In publica commoda

Horst Kern

Kontrollierte Autonomie? Erfahrungen mit der Erneuerung einer Hochschule



Inhalt des Textes



Es ist chic geworden, den Standort Deutschland in Zweifel zu ziehen. Ein beliebtes Beispiel für die Rede vom Niedergang stellt mittlerweile die deutsche Universität dar. Auch wenn mir diese Krisendiagnose sowohl im Hinblick auf die behauptete Tiefe der Krise der deutschen Universität wie auch im Hinblick auf die unterstellte prinzipielle Überlegenheit anderer Universitätssysteme, insbesondere des amerikanischen, überzogen erscheint, so ist trotzdem nicht von der Hand zu weisen, daß sich die Universität in einer Misere befindet. Die Herausforderung, mit der die Hochschulangehörigen konfrontiert sind, ähnelt der Quadratur des Kreises: Wir müssen Wege finden, die originären Aufgaben der Uni - akademische Lehre, Grundlagenforschung, Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses - innovativer zu erledigen, und zwar bei tendenziell rückläufigen Etats und vermehrten Verpflichtungen, also unter der Randbedingung größerer Effizienz. Unberücksichtigt lasse ich die Aufgabeninflation, die in den letzten 20 Jahren das Kerngeschäft der Universität überwuchert hat (Wartehalle für sonst arbeitslose junge Menschen, Ausgleichsagentur für außeruniversitäre Benachteiligungen verschiedenster Art), obwohl gerade die aktuelle Mittelknappheit mehr denn je dazu zwingt, kritisch darüber zu diskutieren, wie der Zielrahmen der Einrichtung "Universität" abzustecken wäre. Die zentrale Frage lautet also: Wie können die Universitäten bei der Erledigung ihrer Kernfunktionen besser werden, wenn ihre Etats vermutlich schrumpfen und schon Nullsummenspiele ein Positivszenario darstellten? Noch enger gefragt: Welche Art von Universitätsorganisation böte die besten Chancen für brauchbare Lösungen?

Ich nähere mich der Antwort auf indirektem Wege, indem ich zunächst drei Organisationsmodelle anspreche, die mir nicht geeignet erscheinen, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden.


1. Die "kommandierte Universität"
Dieses Modell geht von der irrigen Annahme aus, daß unsere Universitäten besser wären, wenn sie strikter von außen, d. h. durch den Minister oder einen neuen "Aufsichtsrat", oder von oben, d. h. durch den starken Präsidenten oder Rektor, kontrolliert würden. Ich wundere mich, daß dieses Modell immer noch ins Spiel gebracht wird. Warum wird im Fall der Universitäten die Lektion der 70er und frühen 80er Jahre verdrängt, daß nämlich die bürokratische Steuerung komplexer Systeme immer in Regelungsschematismen endet, weil die Steuerstellen zu weit von dem operativen Geschäft entfernt sind, als daß sie die Detailkenntnisse besäßen, die zur Aussteuerung der komplizierten Funktionen nötig sind? Universitäten sind hochkomplexe Systeme (mindestens so komplex wie Großunternehmen) und lassen sich als solche gerade nicht auf bürokratische Weise optimieren. Diese Erfahrung entzieht dem Modell einer zentral verwalteten Universität jede Rechtfertigung. Jedoch ergibt sich daraus nicht gleich im Umkehrschluß eine Begründung für das Alternativmodell der dezentralisierten Universität; darauf werde ich zurückkommen.


