In publica commoda

Verleihung der Ehrendoktorwürde durch den Dekan der Biologischen Fakultät

    Gliederung:
    [1] Ehrendoktor
    [2] Schröder in Göttingen: Ausbildung und Studium
    [3] Alumni und Elite-Universität
    [4] GZMB
    [5] Akzeptanz von biologischer Forschung: Bioethik
    [6] Übergabe der Urkunde




Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Minister,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

[1] es ist gerade einen Monat her, dass ich - als Dekan der Biologie - an dieser Stelle im Namen der Mathematisch-Naturwissenschaftichen Fakultäten unsere neuen Doktorinnen und Doktoren der Naturwissenschaft, im Rahmen einer akademischen Feier, verkündet habe. Die fünf math. nat. Fakultäten, d.h. die Mathematik, die Physik, die Chemie, die Geowissenschaften und die Biologie haben seit einigen Jahren die Tradition einer akademischen Feier in dieser neo-klassizistischen Aula, um darin zum Ausdruck zu bringen, dass wir gemeinsam einen Titel, den Grad eines ‚Dr. rerum naturalium', eines Doktors für Naturwissenschaften, vergeben. Die 46 gerade verkündeten neuen Doctores haben sich in mehr-jähriger Forschungsarbeit ‚innerhalb der Naturwissenschaft' verdient gemacht. Die Verleihung einer Ehrendoktorwürde, also des Grades ‚Dr. rerum naturalium honoris causa', kann - in ähnlicher Weise - hervorragende wissenschaftliche Leistungen ‚innerhalb der Wissenschaft' würdigen. Die heutige Verleihung der Ehrendoktorwürde an Sie, Herr Bundeskanzler, würdigt eine andere Form von Leistung. Sie würdigt nämlich Verdienste ‚um die Naturwissenschaften' und zwar nicht nur - aber auch - an unserer Universität.

[2] Mit der Stadt Göttingen und mit dieser Universität sind Sie seit langem verbunden. Anfang der 60-er Jahre sind Sie nach einer Lehre als Einzelhandelskaufmann bereits als 17-jähriger hierher gezogen, haben hier gearbeitet und sind von 1962 an abends hier zur Schule gegangen, im gleichen Jahr, in dem James Watson und Francis Crick für die Beschreibung der DNA-Doppelhelix, einem der Meilensteine der modernen Biowissenschaften, den Nobelpreis für Medizin erhalten haben. Sie, Herr Bundeskanzler, haben 1964 die Abendschule in Göttingen mit der Mittleren Reife abgeschlossen. Nach dem Abitur am Westfalen-Kolleg in Bielefeld haben Sie sich 1966 an der Universität Göttingen eingeschrieben und haben bis 1971 Jura studiert, also bis zu dem Jahr, in dem Willy Brandt für seine Ostpolitik mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Gleichzeitig haben Sie sich immer mehr politisch engagiert - am Anfang sehr stark auf kommunalpolitischer Ebene. In Ihrer Staatsexamensarbeit an der juristischen Fakultät haben Sie sich mit den in dieser Zeit heftig diskutierten Themen ‚Berufsverbot' und ‚Radikalenerlass' auseinandergesetzt.

[3] Mit Ihrem Studium in Göttingen sind Sie einer der Ehemaligen dieser Universität, einer der Alumni. Auf die Alumni besinnen sich die deutschen Universitäten mit erhöhter Intensität - auch deswegen, weil die Universität der Zukunft vielleicht vermehrt auf die Unterstützung ihrer Ehemaligen angewiesen ist. Anthony Grafton, Geschichtsprofessor in den USA, meinte Anfang des Jahres in der Neuen Zürcher Zeitung sinngemäss, dass das wahre Kapital der amerikanischen Privatuniversitäten, das die Vorrangstellung dieser Universitäten garantiert, die Treue ihrer Absolventen sei. Diese Treue wird in den USA - auch in England - intensiv gepflegt - und zwar schon während des Studiums durch ganz intensive Betreuung - während wir hier in Deutschland oft erst am Anfang solcher Entwicklungen stehen. Der Artikel ist überschrieben: ‚Die Eliteuniversität - eine Gemeinschaft'. Vielleicht ist die Entwicklung eines solchen Gemeinschaftsgefühls eine der wichtigsten Aufgaben für die deutschen Universitäten. Auch der Begriff der ‚Elite-Universität' - lange Zeit eher gemieden - wurde erst in jüngster Zeit - und dazu haben Sie, Herr Bundeskanzler, beigetragen - wieder salonfähig. Anthony Grafton ist übrigens Historiker in Princeton, und damit der Universität, die als College of New Jersey 1746 unter der Regierungszeit von König George II von England gegründet wurde. Den gleichen George II sehen Sie - von Ihnen aus - links oben, er hat als Kurfürst Georg-August von Hannover 10 Jahre früher, 1736, diese Universität gestiftet, so dass sie 1737 eröffnet werden konnte. Princeton ist also - wenn man so will - so was wie unsere jüngere Schwester.
Kurfürst Georg-August war nicht nur Landesherr, sondern - ebenso wie seine Nachfolger - auch Rektor der Universität. Diese Tradition wurde erst mit dem letzten deutschen Kaiser - von Ihnen aus unten rechts - beendet. Sonst wären Sie, Herr Bundeskanzler, als Sie knapp 20 Jahre nach Ihrer Göttinger Studienzeit 1990 Ministerpräsident des Landes Niedersachsen wurden, als Rechtsnachfolger vielleicht auch Rektor der Universität Göttingen geworden - und damit irgendwie sogar an diese Universität zurückgekehrt.

