Dr. Gabriele Andretta

1. Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Ich habe in Göttingen Sozialwissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Psychologie studiert und 1985 meinen Abschluss als Diplom-Sozialwirtin gemacht. Es folgte 1990 meine Promotion am Institut für Sozialpolitik, danach eine mehrjährige Forschungstätigkeit am Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) und bis zur Wahl in den Landtag 1998 war ich wissenschaftliche Assistentin am Soziologischen Seminar der Universität Göttingen.
Eigentlich habe ich eine wissenschaftliche Karriere verfolgt, doch es kam anders: Auf Vorschlag der SPD wurde ich bei den anstehenden Landtagswahlen 1998 für den Wahlkreis Göttingen nominiert und gewann auf Anhieb das Direktmandat. Seitdem bin ich also Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag und dort Mitglied im Ausschuss für Wissenschaft und Kultur, sowie im Schulausschuss und im Ältestenrat. Seit 2003 bin ich zudem Mitglied im Fraktionsvorstand der Landtagsfraktion und vertrete dort als Sprecherin den Bereich Wissenschaft und Kultur.

2. Wer hat Sie in ihrem beruflichen Umfeld am stärksten unterstützt? Hatten Sie Vorbilder, die Ihren Werdegang beeinflusst haben?
Ja, absolut! Vorbild war meine Mentorin am Institut für Sozialpolitik, Frau Professor Dr. Ingeborg Nahnsen. Sie hat mich ermutigt, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben und war durch ihr ehrenamtliches Engagement in der Göttinger Kommunalpolitik auch in politischer Hinsicht ein Vorbild.

3. Wenn Sie an Ihre aktuelle Arbeit denken, können Sie positive wie negative Aspekte nennen?
Positiv hervorzuheben ist, dass ich als Landtagsabgeordnete sehr nah an den Menschen Politik gestalten kann. Ganz besonders gefällt mir, dass ich in meinem Wahlkreis viele Lebensbereiche kennenlerne und die Möglichkeit habe mit Menschen, Initiativen, Vereinen und Projekten zusammenzuarbeiten, die ich im „normalen“ Berufsleben vermutlich nie kennengelernt hätte.
Die weniger schöne Seite an meinem Beruf ist die sehr hohe Arbeitsbelastung und die erwartete ständige zeitliche Verfügbarkeit. Die Familie zahlt einen hohen Preis für diesen Beruf.

4. Was sind Ihre persönlichen Interessen, die vielleicht auch zu Ihrem Beruf geführt haben?
Ich bin in den 70er und 80er Jahren in den großen sozialen Bewegungen politisch sozialisiert worden. Ich war schon als Schülerin in der Friedensbewegung, später dann Anti-AKW- und Frauenbewegung aktiv. Als Studentin habe ich mich in die Hochschulpolitik eingemischt, war gewerkschaftlich engagiert und habe in der Redaktion einer politischen Zeitschrift mitgearbeitet. Politik gehörte immer zu meinem Leben.

5. Wie stellen Sie Ihre „Work-Life Balance“ her, also die Vereinbarkeit bzw. den Einklang von Beruf und Privatleben?
In der Politik wird neuerdings gerne und viel von „Work-Life-Balance“ geredet und diese auch gefordert. Die Lebenswirklichkeit von Berufspolitikern sieht leider anders aus, von einer Balance kann keine Rede sein. Ich versuche ein gutes Zeitmanagement und schaffe mir Freiräume für meine Kinder, indem ich Privat- und Arbeitsleben konsequent trenne und auf weitere Mandate in der Kommunalpolitik oder viele Ehrenämter verzichte.

6. Mit welchen Problemen hatten Sie während Ihres Karriereverlaufs zu kämpfen?
Kurz nach Einzug in den Landtag wurde meine Tochter geboren. War es schon als Wissenschaftlerin schwierig, Beruf und Kinder unter einen Hut zu bekommen, so galt das erst Recht in der Politik. Mütter mit kleinen Kindern waren im Politikbetrieb nicht vorgesehen, es war ein sehr schwieriger Spagat in den ersten Jahren. Zudem spielt das Senioritätsprinzip in der Politik nach wie vor eine große Rolle: als junge Abgeordnete wird man nicht sonderlich ernst genommen. Im Rückblick muss ich sagen: Frau, Wissenschaftlerin und alleinerziehende Mutter – das gilt nicht gerade als Erfolgskombination in der Berufspolitik.


7. Welche Empfehlungen haben Sie für Absolventinnen in diesem Berufsfeld?
Das Erreichen eines Abgeordnetenmandats ist kein planbares Ziel in einer beruflichen Karriere, denn es ist schließlich ein gewähltes Mandat. Der Beruf, aus dem man kommt, spielt keine Rolle. Was zählt ist das politische Engagement.

8. Spielt Gleichstellungsarbeit in Ihrem Berufsfeld eine Rolle? Wie beurteilen Sie die Geschlechterverhältnisse und Ihre Rolle als Frau in diesem Beruf?
Ja, Gleichstellung spielt eine große Rolle. Die SPD hat sich zur Gleichstellung verpflichtet, somit ist das Thema immer auf der politischen Agenda. Die beschlossene 40 Prozent Quote ist in meiner Fraktion erreicht, obwohl die Top-Positionen nach wie vor von Männern besetzt werden. Den Fraktionsvorsitz hat in der Regel ein Mann, der Niedersächsische Landtag hatte noch nie eine Präsidentin, geschweige denn Niedersachsen eine Ministerpräsidentin. Auch in meinem politischen Arbeitsschwerpunkt Wissenschaftspolitik setze ich mich für Gleichstellung ein, so halte ich eine Quote für die Wissenschaft für überfällig, soll es nicht in dem Schneckentempo weitergehen.