2. Das "Marktmodell"
Wäre es nicht besser, die Universitäten statt als Staatsanstalten als Quasi-Unternehmen zu führen? Damit bin ich bei einem zweiten fehlerhaften Modell der Universität: dem "Marktmodell". Nicht, daß unsere Universitäten nicht gewännen, wenn sie sich direkter und konsequenter auf ihre Konsumenten bezögen, wenn wir uns also den Studenten weniger als autoritäre Lehranstalt präsentierten denn als Dienstleistungsgewerbe, das sich um gute Studenten bewirbt; und wenn wir uns in der Forschung, natürlich ohne Preisgabe der Verpflichtung auf Unabhängigkeit und Erkenntniszugewinn, auch mehr mit schnellem Transfer in die gesellschaftliche Praxis profilierten. Nicht auch, daß es uns schaden würde, wenn solche Professoren und Institute, die die Schnittstelle zu unseren Konsumenten verbessern, mit einem Mittelplus, einem Bonus honoriert werden würden - und diejenigen, die es nicht tun, mit einem Malus. Doch es ist ein Irrtum, daß die Verwandlung unserer Außenhaut in Märkte (oder Quasimärkte) und die Umschulung von uns selbst zu Unternehmern der Weg wäre, der zielsicher zur besseren Allokation der Ressourcen für Forschung und Lehre führen würde. Manche Qualifikation, die wir erzeugen, erzielt auf dem Arbeitsmarkt nie und nimmer einen vernünftigen Preis - und dennoch ist ihre Erzeugung als Angebot zur individuellen Vervollkommnung oder als Beitrag zur Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte unverzichtbar. Und manche Untersuchung, die wir erstellen, wird selbst nie direkt Tauschwertqualität erreichen, und trotzdem muß man sie durchführen, um den allgemeinen Wissensfundus zu erweitern, aus dem sich irgendwann einmal vielleicht neue Tauschwerte schöpfen lassen.

Universitätssysteme, die dem Marktmodell zu rigoros gefolgt sind, liefern uns genug Belege für die Gefahr von Fehlsteuerungen im Sinn von "Mainstreamism" oder "Shorttermism". Die Ökonomisierung des First Grade Rankings an der MIT-Sloan School war nur um den Preis einer Mainstream-Fokussierung des Studiums zu haben. Wie man nunmehr feststellt, hat dies zu deutlich geringeren Problemlösungskapazitäten der Absolventen geführt. Die London School of Economics (LSE) hat sich entschlossen, die Finanzausstattung der European Community Studies wegen aktueller Unternachfrage drastisch zu kürzen. Sie vernachlässigt damit eine wichtige Zukunftsfrage in der Ausbildung. Generell läßt sich für die USA und England feststellen, daß gute Chancen zum schnellen Fundraising die Entwicklung der Forschungskapazitäten steuern.

3. Die "Gelehrtenrepublik"
Aus den Mängeln des Marktmodells läßt sich der Schluß ziehen, daß sich die Arbeitsabläufe in der Universität nur unter der Voraussetzung optimieren lassen, daß das Optimierungsverfahren einerseits und die Besonderheiten der Aufgabenstellung der Universität andererseits, daß also Methode und Inhalt, einander voll entsprechen. Das führt mich zum dritten falschen Modell, dem der Autonomisierung und radikalen Dezentralisierung, das am reinsten im Modell der "Gelehrtenrepublik" zum Ausdruck kommt.
Gelehrtenrepublik meint die sich selbst bestimmende Universität im Sinn einer schwach regulierten Assoziation der Wissenschaftler bzw. der wissenschaftlichen Grundeinheiten (der Institute). So sehr dieses Modell für sich in Anspruch nehmen kann, daß es die Fallen des Kommandouniversitäts-Modells wie auch des Marktmodells vermeidet - die des ersten durch seine Hochschätzung desjenigen, der in der Wissenschaft die operative Kompetenz besitzt, und die des zweiten durch seine Fokussierung auf die funktionale Besonderheit von Forschung und Lehre -, so wenig garantiert es, daß dem spezifischen Handlungsdruck Rechnung getragen werden kann, dem die Uni gerade heute ausgesetzt ist.

Zwei Eigenschaften des Modells begründen diese Schwäche:
a) Die Gelehrtenrepublik kann in eskapistischer Form genutzt werden für das Ausleben von Idlosynkrasien aller Art, und deren gibt es gerade in unserer Berufsgruppe einige. Eskapismus kann als ein Sichvergraben in ein diffiziles Problem für die Lösung wissenschaftlicher Aufgaben durchaus einmal hilfreich sein (gleichsam als Umwegproduktion). Das wäre dann die liebenswerte Form. Doch es gibt auch eine problematische Variante von Eskapismus: Diese äußert sich in Selbstbezüglichkeit, Kommunikationsstörungen und Besitzstandsegoismen. Es ist diese problematische Form, die wir uns nicht mehr erlauben können, wenn es in Zeiten knappen Geldes um die Optimierung der Kernfunktionen der Universität geht. Da aber die Gelehrtenrepublik gegenüber eskapistischen Neigungen ziemlich machtlos ist, bietet sie keinen günstigen Rahmen für das, was heute in der Universität ansteht.

