Die Geschichte der Chemie an der Georg-August-Universität Göttingen

Die Anfänge der Chemie in Göttingen lassen sich bis zum Jahre 1748 zurückverfolgen. Damals hielt Johann Andreas von Segner die ersten chemischen Experimentalvorlesungen ab. Es mussten aber noch mehr als 30 Jahre ins Land gehen, bevor unter der Ägide von Johann Friedrich Gmelin (1775-1804) das erste chemische Laboratorium in der Hospitalstraße 7 errichtet wurde; dieser typisch Göttinger Fachwerkbau ("Scheiterhaufen, die mit Türen und Fenstern versehen sind" hat sie Gmelins Kollege, der Physiker Georg Christoph Lichtenberg genannt) ist noch heute zu bestaunen. Die Wohnung Gmelins befand sich im selben Haus. Wen wundert's, dass sein Sohn Leopold, in einer solchen Umgebung aufgewachsen, ebenfalls Chemiker wurde; dass er dann auch noch das bis heute wichtige "Gmelins Handbuch der Anorganischen Chemie" begründet hat, ist eine andere Geschichte.

Als Friedrich Wöhler im Jahre 1832 nach Göttingen kam, da war seine "Harnstoff-Synthese", die gezeigt hatte, dass es keine unüberwindbare Grenze zwischen Organischer und Anorganischer Chemie gibt, schon Geschichte. Der daraus von ihm und Liebig gezogene Schluss, dass " die Erzeugung aller organischen Materien [...] nicht allein wahrscheinlich, sondern als gewiss betrachtet werden muss", treibt uns noch 160 Jahre später zu unermüdlichen Arbeiten an. Einiges aus diesem wahrhaft umfassenden Forschungsprogramm hat er auch in Göttingen verwirklicht: So die Darstellung des Benzoylradikals, die erste Isolierung des Kokains oder die Synthese von Acetylen aus Calciumcarbid, auf der später ein ganzer Industriezweig aufbaute. Das Studentenleben zu Wöhlers Zeiten war manchmal ganz schön hart: Die organische Grundvorlesung fand viermal in der Woche um sechs Uhr morgens statt; glücklicherweise erweist man sich in Göttingen in dieser Hinsicht als nicht sonderlich traditionsbewusst. Wöhlers Nachfolger, Victor Meyer, hatte den Lehrstuhl lediglich von 1885 bis 1889 inne; in dieser Zeit entdeckte er das Thiophen und begann, dessen Chemie zu untersuchen.

Mit Otto Wallach (1889-1915) trat einer der fähigsten Chemiker der damaligen Zeit auf die Göttinger Bühne. Heutzutage mag allen, die Chemie betreiben, die Leukart-Wallach-Reaktion ein Begriff sein; der Nobelpreis, den der 1910 als erster Wissenschaftler an der Universität Göttingen erhielt, wurde ihm allerdings vor allem wegen seiner bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Terpene zuerkannt. Um der wachsenden Spezialisierung in der Chemie gerecht zu werden, wurden während seiner Amtszeit zwei neue chemische Institutionen in Göttingen geschaffen: 1894 gründete Walter Nernst das Institut für Physikalische Chemie. Und neun Jahre später öffnete das Institut für Anorganische Chemie, das das erste seiner Art in Deutschland war, die Pforten. Sein erster Direktor war Gustav Tammann (1903-1929), der allerdings bald als Nachfolger von Nernst zur Physikalischen Chemie überwechselte, wo er die Metallkunde als Forschungsschwerpunkt etablierte. Sein vakanter Lehrstuhl wurde von Richard Zsigmondy übernommen, der, noch als Industriechemiker, das Jenaer Glas entwickelt hatte. 1925 wurde ihm, dem "Vater der Kolloidchemie", der Nobelpreis verliehen. Nur drei Jahre später gingen die Organiker wieder in Nobelpreis-Führung": Adolf Windaus (1915-1945) erhielt ihn für seine grundlegenden Arbeiten über Steroide und Vitamine. Damit hatte sich Windaus, den man wohl mit Fug und Recht als einen der ersten Naturstoffchemiker bezeichnen kann, als würdiger Nachfolger von Wallach erwiesen.

1930 war Arnold Eucken einem Ruf auf den Stuhl Tammanns am Institut für Physikalische Chemie gefolgt und leitete es 20 Jahre lang. Etwas unruhiger ging es bei den Anorganikern zu: Hans von Wartenberg, der 1933 die Nachfolge von Zsigmondy angetreten hatte, wurde drei Jahre später aus politischen Gründen zum Rücktritt gezwungen. Nach dem Zusammenbruch des 3. Reiches wurde er wieder in Amt und Würden eingesetzt und gründete das Institut für Anorganische Chemie, dessen Existenz mit der Zwangsentlassung seines Leiters im Jahre 1936 aufgehört hatte, neu. Nachfolger von Windaus bei den Organikern war ab 1945 der bereits früher als Oberassistent am Institut wirkende Hans Brockmann (bis 1972). Er und seine Kollegen, hier sind wohl vor allem Oskar Glemser (1980) am Institut für Anorganische Chemie und der Physikochemiker Wilhelm Jost (bis 1971) zu nennen, lotsten die Göttinger Chemie sicher durch die Nachkriegszeit. Diesem "Triumvirat" verdanken wir, dass die Göttingen Chemie überall einen ausgezeichneten Ruf genießt.

1963 wurde das Institut für Organische Chemie aus der Göttinger Altstadt heraus in den Windausweg verlagert. 1975 fand der Umzug der Institute in den Norden Göttingens, etwa 4 km vom Stadtzentrum entfernt, statt, wo alle drei chemischen Institute noch heute in trauter Nachbarschaft zu finden sind.




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