Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (1774). Roman
Inhalt
[Die folgende Inhaltsangabe konzentriert sich bei der Zitation auf die Fassung des Werkes aus dem Jahr 1787, weshalb dieses Jahr bei der ersten Zitation angeführt wird.]
Der erste Teil von Goethes Briefroman handelt von der Ankunft des jungen Werthers in einer nicht näher benannten Stadt, im Mai 1771. Werther soll sich in der besagten Stadt um eine Erbschaftsangelegenheit seiner Mutter kümmern, indem er Kontakt zu seiner Tante aufnimmt. Dabei genießt Werther die neu gewonnene Einsamkeit und die ihn umgebende Natur und widmet sich ganz dem Schreiben und der Kunst. Von besonderem Interesse für den jungen Werther ist dabei der kleine Nachbarort Wahlheim, der an einem Hügel gelegen ist und wo er sich gerne niederlässt, um seinen Kaffee zu trinken und die Werke Homers zu lesen.
Eines Abends veranstalten die jungen Leute der Stadt einen Ball auf dem Land. Werther beschließt, den Festivitäten beizuwohnen. Auf dem Weg zum Ball soll seine Kutsche eine junge Dame abholen. Als sie an dem Haus ankommen, sieht Werther das erste Mal die junge Lotte, die Tochter des Amtmannes S. und er ist von der Gestalt und dem Verhalten Lottes hingerissen. Auf dem Ball verstehen sich Werther und Lotte auf Anhieb gut und Werther nimmt die Reize von Lottes Erscheinung und ihrem gesamten Betragen wahr. Bei ihrem dritten Tanz wird Lotte jedoch von einer Dame mit einem „drohenden Finger“ (Goethe 1787, S. 49) an den Namen Albert erinnert. Auf Werthers Nachfrage hin, erklärt Lotte, dass Albert ein Mann ist, mit dem Lotte „so gut als verlobt“ (Ebd.) ist. Währenddessen zieht ein Gewitter auf und während es um sie herum unruhig wird, vertreiben sich Werther, Lotte und weitere Gäste die Zeit mit einem Spiel. Als das Gewitter langsam an Intensität abnimmt, sehen sich Werther und Lotte in die Augen und beide erinnern sich an eine Ode des Dichters Klopstock. Für Werther ist dies ein Anzeichen von tiefer Verbundenheit, woraufhin er beginnt, viel Zeit mit Lotte zu verbringen.
Am 30. Juli kommt Albert von seiner Reise zurück und Werther und er lernen sich kennen. Trotz der bestehenden und zunächst einseitigen Rivalität der beiden Männer, kommt Werther nicht umhin, Albert zu achten. So kommt es, dass zwischen den beiden Männern eine Art von Freundschaft entsteht. Bei einem ihrer Treffen kommt es zu einer Diskussion über die Thematik des Selbstmordes, als sich Werther eine von Alberts Pistolen im Spaß an den Kopf hält. Dabei offenbart sich die Unterschiedlichkeit des Denkens der beiden Männer. Albert kann nicht verstehen, „wie ein Mensch so thöricht seyn kann, sich zu erschießen“, wohingegen Werther die Auffassung vertritt, dass die menschliche Natur Grenzen hat und sie „Freude, Leid, Schmerzen, bis auf einen gewissen Grad ertragen [kann]“ (ebd. S. 99). Werther leidet zunehmend unter seinen Gefühlen für Lotte und beschließt, die Stadt und damit Lotte zu verlassen.
Der zweite Teil von Goethes Werk beginnt am 20. Oktober 1771. Der junge Werther arbeitet an einem nicht näher beschriebenen Ort. Er berichtet, dass er sich mittlerweile wieder wohler fühlt, seitdem er „unter dem Volke alle Tage herum getrieben werde“ (ebd. S. 127). Er gerät jedoch mit einem Gesandten, der unter dem gleichen Grafen tätig ist, in einen Konflikt, da sich ihre Arbeitsweisen gänzlich voneinander unterscheiden. Werther beklagt sich über jene Menschen, die nur daran interessiert sind, ihre Karriere voranzutreiben. Die zunehmende Frustration bewegt ihn schließlich, sich mit einem Brief an Lotte zu wenden, indem er ihr von seiner Situation und Einsamkeit berichtet. Er erfährt später, dass Albert ihm ein falsches Hochzeitsdatum genannt hat und Lotte und er bereits verheiratet sind, ohne dass Werther davon in Kenntnis gesetzt wurde.