[4] Was sind die Verdienste, für die Sie heute mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet werden? Auch wenn unser jetziges System eine direkte Beziehung zwischen Landesherrn und Universität nicht mehr vorsieht, sind Universitäten in unserer föderalen Struktur weiterhin Ländersache. Dies bedeutet vor allem, dass sie in jeder Beziehung auf die Unterstützung des Landes angewiesen sind. Auf die Entstehungsgeschichte des GZMB, des Göttinger Zentrums für Molekulare Biowissenschaften, dessen Einweihung wir heute feiern, hat Herr von Figura schon hingewiesen. Herr Pieler hat die Funktionen des GZMBs als interfakultative Einrichtung zur Förderung der Biowissenschaften und insbesondere des wissenschaftlichen Nachwuchses erläutert.
Zur Umsetzung des Konzeptes ‚GZMB' haben viele beigetragen, die z.T. auch namentlich erwähnt wurden. Damit die Umsetzung aber beginnen konnte, war eine Art Initialzündung notwendig. Denn nicht nur das Betreiben von Wissenschaft ist teuer, sie kann auch nur in gut ausgestatteten Gebäuden erfolgreich sein. Dies gilt für alle Wissenschaften, für die v.a. auf Ausstattung angewiesenen Naturwissenschaften aber in besonderem Masse. Zur Initialzündung für das GZMB hat das Land Niedersachsen und damit Sie, Herr Bundeskanzler als damaliger Ministerpräsident und das Wissenschaftsministerium ganz entscheidend beigetragen.
Im GZMB-Neubau als Zentralgebäude dieses Forschungsverbandes ist aus jedem der drei biologischen Institute meiner Fakultät, je eine Abteilung angesiedelt. Diese biologischen Abteilungen sind unter einem Dach mit Abteilungen der Medizinischen Fakultät. Weiter ist der GZMB-Neubau durch eine Brücke mit dem Institut für Mikrobiologie und Genetik verbunden, so dass hier ein räumlich konzentriertes Biozentrum auf dem Nordcampus entstehen konnte, das als Anlaufstelle für die anderen über die Stadt verteilten molekularbiologischen Arbeitsgruppen der Universität dient. In diesem Jahr wird auch noch das ENI, das Europäische Neuroscience Institut in unmittelbarer Nähe bezugsfertig. Unser internationaler Master/PhD-Studiengang für Molekulare Biologie ist im GZMB-Neubau angesiedelt. Dieser Studiengang und der parallele Studiengang für Neurowissenschaften - in Zusammenarbeit mit ENI und dem Göttinger DFG-Forschungszentrum für Molekularphysiologie des Gehirns (CMPB) - finden regen Zuspruch. Beide Studiengänge haben zu einer intensiven und fruchtbaren Zusammenarbeit - auch auf dem Gebiet der Lehre und nicht nur auf dem Gebiet der Forschung und damit ganz im Sinne Humboldt'scher Traditionen - zwischen Universität und ausseruniversitären Einrichtungen wie den beiden Max-Planck-Instituten für Biophysikalische Chemie und Experimentelle Medizin und zum Deutschen Primatenzentrum geführt. Mit Ihrer Initialzündung haben Sie und die damalige Landesregierung und Ihre Amtsnachfolger bis zur derzeitigen Landesregierung dies alles und damit die heutige Einweihungsfeier des GZMB erst möglich gemacht.

