Göttingen untersucht. Sie haben die Aktivität von Genen zwischen verschiedenen Körperbereichen sowie zwischen Männchen und Weibchen verglichen und die erste vollständige „genetische Aktivitätskarte“ eines verzweigten Wurms erstellt. Ihre Befunde wurde in der Fachzeitschrift BMC Genomics veröffentlicht.

 

Die Forschenden fanden in ihren Analysen eindeutige Muster: Die Unterschiede in der Genaktivität waren zwischen den Körperbereichen desselben Wurms größer als zwischen männlichen und weiblichen Würmern. Die kurzlebigen Fortpflanzungseinheiten, die als Stolonen bezeichnet werden, wiesen zwischen den Geschlechtern die ausgeprägtesten genetischen Signaturen auf. Das spiegelt den Forschenden zufolge wahrscheinlich ihre spezialisierte Rolle bei der Bildung und weiteren Entwicklung der Geschlechtszellen wider. „Wir waren überrascht, dass der Kopf des Wurms, von dem man bisher annahm, dass er ein geschlechtsspezifisches Kontrollsystem beherbergt, in der Genaktivität nicht die deutlichen Unterschiede aufweist, die wir zwischen Männchen und Weibchen erwartet hatten“, erklärt Dr. Guillermo Ponz-Segrelles, ehemaliger Forscher an der Autonomen Universität von Madrid.

 

„Stattdessen erwiesen sich die Stolonen als die wahren Hotspots der Genaktivität während der sexuellen Entwicklung“, so Ponz-Segrelles weiter. Ein bislang übersehenes, aber wichtiges Merkmal der Stolonen ist, dass sie Augen ausbilden, bevor sie sich auf der Suche nach einem Partner vom Wurm abtrennen. Passend dazu stellten die Forschenden eine gesteigerte Aktivität von Genen fest, die mit der Entwicklung von Augen zusammenhängen. Das gibt ihnen erste Anhaltspunkte dafür, wie sich an den Zweigen des Wurmkörpers die Spitzen in Fortpflanzungseinheiten verwandeln. Die Daten deuten zudem auf eine Verdopplung bestimmter Gene bei Ramisyllis hin. Das könnte helfen, die Komplexität seiner Biologie und seines Fortpflanzungssystems zu erklären.

 

Trotz Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Signalwegen in den evolutionär konservierten Würmern deuten die Ergebnisse auf eine einzigartige genetische Ausstattung in Ramisyllis hin. Sie machen deutlich, wie wenig wir bislang über die Fortpflanzung wirbelloser Meerestiere wissen. „Dieser Wurm und sein surrealer, baumartiger Körper machte bereits 2021 und 2022 weltweit Schlagzeilen, aber er verblüfft uns immer noch“, sagt Thilo Schulze, Doktorand an der Universität Göttingen. „Er stellt unser Verständnis davon infrage, wie tierische Körper organisiert sein können und wie derart seltsame Formen der Fortpflanzung auf molekularer Ebene orchestriert werden.“ Viele Aspekte der Fortpflanzung verzweigter Würmer wie Ramisyllis sind immer noch ein Rätsel. Nun hofft das Team, dass die neuen genetischen Befunde die Tür öffnen zu tiefergehenden Untersuchungen darüber, wie sich das Leben in unerwartete Richtungen entwickelt – selbst in den verborgenen Ecken unserer Ozeane.

 


Video: Verzweigter Wurm im Inneren eines Meeresschwammes (Ponz Segrelles, Aguado & Glasby)

 

Weitere Informationen und Videoclips zum verzweigten Wurm Ramisyllis kingghidorahi sind hier zu finden: https://youtu.be/MO1c23m6XkA, https://youtu.be/rwgil23MzyM, https://youtu.be/q2l_OgedY0I

 

Originalveröffentlichung: Ponz-Segrelles et al. Sex-specific differential gene expression during stolonization in the branching syllid Ramisyllis kingghidorahi (Annelida, Syllidae). BMC Genomics (2025). DOI: 10.1186/s12864-025-11587-w

 

Im Rahmen der Springer Nature SharedIt-Initiative steht der Volltextzugang zum Artikel zur Verfügung: https://rdcu.be/ejnKq.

 

Hinweise zur Nutzung von Bildmaterial mit CC BY 4.0 Lizenz: Attribution 4.0 International

 

Kontakt:

Prof. Dr. Maria Teresa Aguado Molina

Leiterin Biodiversitätsmuseum Göttingen

Georg-August-Universität Göttingen

Abteilung Evolution und Biodiversität der Tiere

Untere Karspüle 2, 37073 Göttingen

Telefon: 0551 39-25536

E-Mail: aguadomolina@uni-goettingen.de

Internet: www.biodivmuseum.de/ & www.uni-goettingen.de/de/623758.html

 

Dr. Guillermo Ponz-Segrelles

IES El Burgo-Ignacio-Echeverría

28231 Las Rozas de Madrid, Madrid, Spanien

E-Mail: guillermo.ponz.segrelles@gmail.com

Telefon: +34 (0)689402289

 

Thilo Schulze

Georg-August-Universität Göttingen

Abteilung Evolution und Biodiversität der Tiere

Untere Karspüle 2, 37073 Göttingen

E-Mail: thilo.schulze@uni-goettingen.de

Telefon: 0551 39-25419