b) Die Gelehrtenrepublik ist ein "Friedenszeiten"-Modell. Sie funktioniert ganz gut bei Umweltkonstanz und Umweltberechenbarkeit. Sie reagiert jedoch zu defensiv - zu konventionell und zögerlich -, wenn eine umfassende Organisationsreforrn gefordert ist. Diese Schwäche gegenüber grundlegend neuen Herausforderungen kommt daher, daß in diesem Organisationsmodell der Hauptakzent auf dem autonomen Funktionieren der konkreten wissenschaftlichen Arbeitsprozesse liegt, daß man also auf die spezifischen Prozeßlogiken setzt. Die Gesamtorganisation ist die nachgeordnete Größe, erscheint als nichts anderes als die ungeplante Resultante dieser Einzelhandlungen. Dadurch besteht aber immer die Gefahr, daß auch Makroorganisations-Probleme, die den Zuschnitt der Gesamtorganisation betreffen, auf die untersten Organisationseinheiten transferiert und dort so lange kleingearbeitet werden, bis sie eskamotiert sind. In der heutigen Situation muß aber unter Zeitdruck und ergebnisorientiert überdacht werden, was bei diesem Modell unter "ferner liefen" rangiert - der Zuschnitt der Gesamtorganisation.

Ich will hier nicht zu sehr in die Details gehen, aber trotzdem auf die Schnelle zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit nennen, die für mich schlaglichtartig beleuchten, warum wir heute mit einem reinen Dezentralisierungskonzept a là Gelehrtenrepublik nicht (mehr?) hinkommen. Das eine Beispiel gehört zum Eskapismusproblem: Eine geplante Forschungsevaluierung wurde durch Teilnahmeverweigerung einzelner Professoren schlichtweg blockiert. Die Mechanismen der sich selbst regulierenden Gelehrtenrepublik greifen hier nicht. Man braucht eine sanktionierende Instanz!

Das andere Beispiel gehört zum Problem der Kleinarbeitung von Makroproblemen in Subeinheiten: Ende 1994 wurden wir mit rigorosen Sparauflagen der niedersächsischen Landesregierung konfrontiert, die zudem noch eine extrem überproportionale Belastung der alten Universitäten, insbesondere von Göttingen, vorsahen. In einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten haben wir ein Abwehrkonzept skizziert, das die Belastungssumme wesentlich minderte, aber so intelligent war, daß sich die Landesregierung seinem Charme nicht entziehen konnte. Hierfür wurde uns Unterstützung zugesichert. Die Universität Göttingen stand somit vor der Aufgabe, das Konzept unter hohem Zeitdruck, nämlich noch während der laufenden Haushaltsberatungen der Landesregierung, zu entwickeln. Zugleich war klar, daß intelligente Lösungen nur dann zu finden waren, wenn man fächer- und fachbereichsübergreifend ansetzt, d. h. nach je spezifischer Leistung, Belastung und Personalflexibilität differenziert verfuhr und nicht einfach die Durchschnittsquote schematisch herunterbrach. Auch hierfür war eine Instanz erforderlich, die partikularistisches Denken verhindert und die Gesamtorganisation im Auge hat.

Deshalb nun zu einem Modell, das ich für zukunftsfähig halte:


4. "Kontrollierte Autonomie"
Was ich im folgenden diskutieren möchte, ist mein Positivmodell. Ich bezeichne es bewußt paradox als Modell der "kontrollierten Autonomie".

Zwei Merkmale kennzeichnen dieses Modell:
a) Dieses Modell geht von der Einsicht aus, daß die Reform einer Organisation dann am besten gerät, wenn die Träger des operativen Geschäfts, in unserem Fall die Wissenschaftler oder die Institute, ihr "Vor-Ort-Wissen" voll in den Dienst der Reform stellen. Denn diese verfügen durch ihre Nähe zum operativen Handeln / durch ihre Vertrautheit mit den konkreten Arbeitsvollzügen über die Kenntnisse, die für das "Was" und das "Wie" der Verbesserung unverzichtbar sind.

