Botho Strauß: Paare Passanten (1981). Prosaband

Inhalt


Der Prosaband besteht aus einer Reihe von kurzen aufeinanderfolgenden Prosatexten. Oftmals handelt es sich dabei um kurze Erzählskizzen oder -texte, die durch gesellschaftskritische Reflexionen ergänzt werden. Eine durchgehende Handlung oder feste Figuren gibt es dabei nicht. Es werden stattdessen verschiedene Begegnungen, Gespräche und Situationen von Menschen geschildert, die meist anonymisiert in einer Großstadt leben. Dabei handelt es sich um Momentaufnahmen alltäglicher Erlebnisse und Beziehungen, welche durch die Abfolge kurzer Episoden ein mosaikartiges Bild verschiedener menschlicher Begegnungen und Erfahrungen ergeben.

Einordnung


Botho Strauß‘ (*1944) Paare Passanten wurde erstmals 1981 veröffentlicht und gehört zu einer Reihe von fünf Prosabänden (Niemand anderes, 1987; Die Fehler des Kopisten, 1997; Die Nacht mit Alice, als Julia ums Haus schlich, 2003; Mikado, 2006), die thematisch um die Sehnsucht nach Nähe, die Erfahrung von Einsamkeit und die gesellschaftliche Dimension individueller Krisen kreisen (Strauß 2019, S. 29 ff.). Strauß gilt als prägnanter Beobachter der modernen individuellen und beziehungsgebundenen Erfahrungen und zählt damit zu den wichtigsten deutschsprachigen Autoren des späten 20. Jahrhunderts (Beutin et al. 2019, S. 665). Seine Werke entstanden vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umbrüche in der Bundesrepublik, welche durch zunehmende Individualisierungen und Entfremdungen infolge der Nach-68er-Jahre geprägt waren.
Die Epochen-Einordnung von Paare Passanten ist in der Forschung umstritten, da das Werk sowohl Merkmale der literarischen Moderne als auch der Postmoderne aufweist. Thomas Anz (1990) betont, dass es „wenig sinnvoll“ (ebd., S. 411) sei, das Werk als postmodern zu bezeichnen, da es „sich mit nur geringfügigen Einschränkungen ganz im Umkreis der literarischen Moderne bewegt“ (ebd.). Diese Einschätzung stützt sich vor allem auf Strauß‘ ernste Auseinandersetzung mit Fragen nach der Identität, Sinnsuche und Entfremdung, die als typische Themen für die ästhetische Moderne gelten. Auch seine sprachliche Dichte und reflektierte Schreibweise zeigen eine Nähe zur selbstreflexiven Erzählweise dieser Epoche.
Gleichzeitig weist das Werk auch postmoderne Elemente auf. Vor allem die fragmentarische Struktur, die Vielzahl von unverbundenen Prosastücken und der Verzicht auf eine lineare Handlung entsprechen laut Wolfgang Welsch (1997, S. 79) der Offenheit und Mehrdeutigkeit postmoderner Texte. Zudem spiegeln die isolierten Figuren, die an den oberflächlichen und kurzlebigen Beziehungen ihrer Zeit scheitern, das Bild einer zerrissenen und vielschichtigen Gesellschaft, was ebenfalls ein typisches Bild der Postmoderne darstellt. Das Werk lässt sich dementsprechend an einer Schnittstelle zwischen der Moderne und Postmoderne einordnen. Gattungspoetisch handelt es sich bei dem Werk um einen Prosaband, genauer um eine Sammlung von kurzen Prosatexten, die thematisch oder stilistisch miteinander verbunden sind, aber keine durchgehende Handlung bilden. Strauß kombiniert dabei erzählerische, essayistische und reflektierte Passagen. Aufgrund dieser offenen Form ist es ihm möglich, verschiedene Situationen, Gedanken und Perspektiven nebeneinander darzustellen und so ein vielschichtiges Bild der Lebenswirklichkeit zu erschaffen.

Literaturangaben


  • Anz, Thomas: Modern, postmodern? Botho Strauß’ „Paare, Passanten“. The German Quarterly 63/3–4 (1990), S. 404–411.
  • Beutin, Wolfgang / Matthias Beilein / Klaus Ehlert / Wolfgang Emmerich / Christine Kanz / Bernd Lutz / Volker Meid / Michael Opitz / Carola Opitz-Wiemers / Ralf Schnell / Peter Stein / Inge Stephan: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 9. Aufl. Stuttgart: J. B. Metzler 2019.
  • Strauß, Botho: Paare Passanten. Neuausgabe. München: Carl Hanser Verlag 2019.
  • Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne [1987]. 5. Aufl. Berlin: Akademie Verlag 1997.


Ausgaben


  • Strauß, Botho: Paare Passanten. München: Carl Hanser Verlag 1981.
    (SDP-Bibliothek, Signatur: X-STR 10 4/12; Bibliothek Waldweg, Abt. Fachdidaktik, Signatur: D I 1276/7)
  • Strauß, Botho: Paare Passanten. Neuausgabe. München: Carl Hanser Verlag 2019.


Weiterführende Literatur / Ressourcen


  • Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Botho Strauß. 2. Auflage (Neufassung). München: edition text+kritik 1998. (Text+Kritik Bd. 81)
  • Theisohn, Philipp: Denken nach Botho Strauß. Begegnungen in einer anderen Zeit. Berlin: Matthes & Seitz 2024.


Lesedauer


  • Seitenzahl: 228 Seiten
  • individuelle Lesezeit: ca. 6 Stunden, 30 Minuten


Leseprobe


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Aufgrund der Vielzahl kurzer Prosastücke ohne einen übergeordneten linearen Handlungsstrang entsteht kein kontinuierlicher Lesefluss. Da sich die meisten Fragmente auf einen Moment, eine Begegnung oder einen Gedankengang konzentrieren, wird eine fragmentgebundene Spannung erzeugt. Gleichzeitig bleibt beim Lesen fortwährend das Gefühl zurück, sich lediglich in einem Geflecht aus Eindrücken zu bewegen. Rückblickend lässt sich kaum sagen, welche einzelnen Fragmente man gelesen hat, sondern vielmehr, welche Stimmungen oder Gedanken dabei haftengeblieben sind. Damit vermittelt der Text ein Leseerlebnis, welches der Wahrnehmung in einer Großstadt ähnelt. Es ist von flüchtigen, vielschichtigen Momenten geprägt, welche sich zu einem subjektiven Gesamteindruck verdichten.

Annika Bührmann (M.Edu.-Studierende)