Andreas Gryphius: Catharina von Georgien. (1657). Trauerspiel

Inhalt


Das Barockdrama handelt vom letzten Lebenstag Catharinas, der Königin von Georgien, die im Kerker am Hof des persischen Königs Chach Abas ein qualvolles Dasein fristet. Sie hatte sich in der Absicht, Frieden zwischen den sich bekriegenden Reichen auszuhandeln und den Zorn des mächtigen Königs zu besänftigen, ins persische Lager begeben und wurde sogleich gefangen genommen. Chach Abas verliebt sich in die schöne Königin und wünscht sie sich als seine Ehefrau. Aufgrund ihrer Weigerung foltert der Tyrann sie mit allen Mitteln, innerlich zerrissen zwischen den Leidenschaften der Liebe und Rachelust. Catharina bleibt trotz ihrer schweren, langjährigen Gefangenschaft standhaft und hält als Gläubige an ihren christlichen Prinzipien, ihrer Keuschheit und Ehre fest. Auf die Bitte eines Gesandten aus Russland hin verspricht der persische Herrscher endlich, Catharina noch bis zum Abend frei zu lassen. Der listige König aber bricht sein Wort, da er sie nicht entbehren will, und befiehlt einem seiner Untergebenen, Catharina stattdessen vor die sofortige Wahl zwischen „Lust vnd Noth” (Gryphius 2020, S. 77), zwischen ihrer Freiheit als Königin Persiens an seiner Seite oder dem Tod zu stellen. Catharina sieht eine klare Spannung zwischen ihrer göttlichen, ewigen Liebe und einer Zustimmung zu dieser Heirat. Ohne zu zögern entscheidet sie sich für den Märtyrertod und verbrennt schließlich nach schwerer Marter mit „gluͤend-rothen Zangen” (ebd., S. 103) auf dem Scheiterhaufen. Der König bereut sein übereiltes, unwiderrufliches Urteil kurz darauf und verzweifelt, als ihm seine grausame Tat bewusst wird. Die tote Königin erscheint ihm noch einmal und kündigt ihm sein nahendes Verderben an.

Einordnung


Gryphius gilt neben Grimmelshausen als bedeutendster Autor des Barocks in Deutschland und hatte schon zu Lebzeiten einen Namen als vorbildhafter Dichter, wie es der ihm 1637 verliehene Ehrentitel poeta laureatus anzeigt (Wesche 2016, S. 768, 772). Schon in jungen Jahren fing er an zu dichten, anfangs noch v.a. in lateinischer Sprache (Beil-Schickler 1995, S. 53). Aber nicht nur mit seinem lyrischen Werk, insbesondere seinen zahlreichen Sonetten, auch als Dramenautor war er in der zeitgenössischen literarischen wie aufführungspraktischen Rezeption präsent (Wesche 2016, S. 778). In der Literaturwissenschaft erlebte die Barockforschung vor allem seit den 1920er-Jahren einen Aufschwung, das 20. Jahrhundert hatte folglich einen entscheidenden Effekt auf die Kanonerweiterung und Erforschung von Gryphius’ Werk (Schütze 2016, S. 21f.). Catharina von Georgien stellt nach seinem Leo Armenius (1650) sein zweites Trauerspiel dar. Die Gattung des Trauerspiels kann als Gryphius’ „Meisterdisziplin” gelten (Wesche 2016, S. 776).
Mit seinem Drama nimmt der Autor ein reales, sich 1624 zugetragenes Ereignis der unmittelbaren Geschichte auf, welches er aus der Quelle der Sammlung Histoires tragiques de nostre temps von Claude Malingre entnimmt (Harst 2016, S. 204). Der volle Titel Catharina von Georgien oder Bewehrete Beständigkeit macht deutlich, dass die Beständigkeit der Königin im Vordergrund des Werks steht, die, so heißt es in der Vorrede an den Leser, als „Beyspiel” (Gryphius 2020, S. 7) dienen soll. Zentrales Thema in Gryphius’ Texten ist die negativ konnotierte Vergänglichkeit, die auch für die Wirklichkeitsauffassung in der Barockepoche von Bedeutung war (Steinhagen 1993, S. 61). Das Leben des schlesischen Autors war stark geprägt vom Dreißigjährigen Krieg, persönlichen Schicksalsschlägen und konfessionellen Konflikten zwischen der lutherischen und katholischen Bevölkerung (Bogner 2016, S. 4), welche Erfahrungen sich auch in seiner Literatur niederschlugen. Häufig wird in der Forschung zu Gryphius und seinem Werk der Vanitas-Gedanke sowie das Memento-mori-Motiv als zentral hervorgehoben (Beil-Schickler 1995, S. 54).
Sein Märtyrerdrama in fünf Akten zeigt die Geschlossenheit bzw. den klassischen Spannungsbogen der zu Beginn steigenden Handlung, die schließlich abfällt und in der Katastrophe endet (Ehinger 2006, S. 38). Auch hinsichtlich der drei aristotelischen Einheiten des Ortes, der Zeit und der Handlung folgt es dem Schema des antiken Dramas. Die Handlung weist Parallelen mit Schillers Maria Stuart auf, so spielt auch dieses Drama am letzten Tag der Gefangenschaft der Königin und endet mit ihrer Hinrichtung (ebd.).
Weiterhin lässt sich ein „Kontrastprinzip” (ebd., S. 39) in Gryphius’ Trauerspiel erkennen. Zum einen sind die Hauptfiguren, der von seinen Affekten beherrschte, wankelmütige Chach Abas und die in ihren Entscheidungen und Überzeugungen beständige Catharina, als starke Gegensätze konstruiert (ebd., S. 41). Zum anderen tritt dieses Prinzip aber auch formal in der Redetechnik durch den Wechsel von Monologhaftigkeit und absoluter Dialoghaftigkeit durch Stichomythien zutage (ebd., S. 40). Gryphius’ Texte zeichnen sich nicht durch eine Leichtigkeit der Sprache aus, sondern durch „Schwere, Eindringlichkeit und Schärfe der Kontraste” (Beil-Schickler 1995, S. 55). Der Autor verwendet ein reiches Repertoire an rhetorischen Mitteln in seinem Werk.

