Aktuelles
- Call for Articles: JLT 18/2 2024 »Die Praxis der Literaturtheorie«
- Call für Papers: Workshop »Kanonisierungspraktiken im Literaturstudium«, 22.-23.02.2024
- Vorträge
- Annotierte Bibliographie zur Literaturtheorie
Call for Articles
Journal of Literary Theory Bd. 18, Nr. 2 (2024)
Themenschwerpunkt »Die Praxis der Literaturtheorie«
Spätestens seit der Etablierung praxeologischer Forschung werden ›Theorie‹ und ›Praxis‹ nicht mehr als kategorialer Gegensatz aufgefasst. »[G]egen die Dichotomie von Praxis und Theorie richtet sich der Hinweis, dass Kontemplieren, Reflektieren oder eben Theoretisieren selbst bereits Aktivitäten sind«, so Steffen Martus und Carlos Spoerhase (2022, 173f.) Praxeologische Forschung hat unter verschiedenen Perspektiven erwiesen, dass das theoretische Sprechen als ›Theoretisieren‹ und damit ebenfalls als Praxis beschrieben werden kann (z.B. Schmidt 2016). Das gilt selbstverständlich auch für das Theoretisieren über Literatur.
In dem JLT-Heft sind Beiträge willkommen, die das Thema »Die Praxis der Literaturtheorie« aus literaturtheoretischer, praxeologischer oder fachgeschichtlicher Perspektive behandeln. Im Folgenden werden einige mögliche Leitfragen vorgeschlagen, die aber nur anregend verstanden werden sollen.
(1) Wie lässt sich ein Konzept von ›Literaturtheorie als Praxis‹ theoretisch ausbuchstabieren? Welche Konsequenzen hat es, wenn das etablierte Gegensatzpaar ›Theorie versus Praxis‹ oder auch die Trias ›Theorie – Methode – praktische Anwendung‹ modifiziert wird? Reicht eine Selbstbeobachtung bzw. Selbstreflexion der Literaturtheorie aus oder braucht es eine eigene Praxeologie? Welche Ein- und Ausschlussstrategien verfolgen theoretische Ansätze, z.B. Interpretationstheorien, hinsichtlich zugelassener Gegenstände, Verfahren und Sprechweisen? Worin könnten die ›implizite Logik‹ und die tricks of the trade (Becker 1998) des Theoretisierens über Literatur bestehen, was für eine Art von literacy kommt dabei zum Tragen?
(2) Mit praxeologischem Fokus lässt sich fragen: Wie wird theoretisiert? Gibt es – im Anschluss z.B. an Fleck oder Hacking – unterschiedliche ›Literaturtheorie-Stile‹, d.h. typische, voneinander unterscheidbare Vorgehensweisen, literaturtheoretische Themen zu behandeln? Wenn ja, welche sind es? Und worin genau unterscheiden sich solche Stile, z.B. in der Behandlung literaturtheoretischer Begriffe wie ›Literatur‹, ›Bedeutung‹ oder ›Interpretieren‹? Lassen sich unterschiedliche Arten des Argumentierens feststellen? Welche soziologischen Faktoren sind zu veranschlagen, wenn es um die Durchsetzung von Theorien geht? Wie lassen sich weitgehende praxeologische Perspektiven – über das sprachliche Produzieren theorieförmiger Aussagen hinaus etwa eine materielle, technikbezogene und körperliche Dimension von Handlungen – in konkrete Untersuchungen umsetzen?
(3) Welche fachgeschichtlichen Positionen und Entwicklungen lassen in Hinsicht auf das Aufstellen von Literaturtheorien, das Austragen theoretischer Debatten, die Auseinandersetzung über Begriffe und Verfahrensweisen nachzeichnen? Unter dieser Perspektive könnten synchron einzelne Positionen rekonstruiert und auf ihre Merkmale und Darstellungsstrategien hin untersucht werden oder es könnte diachron nach Tendenzen gefragt werden, die sich in verschiedenen Phasen der Theoriebildung gezeigt, durchgesetzt oder gerade nicht durchgesetzt haben. Warum haben sie sich durchgesetzt oder eben nicht? Welche Rolle spielen rekonstruierbare Netzwerke, Zitationsgemeinschaften und Schulenbildung? Wie verändert sich die Sicht auf theoriegeschichtliche Zäsuren und Kontinuitäten, wenn die Literaturtheorie als Praxis betrachtet wird?
Beiträge können aus der Literaturwissenschaft und benachbarten Disziplinen stammen, die sich mit diesen (und weiteren) Fragen im Zusammenhang mit der Praxis der Literaturtheorie befassen.
