Was ist eigentlich Bürger*innenbeteiligung?
Eine politikwissenschaftliche Suche nach Antworten – und nach den richtigen Fragen!

Bürger*innenbeteiligung ist in einer Demokratie unerlässlich. Allerdings erschöpft sich die Beteiligung der Bürger*innen nicht in den periodisch stattfindenden Wahlen auf den verschiedenen Ebenen (kommunale, Landes-, Bundes- und europäische Ebene). Es werden weitere Methoden einer direkten und indirekten Beteiligung der Bürger*innen eingesetzt, um die Chance auf eine bessere Akzeptanz der Maßnahmen staatlicher Akteure und die Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven zu gewährleisten.

Die Politikwissenschaft erforscht, welche Motive, Formen und Argumente bei der Bürger*innenbeteiligung eine Rolle spielen. Insbesondere Maßnahmen, die sich nachteilig auf die Umwelt (und das Klima) auswirken können, wie die Aufstellung von Netzentwicklungsplänen, werden heutzutage unter einer breiten Beteiligung auch der Bürger*innen erarbeitet und öffentlich zur Diskussion gestellt. Welche Motive liegen einer solchen Bürger*innenbeteiligung zugrunde? Welche Formen der Beteiligung existieren? Welche Art von Argumente bringen die Bürger*innen vor? Diese Fragen bilden einen Schwerpunkt der Forschung des Göttinger Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Simon Fink.

Am 11. Februar 2021 hatten die Schüler*innen unseres Projektes Gelegenheit, gemeinsam mit Herrn Fink Antworten auf diese Fragen zu finden und ein Gespür dafür zu entwickeln, die richtigen Fragen zu stellen. Im Rahmen eines interaktiven Workshops – der pandemiebedingt erneut in Gestalt einer Videokonferenz durchgeführt wurde – erhielten die Schüler*innen eine spannende Einführung in politikwissenschaftliche Methoden und Einblicke in die Ergebnisse von Herrn Finks Forschung zur Öffentlichkeitsbeteiligung bei Netzentwicklungsplänen in Deutschland. Die Videokonferenz gliederte sich in drei Teile zu den folgenden Themenkomplexen:

1. Motive für Bürger*innenbeteiligung

2. Formen und Beispiele für Bürger*innenbeteiligung

3. Argumente der Bürger*innen und ihre wissenschaftliche Auswertung

Theoretische Grundlegung durch Herrn Fink wechselten sich mit Gruppenarbeiten der Schüler*innen und Diskussionsrunden ab, in denen es auch darum ging, auf der Suche nach Antworten zunächst die richtigen Fragen zu stellen.

1. Motive

Im ersten Teil wurde die Frage diskutiert „Warum sollte man Bürger*innen an Entscheidungsprozessen beteiligen?“.

Die Schüler*innen sammelten in Gruppenarbeiten eine Vielzahl von Argumenten: Eröffnung verschiedener Perspektiven für die Entscheidungsträger, Abbildung der Vielfalt von Meinungen, Praxisrelevanz, Wahrung der Nähe zum eigentlichen Geschehen, besseres „Marketing“ der Entscheidungen, Äußerungsmöglichkeiten von Betroffenen in der Demokratie, Integration, Transparenz, Prävention von Unzufriedenheiten und Schaffung einer „glücklicheren“ Gesellschaft

Zur Einordnung der gesammelten Argumente rückte Herr Fink insbesondere den Begriff der Legitimität von Herrschaft nach Max Weber in den Vordergrund und die Unterscheidung zwischen Input- und Output-Legitimität. Anhand einer 4-Felder-Tabelle, die das Vorhandensein bzw. das Fehlen von Input- und Output-Legitimität gegenüberstellte, diskutierten die Schüler*innen mit Herrn Fink verschiedene Beispiele aus der Praxis. So wurde etwa der Brexit als ein Beispiel für eine hohe Input-Legitimität mit schlechtem Output genannt und Nordkorea als ein politisches System mit geringer Input- und Output- Legitimität.



OCF Februar Bericht

2. Formen und Beispiele

Im zweiten Teil beschäftigten sich die Schüler*innen mit der Frage, nach welchen Kriterien Maßnahmen der Bürger*innenbeteiligung bewertet werden können. Dazu stellte Herr Fink den Ansatz von Graham Smith vor, der als Bewertungskriterien „Inclusiveness“, „Popular control“, „Considered judgment“ und „Transparency“ entwickelt hat. Nach einer theoretischen Einführung konnten die Schüler*innen selbst anhand der aktuellen Beispiele „Netzentwicklungspläne“ und „Bürgerräte“ die durchgeführte Öffentlichkeitsbeteiligung bewerten und Folgefragen sammeln, die sich bei dieser Analyse stellten.

Beispielweise fiel bei der Öffentlichkeitsbeteiligung zu den Netzentwicklungsplänen zum Punkt „Inclusiveness“ auf, dass es möglichweiser technische Hürden für ältere Personen und Personen ohne Internetzugang gibt, da die Informationen im Netz bereitgestellt wurden. Zum Punkt der „Transparency“ merkten die Schüler*innen etwa an, dass im Verfahren unklar bleibe, inwiefern die Argumente der Bürger*innen tatsächlich Auswirkungen auf die Pläne hätten.

Hinsichtlich der Beteiligung über Bürgerräte wurde deutlich, dass auch eine Gruppe von Personen, die zufällig und repräsentativ z.B. hinsichtlich Alter und Vermögen zusammengesetzt wird, die Gesamtbevölkerung nicht vollständig abbilden kann.


OCF Februar Bericht 2

3. Argumente der Bürger*innen und ihre wissenschaftliche Auswertung

Im dritten Teil stellte Herr Fink den Schüler*innen seine eigene Forschung zur Öffentlichkeitsbeteiligung bei Netzentwicklungspläne vor. Hierbei legte er einen besonderen Fokus auf die Vermittlung der wissenschaftlichen Herangehensweise. Für seine Forschung hat Herr Fink 35.000 Eingaben von Bürger*innen ausgewertet und kategorisiert. Im Rahmen der Auswertung konnte er feststellen, dass die meisten Einwände der Bürger*innen gegen die Netzentwicklungspläne technischer Natur waren. Diese Häufung führte er darauf zurück, dass die Bürger*innen auf ein technisches Problem (und technische Sprache in den Netzentwicklungsplänen) ebenfalls mit technischen Argumenten antworteten. Die Schüler*innen diskutierten mit Herrn Fink ebenfalls die Probleme und Chancen der manuellen Auswertung sowie der Auswertung durch Algorithmen. Beispielsweise sei eine Auswertung von handschriftlichen Eingaben praktisch nicht zu realisieren. In einem Vergleich der händischen mit der computergestützten Auswertung hatte Herr Fink zudem feststellen können, dass politische Argumente aufgrund ihrer Vielschichtigkeit besonders schwierig zu erfassen sind.

OCF Februar Bericht 3


Wir danken Herrn Fink sehr für diese ausgesprochen spannende und informative politikwissenschaftliche Perspektive auf einen wichtigen Aspekt unseres Oberthemas „Können wir Klimaschutz erstreiten?“!