Am 15. März 1772 wird Werther vom Grafen zu einem festlichen Abendessen eingeladen, bei dem die „noble Gesellschaft von Herrn und Frauen bey ihm zusammen kommt“ (ebd. S. 143). Das Abendessen endet jedoch damit, dass die Gesellschaft darauf besteht, dass Werther die Runde aufgrund seiner bürgerlichen Abstammung verlässt. Er beginnt, über ein mögliches Leben mit Lotte zu fantasieren und sie vermehrt wieder zu besuchen. Doch er erkennt, dass Lotte seine Gefühle nicht auf die gleiche Art und Weise erwidert. Lotte bittet Werther, sie nicht mehr so häufig zu besuchen, was ihn zutiefst kränkt. Bei seinem letzten Besuch Ende Dezember wird Werther von seinen Gefühlen übermannt und küsst Lotte, die sich daraufhin losreißt und in einem Nebenzimmer einschließt. Am Abend des 23. Dezembers erschießt Werther sich mit einer Pistole, die er sich von Albert ausgeliehen hat, mit den Worten: „Lotte! Lotte lebe wohl! Lebe wohl!“ (Ebd. S. 273)
Einordnung
Goethe wurde Zeit seines Lebens mit diversen Orden ausgezeichnet, die sowohl sein Werk als auch seine politisch-beratende Tätigkeit honorierten.
Sein Werk Die Leiden des jungen Werthers nahm schon während seines Studiums in Leipzig seinen Anfang. Viele (weibliche) Figuren seiner Biografie finden sich in seinen Werken wieder; „angebliche Gnadenerfahrungen und Liebesdramen nimmt er als das Material, aus dem Charaktere zu bilden sind“ (Schlaffer 1986, S. 196). 1774 verdeutlichte Goethe mit dem Werther sein Literaturverständnis, welches auf dem Zusammenhang zwischen Erleben und Literatur und damit v. a. zwischen Poesie und Liebe beruht habe. Am Weimarer Hof entwickelte er schließlich die Tendenz dahin, immer mehr auf die publizistische Verwertung seiner Werke bedacht zu sein. Die Forschung unterteilt das Gesamtwerk Goethes i. d. R. in die drei Phasen „Sturm und Drang“, „Weimarer Klassik“ sowie sein Alterswerk.
Sein Roman Die Leiden des jungen Werthers lässt sich dabei in die Literaturepoche des Sturm und Drang einordnen, in der eine neue Literaturkonzeption vertreten wurde, die sich von der Vorstellung einer normativen Poetik abwendet und bei der „[n]icht mehr die Regelpoetik, sondern das Genie, d.h. die schöpferische Kraft des dichterischen Individuums, […] im Mittelpunkt der neuen ästhetischen Auffassung [stand].“ (Stephan 2013, S.161) Im Vordergrund stand nicht mehr das Prinzip der Rationalität, sondern „Genialität, Spontaneität, Individualität, Gefühl, Empfindung, Natürlichkeit und Originalität“, wobei der Sturm und Drang keine Gegenbewegung zur Aufklärung darstellt, sondern als eine Fortführung dieser verstanden werden kann, indem der Schriftsteller „zum Sachverwalter der unterdrückten Vernunft und zum Kämpfer für die Rechte des Bürgertums [wurde]“ (ebd. S. 162). Dabei trat in den Romanen vor allem der bürgerliche Held und die Alltäglichkeit in den Vordergrund der Betrachtung, indem „alltägliche Probleme und Themen der eigenen Zeit und Nation behandel[t] [wurden]“ und es darum ging, „die Literatur in den Dienst des bürgerlichen Selbstfindungsprozesses zu stellen“ (ebd. S.175). Auch die Figur des jungen Werthers in Goethes Roman gehört dabei diesen bürgerlichen Helden an. „In den Leiden des jungen Werthers gestaltete Goethe den Typus des unzufriedenen jungen bürgerlichen Intellektuellen, dessen Integrationsversuche in die ständisch gegliederte Gesellschaft an der starken Hierarchie wie auch an der eigenen hohen Selbsteinschätzung scheitern.“ (ebd. S. 177) Der Selbstfindungsprozess missglückt und offenbart dadurch eine Unüberwindbarkeit gesellschaftlich etablierter Strukturen für die Selbstverwirklichung des Individuums. Dieser missglückte Integrationsversuch findet mit dem Suizid des Helden seinen Höhepunkt.
Der Selbstmord des jungen Werthers ließ die Rezipient*innen nicht nur „in tiefer Verwirrung [zurück]“, sondern hatte dem Anschein nach auch weitreichendere Auswirkungen, da es „eine erhebliche Anzahl von Selbstmorden unter den Werther-Lesern [gab]“ (ebd. S. 176). Die Wirkung des Romans beschränkt sich darüber hinaus „nicht auf das 18. Jahrhundert […]. Als Versuch, die Selbstverwirklichung des Individuums zu thematisieren, stellte Goethes Werther auch für die nachfolgenden Generationen eine Herausforderung dar “ (ebd.).