b) Dieses Modell weist zugleich der Zentrale eine aktive Rolle zu, um der Gefahr von Partikularismen, Selbstverstrickungen in Vertrautes und Lähmung durch Routine zu entgehen. Die Zentrale handelt als Anwalt der Gesamtorganisation und wirkt als Impulsgeber, Definitionsmacht und Evaluierungsinstanz (zumindest als Instanz, vor der man sich legitimieren muß) am Reformprozeß mit. Mit Zentrale meine ich hier zunächst die Universitätsleitung, deren Entscheidungs- und Regulierungsbefugnisse meines Erachtens zu Recht in jüngster Zeit gestärkt worden sind. Als "Subzentrale" kämen auch die Dekane / Fachbereichsvorstände in Betracht, deren Professionalität dazu aber erst vergrößert werden müßte. Ob das so leicht sein wird wie die mit Unterstützung der Volkswagenstiftung arbeitende Alewell-Gruppe 1993 angenommen hat, wage ich freilich zu bezweifeln. Wir müssen es aber versuchen.

Das allgemeine Problem dieses Organisationsmodells liegt in seiner Paradoxie: Damit die Experten des operativen Geschäftes das freigeben, was nur sie haben - das intime Wissen der vor-Ort-Experten -, muß man ihnen Handlungsvollmacht geben. Damit sie diese Machtstellung aber nicht mißbrauchen, muß eine Leitung vorhanden sein, die die Wahrnehmung der Autonomie überwachen und steuern kann. Daher der Name: "Modell der kontrollierten Autonomie". Wie aber können Autonomie und Kontrolle so gegeneinander ausbalanciert werden, daß erstere (die Autonomie) letztere (die Kontrolle) nicht unterläuft und daß letztere nicht erstere unterdrückt?

Organisationsregeln kontrollierter Autonomie
Beim Versuch eine Antwort zu finden, können Universitäten dann doch etwas von anderen Organisationen lernen, vor allem von einigen großen Unternehmen, die sich - ebenfalls unter dem Druck erhöhter Anforderungen an Innovation und Kosten - erfolgreich erneuert haben. Wenn man sich diese Erfahrungen anschaut (und ich habe dies in den letzten Jahren im Rahmen meines Hauptamtes als Forscher intensiv getan), dann stößt man auf einige Organisationsregeln der kontrollierten Autonomie. Sie lassen sich in folgender Liste zusammenfassen:

- Gegenüber den operativen Einheiten müssen Ziele und Zeithorizont der Reform deutlich ausgewiesen werden (Zielsicherheit).

- Den operativen Einheiten muß für definierte Zeiträume freie Hand gegeben werden, die Entwicklungsmöglichkeiten zu erproben, die sie für die besten halten (Planungssicherheit).

- Leitung und operative Einheiten müssen in einem transparenten
Verfahren - am besten gemeinsam, unter Hinzuziehung externer Experten und unter Bezugnahme auf vorher vereinbarte Kriterien Kosten und Erträge der Entwicklung bilanzieren (Evaluierungssicherheit).

- Leitung und operative Einheiten vereinbaren auf der Grundlage der Evaluierung Zielveränderungen und Ausstattungskorrekturen (Redefinitionssicherheit).

Man müßte genauer durchspielen, ob und wie ein entsprechender Modus der Verknüpfung von Autonomie und Kontrolle tatsächlichauch für die Reform der Universitäten entwickelt werden könnte. Ich selbst bin mir nach einigen einschlägigen Erfahrungen in Göttingen sicher, daß dies möglich ist und daß man es probieren sollte. ich komme noch einmal auf unser Spar- und Erneuerungskonzept vom Anfang 1995 zurück. Ohne daß wir uns als Exekutoren des Modells gesehen hätten, haben wir doch Elemente einer universitären Variante des Modells "kontrollierter Autonomie" erfolgreich erprobt.

Zielsicherheit: Die durchschnittliche Einsparung über vier Jahre beträgt 8 Prozent der Stellen (in Stellenäquivalenten ä 60000 DM)
plus maximal zwei weitere Prozent nach 1998.

Evaluierungssicherheit: Einrichtungen mit besonderen Leistungen in Forschung und Lehre bekommen einen Bonus. Überzeugende Entwicklungspläne werden honoriert. Daraus resultieren unterschiedliche Sparquoten für die einzelnen.

Planungssicherheit: Im Gegenzug zur Vereinbarung von Struktur-Eckdaten und Sparquoten erhalten die Einrichtungen Planungssicherheit (soweit die Universität sie geben kann-, s. u.).

