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Heterogenität der Lernenden – interindividuelle Differenzen in den Lernervoraussetzungen

Donnerstag, 12. Juni 2003
Ort: Hörsaal I im Waldweg 26, Göttingen
Zeit: 13.30 bis 15.30 Uhr
Moderation: Vera Husfeldt

Arbeitsrelevante Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Lernen – Ergebnisse einer Evaluationsstudie in Berlin (LABEL 8-10)
Roumiana Nikolova & Rainer Peek (Berlin)


Der Einfluss individueller Differenzen in der Ambiguitätstoleranz auf den Wissensaufbau bei Lehramtsstudierenden in 'situierten Lernbedingungen'
Maria Fölling-Albers, Andreas Hartinger & Dženana Mörtl-Hafizoviæ (Regensburg)


Das 'schulbiographische Passungsverhältnis' – Über Prozesse der Differenzierung und Integration im Verhältnis von Schülerbiographie und Schulkultur
Rolf-Torsten Kramer (Halle/Saale)



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Arbeitsrelevante Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Lernen – Ergebnisse einer Evaluationsstudie in Berlin (LABEL 8-10)
Roumiana Nikolova & Rainer Peek (Berlin)


Die empirische Bildungsforschung in Deutschland konzentriert sich in ihren Studien zur Leistungsfähigkeit des Bildungssystems weitgehend auf das allgemeinbildende Schulwesen. Sonderschulen mit ihren besonderen Bedingungen von Heterogenität und ihrem spezifischen Auftrag zur Differenzierung und Integration bleiben in den groß angelegten large scale assessments wie z. B. LAU, PISA oder IGLU entweder völlig ausgeschlossen oder werden nur randständig einbezogen. Die Berliner LABEL-Untersuchung gilt in Deutschland als erste Studie dieser Art, die auf den Sonderschulbereich fokussiert ist.

Zu Beginn des Schuljahres 2002/03 wurde in sämtlichen 42 Berliner Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen eine Untersuchung zu den erreichten Lernständen in Deutsch (Leseverständnis), Mathematik und zur Informationsentnahme aus Karten, Tabellen und Diagrammen sowie zu Einstellungen gegenüber Lernen, Arbeit und Technik durchgeführt, in die sämtliche ca. 2.300 Schülerinnen und Schüler der 8., 9. und 10. Klassenstufe mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf "Lernen" einbezogen waren.

In dem Beitrag wird zunächst das Konzept und das Instrumentarium der Studie vorgestellt, wobei die Anbindung an das Projekt "Netzwerk Berliner Schülerfirmen (NBS)" betont wird. Den Schwerpunkt des Referats bildet die Vorstellung zentraler Befunde der Untersuchung, wobei Unterschiede in den Leistungen und Einstellungen der Schülerschaft als Differenzen in Stadtbezirken, Klassenstufen, Schulen und Klassen vor dem Hintergrund von Unterschieden in den kognitiven Voraussetzungen (Intelligenz), in der Muttersprache, im Geschlecht und in der bisherigen Lernbiografie der Schülerinnen und Schüler zur Diskussion gestellt werden.


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Der Einfluss individueller Differenzen in der Ambiguitätstoleranz auf den Wissensaufbau bei Lehramtsstudierenden in 'situierten Lernbedingungen'
Maria Fölling-Albers, Andreas Hartinger & Dženana Mörtl-Hafizoviæ (Regensburg)


Die Umsetzung aktueller Modelle des Schriftspracherwerbs stellt (künftige) Lehrer/innen vor immer komplexere Anforderungen. Traditionelle Wege der Lehrerbildung geraten hier an ihre Grenzen; erforderlich sind Methoden zum Aufbau einer Wissensbasis, die sich durch einen hohen Grad an Anwendungsqualität und Komplexität auszeichnet. Die Integration situierter Lernformen in die universitäre Lehre könnte hier hilfreich sein.

Gleichzeitig ist zu erwarten, dass nicht alle Lernergruppen gleichermaßen von solchen Formen situierten Lernens gleichermaßen profitieren. Es kann z.B. angenommen werden, dass bei Personen mit geringer Ambiguitätstoleranz die positiven Wirkungen situierter Lernumgebungen durch die Scheu vor den damit implizierten komplexen, authentischen und damit ‚ungewissen‘ kognitiven Situationen "nicht greifen". Diese Personen könnten evtl. eher von traditionell-textbasierten Lernsituationen profitieren.

Diese Vermutungen wurden in einem 2x2-faktoriellen Design empirisch überprüft. Inhalte der Einführungsveranstaltung "Schriftspracherwerb" wurden entweder situiert (ausgehend von protokollierten Unterrichtsszenen bzw. von Verschriftungen von Schüler/innen) oder traditionell-textbasiert behandelt. Die einzelnen Gruppen wurden so eingeteilt, dass in jeder Gruppe gleichermaßen viele Personen mit hoher und geringer Ambiguitätstoleranz unterrichtet wurden. An der Veranstaltung nahmen alle Erstsemesterstudierenden für das Lehramt an Grundschulen der Universität Regensburg teil.

Abhängige Variablen waren sowohl die Wissensinhalte der Seminarsitzungen sowie die Fähigkeit, Schülerverschriftungen korrekt zu diagnostizieren sowie angemessene Fördermaßnahmen für Schüler/innen zu finden.

Die erste Auswertung der Ergebnisse zeigt eine grundsätzliche Überlegenheit der situierten Lernbedingung. Wechselwirkungen zur Ambiguitätstoleranz der Studierenden verschwinden zunehmend im Laufe der Untersuchung.


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Das 'schulbiographische Passungsverhältnis' – Über Prozesse der Differenzierung und Integration im Verhältnis von Schülerbiographie und Schulkultur
Rolf-Torsten Kramer (Halle/Saale)


Der Beitrag behandelt die Frage, welche Prozesse der Differenzierung und Integration sich im Wechselspiel von Schülerbiographie und Schulkultur herausarbeiten lassen. Es wird die These vertreten, dass auf der Ebene der Einzelschule vor dem Hintergrund der unterschiedlichen familiären und biographischen Kontexte der Schüler teils deutlich sichtbare, teils sehr verdeckt wirkende Prozesse der Differenzierung und Integration einsetzen.

Die empirische Basis liefert eine qualitative Studie, in der 6 lebensgeschichtliche Interviews mit Schülern der 10. Klasse eines traditionsreichen ostdeutschen Gymnasiums biographisch analysiert und mit der Rekonstruktion der Schulkultur dieses Gymnasiums vermittelt wurden. Die Ergebnisse dieser Kontrastierung und Vermittlung münden in ein Modell des "schulbiographischen Passungsverhältnisses".

Dieses Modell geht für die Schülerbiographie und die Schulkultur von zwei symbolischen Ordnungen mit unterschiedlich starken wechselseitigen Einflussmöglichkeiten aus. Diese symbolischen Ordnungen konstituieren sich ihrerseits aus einem Spannungsverhältnis zwischen grundlegenden Strukturproblemen, habituellen Bearbeitungsstrategien sowie den imaginären Lösungsentwürfen. Zugleich eröffnen sich jeweils auch Transformationsspielräume in Abhängigkeit von biographischen und institutionellen Optionen.

Die Frage, wie sich Schüler auf eine Schule beziehen können, aber auch, wie Schule sich (unterschiedlich) auf (unterschiedliche) Schüler bezieht – wie sich also Prozesse der Integration und Differenzierung ausgestalten lassen –, soll exemplarisch in einem biographischen Porträt verdeutlicht werden.


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