Die Beiträge sollten nicht mehr als 50.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) umfassen. Wir bitten um die Einreichung der Artikel bis zum 15. Februar 2024 über unsere Webseite JLTonline unter »Artikel« oder über die Redaktion.
Beiträge werden von unserem internationalen Beirat in einem doppelt anonymisierten Peer-Review-Verfahren begutachtet und für die Publikation ausgewählt.
BEITRÄGE, DIE NICHT DEN SCHWERPUNKTTHEMEN EINZELNER HEFTE GEWIDMET SIND, KÖNNEN JEDERZEIT ÜBER UNSERE WEBSITE EINGEREICHT WERDEN.
JLT publiziert Forschungsbeiträge zu systematischen Problemen der Literaturtheorie, zur Methodologie, zum Aufbau von Theorien und zur Begriffsbildung sowie zu einzelnen literaturtheoretischen Ansätzen. Einzelfallstudien – d. h. Studien zu einzelnen Autor:innen, Werken oder literaturgeschichtlichen Problemen – werden nur berücksichtigt, wenn sie auf ihren systematischen Ertrag hin ausgewertet sind, einen Beitrag zur Rekonstruktion der Geschichte der Literaturtheorie leisten oder innovative Methoden vorstellen.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an die Redaktion.
Literatur:
Becker, Howard S., Tricks of the Trade. How to Think about your Research while you’re Doing it, Chicago, IL 1998.
Martus, Steffen/Carlos Spoerhase, Geistesarbeit. Eine Praxeologie der Geisteswissenschaften, Frankfurt a.M. 2022.
Schmidt, Robert, Theoretisieren. Fragen und Überlegungen zu einem konzeptionellen und empirischen Desiderat der Soziologie der Praktiken, in: Hilmar Schäfer (Hg.), Praxistheorie, Bielefeld 2016, 245–263.
Call for Papers: Kanonisierungspraktiken im Literaturstudium
Literaturwissenschaftliche Tagung in Göttingen, 22.-23.02.2024
Organisation: Jana Eckardt, Frederik Eicks, Sören Kleist, Julia Wagner, Simone Winko
›Der‹ Kanon scheint sich derzeit in einem delikaten Schwebezustand zu befinden: Nach einer Phase scharfer Kritik in den 70er- und 80er-Jahren, in deren Folge er wenigstens im akademischen Feld fast völlig verschwand, befindet er sich seit rund drei Jahrzehnten in einem Aufwind, der ihn nicht nur ins Feuilleton, sondern auch zurück an die Universitäten getragen hat. Das aber wohlgemerkt in veränderter Gestalt, die immer deutlicher zu vernehmenden Forderungen und Wünschen nach einer Diversifizierung ›des‹ Kanons beziehungsweise nach der Bildung gruppenspezifischer Kanones entspringt – Kanon ja, aber Kanon nein. Auf welche Weise die kanonisierungsrelevanten philologischen und literaturwissenschaftlichen Institutionen des Literaturstudiums auf diesen nicht im strengen Sinne widersprüchlichen, mindestens aber im Umgang einiges Fingerspitzengefühl verlangenden Schwebezustand reagieren, lautet die Frage, die im Zentrum der Tagung steht.
Die Betonung der Praktiken der Kanonisierung kommt nicht von ungefähr, ist doch mit Blick auf einen der wenigen kanonwissenschaftlichen Konsense davon auszugehen, dass Kanones nicht das Resultat bewusster, prinzipiengeleiteter Entscheidungen für oder gegen einen bestimmten Kanon sind. Stattdessen ergeben sie sich aus einem komplexen Gefüge von Handlungen, die verschiedenste Ziele und Zwecke – in den allerseltensten Fällen die Einsetzung oder Aufrechterhaltung eines Kanons – verfolgen können. Vor diesem Hintergrund können praxeologische Perspektiven auf die unzähligen verschiedenen Praktiken, die von Lehrenden wie Studierenden an den Seminaren vollzogen werden und auf leisen Sohlen zu einer Kanonisierung bestimmter Werke beitragen, in besonderem Maße erhellend sein, um sich der Frage nach Kanonisierungsprozessen an Universitäten zu nähern. Denn aus diesem Blickwinkel heraus wird literaturwissenschaftliches Arbeiten nicht bloß als Anwendung expliziten Regel- und Methodenwissens begriffen, sondern nimmt beispielsweise habituelle und demgemäß implizite Formen an, die in der Regel nicht reflektiert werden.
