Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1814). Erzählung
Inhalt
Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte, erstmals erschienen 1814, erzählt die fantastische Lebensgeschichte eines Mannes, der – von Armut getrieben – in einem Moment der Verführung seinen Schatten an einen geheimnisvollen, teufelsähnlichen Grauen Herrn verkauft – im Tausch gegen einen nie versiegenden Geldbeutel. Zunächst scheint der Pakt ein Glücksfall: Schlemihl kann sich nun alle materiellen Wünsche erfüllen. Doch bald wird ihm bewusst, dass der Verlust seines Schattens ihn zum gesellschaftlichen Außenseiter macht. Die Menschen meiden ihn, reagieren mit Angst oder Ekel, denn ein Mensch ohne Schatten erscheint ihnen unheimlich und unmenschlich. Auch seine große Liebe Mina wendet sich von ihm ab. Schlemihl zieht sich zurück, verzichtet auf weitere Angebote des Grauen Herrn, etwa auch seine Seele gegen den Schatten zurückzutauschen, und wählt den einsamen Weg der Selbsterkenntnis. Durch Wissenschaft und Reisen, nicht durch Reichtum oder gesellschaftliches Ansehen, sucht er einen neuen Sinn im Leben. Am Ende lebt er als Wanderer und Naturforscher in Abgeschiedenheit – geächtet, aber innerlich gefestigt. Die Geschichte ist rückblickend erzählt, als schriftlicher Bericht des gealterten Schlemihl an einen Freund.
Einordnung
Adelbert von Chamisso (1781–1838) war ein deutschsprachiger Dichter französischer Herkunft und außerdem Naturforscher. Seine Erzählung Peter Schlemihls wundersame Geschichte erschien 1814. Sie gehört zur Epoche der Romantik, hat aber auch schon Bezüge zum Biedermeier.
Die Geschichte gilt als Kunstmärchen. Chamisso verbindet darin Fantastisches mit ernsten Fragen. Bekannte Motive wie der Pakt mit dem Teufel werden neu gestaltet: Peter Schlemihl verkauft nicht seine Seele, sondern seinen Schatten. Dadurch verliert er Ansehen und wird zum Außenseiter. Der Schatten steht dabei u.a. für gesellschaftliche Anerkennung und ohne ihn kann Schlemihl nicht am bürgerlichen Leben teilnehmen.
Das Werk greift Themen auf, die für die Romantik typisch sind: das Fremdsein, die Suche nach Identität und das Spiel mit dem Wunderbaren. Gleichzeitig stellt es Fragen, die bis heute aktuell sind: Was macht den Wert eines Menschen aus? Welche Bedeutung haben Besitz, Reichtum und gesellschaftliche Regeln?
Literaturangaben
- Feudel, Werner: Adelbert von Chamisso: Leben und Werk. Leipzig: Reclam 1971.
- Mann, Thomas: Chamisso. In: Th. M.: Ausgewählte Essays in 3 Bänden. Bd. 1: Leiden und Größe der Meister. Frankfurt: Fischer 1982, S. 124–142 (zu Schlemihl: S. 134–142).
Ausgaben
- Chamisso, Adelbert v.: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Stuttgart: Reclam 1986.
- Chamisso, Adelbert v.: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Hg. und kommentiert v. Thomas Betz und Lutz Hagestedt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. (SPD-Bibliothek: Signatur E-5 13/450:37 Mag)
Weiterführende Literatur / Ressourcen
- Brüggemann, Heinz: Peter Schlemihls wundersame Geschichte der Wahrnehmung. Über Adelbert von Chamissos literarische Analyse visueller Modernität. In: Bild und Schrift in der Romantik. Hg. v. Gerhard Neumann. Würzburg 1999, S. 143–188.
- Walach, Dagmar: Adalbert von Chamisso: „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. In: Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts. Bd. 1. Stuttgart 1988, S. 221-155.
- Internationale Chamisso-Gesellschaft
Lesedauer
- individuelle Lesezeit: ca. 100 Minuten
Leseprobe
„»Möge der Herr meine Zudringlichkeit entschuldigen, wenn ich es wage, ihn so unbekannter Weise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn. Vergönnen Sie gnädigst –« – »Aber um Gotteswillen, mein Herr!« brach ich in meiner Angst aus, »was kann ich für einen Mann tun, der –« wir stutzten beide, und wurden, wie mir deucht, rot.
Er nahm nach einem Augenblick des Schweigens wieder das Wort: »Während der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoß, mich in Ihrer Nähe zu befinden, hab ich, mein Herr, einige Mal – erlauben Sie, daß ich es Ihnen sage – wirklich mit unaussprechlicher Bewunderung den schönen, schönen Schatten betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich werfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Füßen. Verzeihen Sie mir die freilich kühne Zumutung. Sollten Sie sich wohl nicht abgeneigt finden, mir diesen Ihren Schatten zu überlassen.«
Er schwieg, und mir ging's wie ein Mühlrad im Kopfe herum. Was sollt ich aus dem seltsamen Antrag machen, mir meinen Schatten abzukaufen? Er muß verrückt sein, dacht ich, und mit verändertem Tone, der zu der Demut des seinigen besser paßte, erwiderte ich also: »Ei, ei! guter Freund, habt Ihr denn nicht an Eurem eignen Schatten genug? das heiß ich mir einen Handel von einer ganz absonderlichen Sorte.« Er fiel sogleich wieder ein: »Ich hab in meiner Tasche manches, was dem Herrn nicht ganz unwert scheinen möchte; für diesen unschätzbaren Schatten halt ich den höchsten Preis zu gering.«“
(Zitat: TextGrid Repository (2012). Adelbert von Chamisso: Erzählungen. Peter Schlemihls wundersame Geschichte. TextGrid Digitale Bibliothek.)
Was finde ich an dem Text interessant?
Peter Schlemihls wundersame Geschichte ist wirklich wundersam. Auf der einen Seite wird auf eine besondere Art Fantasie mit Realität vermischt, die so einen spannenden Weg bietet, um über gesellschaftliche Werte und Normen, Identität sowie die Rolle von Besitz und Reichtum nachzudenken. Auf der anderen Seite verändert die Geschichte ab einem gewissen Punkt ihren Stil, sodass man als Leser*in den Eindruck bekommt, den Faden zu verlieren. Das bietet wiederum viel Spielraum für Diskussionen und Interpretation, was das Werk sehr lesenswert macht.
Laura Schuldt (M.Edu.-Studierende)