Literaturangaben


  • Beil-Schickler, Gudrun: Von Gryphius bis Hofmannswaldau. Untersuchungen zur Sprache der deutschen Literatur im Zeitalter des Barock. Tübingen 1995.
  • Bogner, Ralf Georg: Leben. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin/Boston 2016, S. 3–17.
  • Ehinger, Franziska: Pathos und Individualität in der Tragödie – Andreas Gryphius' Catharina von Georgien (1657) und Friedrich Schillers Maria Stuart (1800). In: Individualität als Herausforderung. Identitätskonstruktionen in der Literatur der Moderne (1770-2006). Hg. von Jutta Schlich und Sandra Mehrfort. Heidelberg 2006, S. 35–50.
  • Gryphius, Andreas: Catharina von Georgien. Trauerspiel. Hg. von Alois M. Haas. Ditzingen 2020.
  • Harst, Joachim: Catharina von Georgien. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin/Boston 2016, S. 203–220.
  • Schütze, Robert: Barockdichtung. Gryphius als paradigmatischer Autor der Barockforschung seit dem frühen 20. Jahrhundert. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin/Boston 2016, S. 21–33.
  • Steinhagen, Harald: Die Trauerspielform des Andreas Gryphius. In: Andreas Gryphius. Weltgeschick und Lebenszeit. Ein schlesischer Barockdichter aus deutscher und polnischer Sicht. Hg. von der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus. Düsseldorf 1993, S. 53–68.
  • Wesche, Jörg: Zeitgenössische Rezeption im 17. Jahrhundert. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin/Boston 2016, S. 767–778.


Ausgaben


Gryphius, Andreas: Catharina von Georgien. Trauerspiel. Hg. von Alois M. Haas. Ditzingen 2020 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 14009).

Weiterführende Literatur / Ressourcen


  • Strutz, Adolf: Andreas Gryphius. Die Weltanschauung eines deutschen Barockdichters. Horgen-Zürich 1931.
  • Szyrocki, Marian: Andreas Gryphius. Sein Leben und Werk. Tübingen 1964.
  • Internationale Andreas Gryphius-Gesellschaft


Lesedauer


Individuelle Lesedauer: 4 Stunden, 16 Minuten (Reclam-Ausgabe 2020: 122 Seiten)

Leseprobe


„Wir wissen wo wir sind! wir sind! wir sind gefangen.
[44] Doch vnser Geist ist frey / die Jahre sind vergangen
In welchen wir geherrscht; doch steht die Tugend fest /
Die sich kein strenges Joch der Laster zwingen läst.
Wir dinen; unbefleckt! wir leiden; sonder Schande!
Wir tragen sonder Schmach! die Keuschheit lacht der Bande.
Gönnt vns nun alles hin / diß einig Eigenthum;
Den vnversehrten Muth den vnbefleckten Ruhm.
CHACH.
Zwingt vns nicht diß zu thun was vns die Lib einbindet.
CATHARINA.
Der ist der höchste Fürst der selbst sich vberwindet.
CHACH.
Wol. vberwindet euch / vnd den gefasten Wahn.
CATHARINA.
Den Lust vnd Zwang vmbsonst bekämpfft auff einer Bahn.
CHACH.
Chach wird mit Lust vnd Zwang gerüst zu Felde zihen /
CATHARINA.
Vns beut der Tod die Faust wenn man nicht kan entflihen.
CHACH.
Die nach dem Tode siht entsetzt sich wenn er rufft.
[45]
CATHARINA.
Nicht dise / die entsatz sucht in der Todten-Grufft.
CHACH.
Wie? Messer vber vns?
CATHARINA.
Nein. vber dise Brüste.
CHACH.
Zäumt euren tollen Grimm.
CATHARINA.
Zäumt eure böse Lüste.
CHACH.
Wir haben vor den Trotz wol Mittel an der Hand.
CATHARINA.
Braucht Flamme / Pfahl vnd Stahl.
CHACH.
man bricht wol Diamant:”

(Zitat: TextGrid Repository (2012). Andreas Gryphius: Dramen. Catharina von Georgien. TextGrid Digitale Bibliothek)

Was finde ich an dem Text interessant?


Interessant erscheint mir insbesondere das Pathos des Trauerspiels, das nicht übertrieben oder formelhaft wirkt, sondern mitreißen und emotional bewegen kann. Zwar braucht es zunächst etwas Zeit zur Gewöhnung an die Sprache des Textes und die Bedeutung wird gerade zu Beginn oftmals erst beim wiederholten, sehr aufmerksamen Lesen erkennbar. Dies konnte als literarische Herausforderung aber gerade auch reizen. Die Sprache macht auch das Besondere an dem eher handlungsarmen Drama aus. Außerdem imponiert die Protagonistin, die trotz schwerer Folter an ihren persönlichen Werten festhält und zu keinem Zeitpunkt auch nur darüber nachdenkt, diese zu ihrer Lebensrettung, d.h. zu ihrem eigenen Vorteil zu verwerfen. Ihr Denken und Handeln stehen in völliger Übereinstimmung.


Sidney Lazerus (M.A.-Studierende)