Die Idee zur Tagung entstand im Zuge der selbstorganisierten Weiterarbeit zu den Inhalten der Veranstaltung ›Praxeologie der Literaturwissenschaft‹. Aus der Kritik an der NdL-Leseliste des Seminars für Deutsche Philologie der Universität Göttingen resultierte der Wunsch nach einer neuen Liste. Im Austausch darüber, wie so eine neue Liste aussehen könnte, kristallisierten sich schnell einige Schwierigkeiten heraus: Was sollten Absolvent:innen des Studiums der Germanistik gelesen haben? Wie kann eine Leseliste zum Lesen motivieren? Ist eine einfache Auflistung von Titeln noch zeitgemäß? Diese Fragen hatten eine Untersuchung von letztlich über 40 verschiedenen Leselisten – nur einer unter vielen Kanonisierungspraktiken im Literaturstudium – zur Folge, deren Ergebnisse wichtige Einblicke in den Kanon unseres Faches ermöglichen.
Andere Fragen, die durch diese Betrachtungsweise in den Fokus rücken, lauten:
- Welche Werke und Autor:innen werden in den Semesterprogrammen gelehrt? Geben hierbei Forschungsinteressen der Lehrenden den Ausschlag oder werden Seminare aus der Haltung heraus angeboten, Studierende sollten zu diesem bestimmten Thema gearbeitet haben?
- Wie sind die Semesterpläne einzelner Seminare gestaltet? Ein Semester Frühromantik hier ist nicht dasselbe wie ein Semester Frühromantik dort: Welche Texte werden für einzelne Sitzungen herangezogen?
- Welche Forschungstexte gelten als mustergültige Interpretationen und welche Werke interpretieren diese Texte?
- Werden beim typischen Zitierverhalten alle Verweise auf Primär- oder Quellentexte belegt? Welche Zitate werden tatsächlich als Zitat markiert, welche nicht?
- Was lesen Studierende? Welche Gründe spielen bei der Auswahl eine Rolle: Prüfungsaufgabe, Pflichtgefühl, Interesse etc.?
- Wie lesen Studierende? Allein oder in Gruppen? In welchen Räumen (am Schreibtisch, in der Bibliothek, im Café, …)? Mit welchen Werkzeugen (Bleistift, Textmarker, …)? In analoger oder digitaler Form?
- Worüber schreiben Studierende ihre Haus- und Abschlussarbeiten und welche Autor:innen zitieren sie dabei?
- Offenbaren sich Differenzen zwischen feststellbaren Praktiken und explizitem Regelwissen?
- ie werden solche per definitionem schwer fassbaren Kanonisierungspraktiken im Literaturstudium sichtbar? Welche Ressourcen hat die Literaturwissenschaft für diese metawissenschaftliche Forschung? Welche Forschungsdesiderate treten zutage?
- Ergeben sich aus dieser deskriptiven Forschung normative Konsequenzen für die literaturwissenschaftliche Praxis? Die Möglichkeiten der praktischen Umsetzung, die ebenfalls auf der Tagung diskutiert werden könnten, reichen von radikal-programmatischer Neuorientierung bis zum unbeirrten Weiter-So.
Im Sinne einer möglichst offenen, thematisch vielfältigen Gestaltung wird die Tagung in Form von Workshops stattfinden, die jeweils einen 20-minütigen Impulsvortrag mit anschließender 30-minütiger Diskussion vorsehen. Ihre Vorschläge (max. 300 Wörter) und Ihre Kurzbiografie senden Sie bitte bis zum 05.07.2023 an Julia Wagner.
Beiträge von Studierenden, Nachwuchswissenschaftler:innen und allen, die tendenziell noch nach Antworten suchen, statt sie schon gefunden zu haben, sind besonders erwünscht.
Vorträge
Stefan Descher / Merten Kröncke / Julia Wagner: Interpretationen plausibilisieren. Ergebnisse des ArguLit-Forschungsprojekts. Vortrag auf dem Neugermanistischen Kolloquium, Göttingen, 06. Juli 2023.
Urania Milevski / Simone Winko: Erzählte Argumente? Narrative Passagen und ihre Funktion für die Plausibilisierungsstrategien in literaturwissenschaftlichen Interpretationstexten. Vortrag auf dem Workshop "Geschichte(n) erzählen. Re-Konstruktion und Reflexion einer geisteswissenschaftlichen Praxis" (Petra Boden, Steffen Martus, Rüdiger Zill), HU Berlin, 11. bis 13. Mai 2023.
Annotierte Bibliographie zur Literaturtheorie
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