Arthur Schnitzler: Fräulein Else (1924). Novelle
Inhalt
Schnitzlers Novelle spielt in einem italienischen Kurort. Die 19-jährige Else, Tochter einer Wiener Juristenfamilie, erhält zu Beginn von ihrer Mutter einen Brief mit der Bitte, bei einem wohlhabenden Bekannten, namens Herrn von Dorsday, Geld für ihren verschuldeten Vater zu erbitten. Aufgrund dieser Bitte fühlt sich Else in eine Zwangslage versetzt, doch sie geht ihr nach langen Überlegungen dennoch nach. Dorsday erklärt sich unter der Bedingung, dass Else sich nackt zeigt, dazu bereit, ihr das Geld auszuhändigen. Diese Bedingung führt Else zu einem inneren Konflikt zwischen Scham, Verzweiflung und ihrer gesellschaftlichen Pflicht. Am Ende der Novelle überwindet Else ihre Scham und entkleidet sich öffentlich. Nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hat und der Bitte der Mutter nachgegangen ist, nimmt sie eine Überdosis Veronal ein, die zunächst zu einem traumartigen Zustand und letztlich vermutlich zu ihrem Tod führt.
Einordnung
Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else entstand zwischen 1921 und 1924 und stellt die zweite größere Erzählung dar, die in der sogenannten „Gustl-Technik“, also im inneren Monolog, verfasst wurde. Der Ursprung der Idee reicht jedoch bis in die 1880er und 1890er Jahre zurück. In einem frühen Entwurf aus dem Sommer 1921 formulierte Schnitzler die Grundidee der Novelle: „Ein junges Mädchen tritt nackt in den Speisesaal eines Berghotels“ (Jürgensen et al., S. 280) und behauptet, ausgeraubt worden zu sein, um die Männer in dem Raum auf die Probe zu stellen. Das Motiv des gesellschaftlichen Skandals bildet die thematische Grundlage der Novelle und verweist auf zentrale Konfliktfelder bürgerlicher Moralvorstellungen. Insbesondere die Frage der weiblichen Ehre, die auf gesellschaftlichem Ansehen sowie auf dem Diskurs um Diskretion und Anstand basiert, spielt eine zentrale Rolle. Im Verlauf der weiteren Ausarbeitung verschob Schnitzler den Fokus von der provokanten Handlung hin zur psychologischen und moralischen Dimension der Erpressung, die bereits in früheren Entwürfen angedeutet ist. Während die ersten beiden Entwürfe noch in der dritten Person verfasst waren, plante Schnitzler danach, die Erzählung im inneren Monolog zu gestalten, wie ein Tagebucheintrag vom August 1921 belegt. Schnitzler selbst bewertete seinen Text zunächst positiv, äußerte jedoch kurz vor Drucklegung Zweifel am Schluss der Erzählung. Die Erstveröffentlichung erfolgte im Oktober 1924 in der Neuen Rundschau, die Buchausgabe im November desselben Jahres im Verlag Paul Zsolnay. Fräulein Else ist ein Werk, das sowohl formal als auch thematisch eine Weiterentwicklung von Schnitzlers innerpsychologischer Erzähltechnik markiert und zugleich die gesellschaftlichen Spannungsfelder der 1920er Jahre reflektiert (vgl. ebd.).
Literaturangaben
- Jürgensen, Christoph / Wolfgang Lukas / Michael Scheffel (Hg.): Schnitzler-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. 2., aktualisierte und erweiterte Aufl. Berlin/Heidelberg 2022.
Ausgaben
- Schnitzler, Arthur: Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften in 2 Bdn. Bd. 2. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 1981, S. 324–381. (SPD-Bibliothek, Signatur: W-SCHN 40 1/4:2)
- Schnitzler, Arthur: Fräulein Else. Reclam-Studienausgabe, Stuttgart 2021.
Weiterführende Literatur / Ressourcen
- Fliedl, Konstanze: Arthur Schnitzler. Poetik der Erinnerung. Wien 1997.
- Jürgensen, Christoph / Wolfgang Lukas / Michael Scheffel (Hg.): Schnitzler-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. 2., aktualisierte und erweiterte Aufl. Berlin/Heidelberg 2022.
Lesedauer
- Seitenzahl: ca. 120 Seiten
- individuelle Lesezeit: 3–4 Stunden
Leseprobe
„„»Du willst wirklich nicht mehr weiterspielen, Else?« – »Nein, Paul, ich kann nicht mehr. Adieu. – Auf Wiedersehen, gnädige Frau.« – »Aber, Else, sagen Sie mir doch: Frau Cissy. – Oder lieber noch: Cissy, ganz einfach.« – »Auf Wiedersehen, Frau Cissy.« – »Aber warum gehen Sie denn schon, Else? Es sind noch volle zwei Stunden bis zum Dinner.« – »Spielen Sie nur Ihr Single mit Paul, Frau Cissy, mit mir ist‘s doch heut‘ wahrhaftig kein Vergnügen.« – »Lassen Sie sie, gnädige Frau, sie hat heut‘ ihren ungnädigen Tag. – Steht dir übrigens ausgezeichnet zu Gesicht, das Ungnädigsein, Else. – Und der rote Sweater noch besser.« – »Bei Blau wirst du hoffentlich mehr Gnade finden, Paul. Adieu.«“
(Zitat: TextGrid Repository (2012). Arthur Schnitzler: Fräulein Else. TextGrid Digitale Bibliothek)
Was finde ich an dem Text interessant?
Für mich ist der innere Monolog besonders bemerkenswert, da auf diese Weise ein unmittelbarer Einblick in die Gedankenwelt der Protagonistin ermöglicht wird.
Nele Ellmer (M.Edu.-Studierende)