Solidarbeitrag: Einrichtungen, die durch eine hohe Sparquote belastet sind, welche sie aufgrund von Rigiditäten in der Personalstruktur nicht in dem 4-Jahres-Zeitraum erbringen können, erhalten Hilfestellung durch andere Fachbereiche (Streckung der Abgabenquote). Damit sollen Erblasten aus der Vergangenheit, für die man die Fachbereiche nicht unbedingt verantwortlich machen kann, abgefangen werden.

Das politische Umfeld
Nun halte ich aber doch inne und frage mich, ob ich nicht zu positiv über unsere Erfahrungen rede: ob ich nicht wenigstens statt im Präsens im Imperfekt sprechen sollte: "Ich war eine Zeitlang der Auffassung, daß ein Modell nach dem Muster "Autonomie durch Kontrolle" möglich wäre und daß wir erfolgreich mit seiner Implementierung begonnen hätten ... " usw. Ob diese Feststellung auch für die Zukunft gilt, ist für mich nämlich unsicherer geworden. Damit die Universität so handeln kann, wie ich es beschrieben habe, braucht sie ihrerseits in der Landesregierung einen Partner, der sich an entsprechende Spielregeln hält.
Der Modus der kontrollierten Autonomie kann im Innern der Universität nur funktionieren, wenn er (cum grano salis) auch das Verhältnis zwischen der Universität einerseits und der Landesregierung andererseits steuert. Was wir von der Regierung verlangen müssen, ist vor allem Handlungsautonomie im Rahmen klarer, zeitlich begrenzter Zielvereinbarungen und, ganz besonders wichtig, Planungssicherheit. Manchmal frage ich mich mittlerweile, ob wir das wirklich noch bekommen können. Können wir tatsächlich noch auf den verständigen und verläßlichen Partner in der Landesregierung - allgemeiner: in Politik und Verwaltung - rechnen, den wir für die Reform nach dem Muster der kontrollierten Autonomie brauchen?
Ich glaube zwar immer noch davon ausgehen zu können, daß im niedersächsischen Fall Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) die genannten Spielregeln anerkennt und sich an die entsprechende Vereinbarung gebunden fühlt. Das politische und administrative Umfeld unseres Handelns ist aber extrem unsicher geworden. In den Finanzzuweisungen sind wir mit einer irritierenden Stop-and-go-Praxis konfrontiert (1996: generelle Sparankündigungen per Kabinettsbeschluß in der Größenordnung von 450 Mio., dann Herausnahme der Hochschulen-, Ausgabensperre in den Sachmitteletats durch den Finanzminister in Höhe von 20 Prozent, dann Zurücknahme bis auf einen kleinen Rest). Hinzu kommen Querschüsse aus der Ministerialbürokratie, die auf Versuche eines kalten Unterlaufens der Vereinbarung hinauslaufen. Gegenbewegungen im Kleinen, um diese Nadelstiche zu hellen, mögen im Einzelfall immer wieder erfolgreich sein. Aber sie kosten viel Energie und Motivation. Alles in allem scheint das das glatte Gegenteil dessen zu sein, was uns in Gegenzug unserer Bereitschaft, am Sparen mitzuwirken, zugesagt wurde: st Planungssicherheit weitere Verunsicherung.
Das Resultat sind negative Rückkopplungen der Art, daß die Unberechenbarkeit der Partner in Regierung und Verwaltung den Reformverweigerern innerhalb der Hochschule billige Argumente in die Hand gibt. Nicht intentional, aber faktisch kann es dabei zum Schulterschluß von einigen Studentenvertretern ("Die Verstaatlichung der Bankengewinne würde alle Probleme lösen!"), Strömungen im Personalrat ("Besitzstandswahrung um jeden Preis!") und Teilen der Professorenschaft ("Zurück zur guten alten Gelehrtenrepublik!">. kommen. Würde sich diese Front erst einmal stabilisieren, dann wäre allein schon ihre Existenz Wasser auf die Mühlen derjenigen in Politik und Verwaltung, die die Hochschulen eh als modernisierungsfähig ansehen. Damit wären wir dann endgültig in einem Teufelskreis, der das Hochschulsystem schnell auf das Niveau des norddeutsch Tieflandes herunterschrauben würde. Und dann wäre auch das Organisationsmodell das Papier nicht mehr wert, auf dem es skizziert wurde.