Auszug aus dem ausführlichen Forschungsprogramm des Kollegs:

Im Sinne der neuen Kulturgeschichte wird „Generationalität“ als Deutungsprozeß von Generationserfahrung und Generationsbewußtsein verstanden. Generation in diesem Sinne bezeichnet dann „ein Ensemble von alterspezifischen inhaltlichen Zuschreibungen, mittels derer sich Menschen in ihrer jeweiligen Epoche verorten“ bzw. verortet werden (Ute Daniel). Generationengeschichte ist daher – in Analogie zur Geschlechtergeschichte – ein Begriff
der Erfahrungsgeschichte, weil die jeweilige Kohortenzugehörigkeit im Prozeß der Erfahrungsbildung selber bearbeitet und im Lebenslauf verwandelt werden kann,


  • der Beziehungsgeschichte, weil sich jede Generation in der Geschichte nur in Beziehung zu einer anderen Generationseinheit verstehen kann, zumal sich solche Generationseinheiten nur durch eine solche Beziehung überhaupt erst konstituieren und historisch beobachten lassen,

  • der Gestaltgeschichte, weil sich die Ausprägung eines generationellen Stils als historische Markierung eines Epochengefühls eignet, das als kulturelle Deutungsleistung alle Bereiche der historischen Wirklichkeit neu zu ordnen vermag,

  • der Tradierungsgeschichte, weil sich nur durch die generationelle Tradierung überhaupt die historischen Dynamik begreifen läßt, die in krisenhaften Überlieferungsbrüchen zum Ausdruck kommt,

  • der Historisierungsgeschichte, weil der Begriff der historischen Generation selbst ein historisch gewordener Begriff ist, insofern er seit dem 18. Jahrhundert im Bewußtsein der eigenen historischen Perspektivierung entsteht und in der gesamten Moderne als Erinnerungsbegriff der eigenen Vergangenheit angewandt wird.




Insofern eignet sich der historische Zugang über die Generationsgeschichte zu einer Aufschlüsselung integraler Perspektiven auf die Geschichte der Moderne, und zwar in Verbindung von bisher oftmals getrennten Zugängen der Politik- und Kulturgeschichte, der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sowie der Ideen- und Mentalitätsgeschichte. Gleichzeitig erfordert die Generationengeschichte eine enge Kooperation mit Nachbardisziplinen wie der Historischen Pädagogik und der Historischen Soziologie sowie den Literatur- und Kulturwissenschaften. Sie ist in hohem Maße geeignet, etablierte Einzelfragestellungen zu integrieren und neue Untersuchungsfelder zu erschließen, von den „querelles des anciens et des modernes“ als Aufklärungsdiskurs über die revolutionären Generationen des 19. Jahrhunderts bis zu den „politischen Generationen“ der Weltkriegszeit und der „Erfindung des neuen Menschen“ im Zeitalter der Ideologien. Insgesamt geht es dabei immer um die historische Modulierung von „Erfahrungsraum und Erwartungshorizont“ (Reinhart Koselleck) durch den Generationszusammmenhang, der die spezifische Zeiterfahrung der Beschleunigung in der Moderne trägt.

Ziel des Graduiertenkollegs ist somit nicht die Gewinnung einer historischen Theorie der Generationen, sondern die Eröffnung einer neuen Perspektive auf die Grundfragen der historischen Erfahrungsbildung in der Moderne. Die Selbst- und Fremdkonstruktion von Generationen soll auch nicht als eine Art wiederkehrende Konstante des historischen Prozesses verstanden werden, der die alten Epochenbildungen quasi anthropologisch bestätigt oder revidiert. Es geht vielmehr darum, in der Kategorie Generation eine eigenständige Form der historischen Erfahrungsmodulation zu finden, die auf ganz unterschiedliche Weise den Akteurscharakter der Aushandlungsgeschichte – aus der neuen Sozialgeschichte – mit dem Stilcharakter der Deutungsgeschichte – aus der neuen Kulturgeschichte – verbindet.