Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910). Roman

Inhalt


Rilkes Werk besteht aus fragmentarischen Tagebuchnotizen des jungen, mittellosen Dichters Malte Laurids Brigge, der in Paris lebt. Zu Beginn schildert er in seinen Aufzeichnungen seine Wahrnehmungen der Großstadt, seiner Krankheit und der Vereinsamung sowie Erinnerungen an die Kindheit und Familie. Er denkt viel über den Tod nach, besonders über den seines Großvaters, der zwei Monate lang im Sterben lag. Aber auch über den Tod seiner anderen Familienmitglieder schreibt Malte. Daneben reflektiert er über Kunst, Religion und die Rolle des Dichters. Dabei gibt es kaum eine lineare Handlung in dem Werk, es ist eher ein Mosaik aus Eindrücken, Reflexionen und inneren Monologen, die Einblicke in die seelische sowie geistige Krise des Protagonisten Malte Laurids Brigge geben.

Einordnung


Rainer Maria Rilkes Werk Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge markiert einen Wendepunkt in der Entwicklung des deutschsprachigen Romans. Es wird aufgrund seiner innovativen Erzähltechnik als der erste genuin moderne Roman der deutschsprachigen Literatur angesehen (vgl. Engel 2004, S. 318). In der Forschung wurde das Werk jedoch lange Zeit vordergründig biografisch interpretiert, in dem man die Figur des Malte Laurids Brigge in unmittelbare Nähe zu Rilkes eigenen Pariser Erfahrungen rückte. Diese reduktionistische Lesart führte dazu, dass der Roman häufig lediglich als Darstellung des Scheiterns eines empfindsamen Künstlerindividuums an der Großstadtwirklichkeit verstanden wurde. Eine Betrachtung im größeren literatur- und ideengeschichtlichen Kontext zeigt jedoch, dass Rilkes Werk weit über diese enge Deutung hinausgeht. Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge stehen am Beginn einer Entwicklung, die den Roman des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägte. Im Anschluss an die von Nietzsche formulierten Fragestellungen der Moderne thematisiert der Text grundlegende Probleme des modernen Bewusstseins. Zu den zentralen Aspekten zählen hierbei eine neue Auffassung von Wirklichkeit und Subjektivität sowie kulturkritische Reflexionen über die Stellung des Menschen in der modernen Welt. Somit kann Rilkes Roman als paradigmatischer Ausdruck der geistigen und ästhetischen Umbrüche der literarischen Moderne gelten (vgl. ebd., S. 319).

Literaturangaben


  • Engel, Manfred (Hg.): Rilke-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2004.


Ausgaben


  • Rilke, Rainer Maria: Werke. Kommentierte Ausgabe in 4 Bdn. Hg. v. Manfred Engel et al. Bd. 3: Prosa und Dramen. Hg. v. August Stahl. Frankfurt a.M.: Insel Verlag 1996. (SDP-Bibliothek, Signatur: W-RI 50 1/3:3)
  • Rilke, Rainer Maria: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Reclam-Studienausgabe, Stuttgart 1997.


Weiterführende Literatur / Ressourcen


  • Engel, Manfred (Hg.): Rilke-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2004.
  • Freedman, Ralph: Rilke. The Life of the Poet. New York 1996. Safranski, Rüdiger: Goethe. Kunstwerk des Lebens. Biographie. München 2013.


Lesedauer


  • Seitenzahl: ca. 230 Seiten
  • individuelle Lesezeit: 6–7 Stunden


Leseprobe


„So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier. Ich bin ausgewesen. Ich habe gesehen: Hospitäler. Ich habe einen Menschen gesehen, welcher schwankte und umsank. Die Leute versammelten sich um ihn, das ersparte mir den Rest. Ich habe eine schwangere Frau gesehen. Sie schob sich schwer an einer hohen, warmen Mauer entlang, nach der sie manchmal tastete, wie um sich zu überzeugen, ob sie noch da sei. Ja, sie war noch da. Dahinter? Ich suchte auf meinem Plan: Maison d'Accouchement. Gut. Man wird sie entbinden – man kann das. Weiter, rue Saint-Jacques, ein großes Gebäude mit einer Kuppel. Der Plan gab an Val-de-grâce, Hôpital militaire. Das brauchte ich eigentlich nicht zu wissen, aber es schadet nicht. Die Gasse begann von allen Seiten zu riechen. Es roch, soviel sich unterscheiden ließ, nach Jodoform, nach dem Fett von pommes frites, nach Angst. Alle Städte riechen im Sommer. Dann habe ich ein eigentümlich starblindes Haus gesehen, es war im Plan nicht zu finden, aber über der Tür stand noch ziemlich leserlich: Asyle de nuit. Neben dem Eingang waren die Preise. Ich habe sie gelesen. Es war nicht teuer.“

(Zitat: TextGrid Repository (2012). Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. TextGrid Digitale Bibliothek)

Was finde ich an dem Text interessant?


Für mich waren die Schilderungen der Pariser Großstadt besonders eindrücklich.

Nele Ellmer (M.Edu.-Studierende)