Literaturangaben
- Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers. Paralleldruck der beiden Fassungen. Hg. v. Matthias Luserke. Ditzingen 2023.
- Herrmann, Hans Peter: Einleitung. In: Ders. (Hg.): Goethes ‚Werther‘. Kritik und Forschung. Darmstadt 1994, S. 1–19. (Bibliothek des SDP: Signatur TG-8 2/112)
- Stephan, Inge: Aufklärung. In: Wolfgang Beutin, Matthias Beilein, Klaus Ehlert, Wolfgang Emmerich, Christine Kanz, Bernd Lutz, Volker Meid, Michael Opitz, Carola Opitz-Wiemers, Ralf Schnell, Peter Stein und Inge Stephen: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 2013, S. 151–184.
- Schlaffer, Hannelore: Art. Goethe, Johann Wolfgang. In: Lutz, Bernd (Hg.): Metzler Autoren Lexikon. Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Stuttgart 1986, S. 195–201. (Bibliothek des SDP: Signatur I 1.67)
Vorschlag des Niedersächsischen Kerncurriculums
Goethes Werther wird für das Wahlpflichtmodul 2 im Bereich des ersten Rahmenthemas „Literatur und Sprache um 1800“ vorgeschlagen. Das Wahlpflichtmodul soll insofern ergänzend wirken, als beispielhafte Texte – wie etwa der Werther – erschlossen und am Übergang von Aufklärung zur Romantik verortet werden können.
Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Deutsch. Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe. Hannover 2016.
Ausgaben
- Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers: Leipzig 1774. Mit einem Kommentar von Wilhelm Große. Frankfurt am Main 1998. (SDP-Bibliothek: Signatur E-5 13/450:5 Mag; SUB: Signatur HS 600 Goet:z = 2001 A 18785)
- Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers. Paralleldruck der beiden Fassungen. Herausgegeben von Matthias Luserke. Ditzingen 1999. (Studienausgabe)
Weiterführende Literatur / Ressourcen
- Goethezeitportal
- Scherpe, Klaus: Werther und Wertherwirkung. Zum Syndrom bürgerlicher Gesellschaftsordnung im 18. Jahrhundert. Bad Homburg V. D. H./Berlin/Zürich 1970. [SDP-Bibliothek: Signatur TG-8 2/73]
Lesedauer
- Individuelle Lesezeit: ca. 3-4 Stunden
- Hörbuch, gelesen von Maximilian Laprell: 5 Stunden und 16 Minuten
Leseprobe
„Unmut und Unlust hatten in Werthers Seele immer tiefer Wurzel geschlagen, sich fester untereinander verschlungen und sein ganzes Wesen nach und nach eingenommen. Die Harmonie seines Geistes war völlig zerstört, eine innerliche Hitze und Heftigkeit, die alle Kräfte seiner Natur durcheinanderarbeitete, brachte die widrigsten Wirkungen hervor und ließ ihm zuletzt nur eine Ermattung übrig, aus der er noch ängstlicher empor strebte, als er mit allen Übeln bisher gekämpft hatte. Die Beängstigung seines Herzens zehrte die übrigen Kräfte seines Geistes, seine Lebhaftigkeit seinen Scharfsinn auf, er ward ein trauriger Gesellschafter, immer unglücklicher, und immer ungerechter, je unglücklicher er ward. [...]
Das klare Wetter konnte wenig auf sein trübes Gemüt wirken, ein dumpfer Druck lag auf seiner Seele, die traurigen Bilder hatten sich bei ihm festgesetzt, und sein Gemüt kannte keine Bewegung als von einem schmerzlichen Gedanken zum andern.“
(Zitat: TextGrid Repository (2012). Johann Wolfgang von Goethe: Werke. Romane. Die Leiden des jungen Werther. TextGrid Digitale Bibliothek)
Was finden wir an dem Text interessant?
Goethes Werther ist seit jeher einer der Klassiker deutscher Literatur und wird nach wie vor von nahezu allen Schüler:innen in Deutschland gelesen. Gerade die tiefen Einblicke in die Gedankenwelt des jungen Werthers, insbesondere der Umgang mit seiner Liebe zu Lotte, werden eindrucksvoll beschrieben. Die unüblichere Form des Briefromans stellt ebenfalls ein besonderes Merkmal des Textes dar.
Steven Bade und Christopher Lütjen (M.Edu.-Studierende)