[5] Ich will auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, die öffentliche Debatte über Risiken und Chancen der naturwissenschaftlichen und insbesondere der biologischen Forschung. 1975 fand eine historische Konferenz von 140 Molekularbiologen in Asilomar südlich von San Francisco statt. Hier wurden nicht nur die sich damals abzeichnenden Möglichkeiten der gerade neu entstandenen Gentechnologie, sondern auch mögliche Risiken diskutiert. Es wurde damals in einem weltweit beachteten Beschluss eine Selbst-Kontrolle und Selbst-Begrenzung der Wissenschaft vereinbart. In der Folge wurde dadurch eine Diskussion in Gang gesetzt, die in zahlreichen Ländern zu gesetzlichen Regelungen und Kontrollmechanismen führte. Im Laufe der Jahre wurde innerhalb der Gesellschaft das Verhältnis zur Gentechnologie und zu den Lebenswissenschaften insgesamt immer ambivalenter und hat sich immer mehr polarisiert - mit euphorischen Unterstützern möglicher Chancen auf der einen und entschiedenen Ablehnern aufgrund befürchteter Risiken auf der anderen Seite. Heute ist das Verhältnis zur modernen Biologie vielleicht etwas differenzierter. Die analytische und diagnostische Seite wird häufig befürwortet: wenn z.B. mit Hilfe der Polymerase-Ketten-Reaktion gefährliche Infektionserreger von der Tuberkulose über die Borreliose beim Zeckenbiss bis zum HIV-Virus identifiziert werden; oder wenn mit dieser Reaktion noch nach Jahren in der Kriminalistik der einzelnen Zelle das dazugehörende Individuum zugeordnet werden kann. Man vergisst leicht, dass Ausgangspunkt solcher Methoden häufig eine Neugier-getriebene Grundlagenforschung war, die Analyse eines Bakteriums, das in heissen Quellen bei über 90 Grad wächst, und daher hitzestabile Enzyme besitzt.
Ausserhalb von Analytik und Diagnostik ist das Verhältnis grosser Teile unserer Gesellschaft zu molekularen Biowissenschaften eher ablehnend. Man denke etwa an Fragen der grünen Gentechnologie, also Fragen nach der Nutzung - oder dem Verzehr - transgener Pflanzen, oder man denke - gerade jüngst wieder mit den Forschungsberichten aus Korea und England - an Fragen nach der Nutzung oder auch nur der Forschung an adulten oder embryonalen Stammzellen. Zur Förderung eines Dialogs zwischen Gesellschaft und verschiedenen Wissenschaftsbereichen bedurfte es weiterer Initialzündungen. Eine solche war die Gründung des Nationalen Ethikrates, an dessen Entstehung Sie - dann schon als 7. Bundeskanzler der Bundesrepublik - massgeblich beteiligt waren. Seit Sommer 2001 besteht dieses 25-köpfige interdisziplinäre Forum von Naturwissenschaftlern, Medizinern, Geisteswissenschaftlern und Juristen. Neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften werden im Kontext mit ethischen Fragen und möglichen Konsequenzen für Individuum und Gesellschaft diskutiert. In diesen sich so schnell weiterentwickelnden Gebieten müssen Risiken richtig eingeschätzt, aber auch Chancen rechtzeitig erkannt und umgesetzt werden. Sie haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die erforderliche Diskussion, die mit Sicherheit nicht abgeschlossen ist, in Gang gekommen ist. Ich hoffe sehr, dass wir beim Bedenken der Risiken nicht die Chancen und das Potential vergessen, das in diesen Wissenschaftsbereichen steckt. Wir sollten auch keine der Farben, mit denen die Biotechnologie heute gekennzeichnet wird, vergessen, weder die Pharma-orientierte rote, noch die Pflanzen-orientierte grüne noch die mikrobiell-orientierte weisse Biotechnologie - und auch nicht die dazu gehörende Grundlagenforschung. Wir sollten auch keinen Bereich nur den Anderen überlassen. Davon profitieren auch die Absolventen und künftigen Alumni aus unseren und anderen mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten, indem sie hier in Deutschland ein ausgezeichnetes Forschungs- und Entwicklungsumfeld mit entsprechend attraktiven Jobs vorfinden.

[6] Für Ihre Verdienste um die biologisch-orientierten Naturwissenschaften darf ich Ihnen im Namen der Biologischen Fakultät und auch im Namen der fünf mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten der Georg-August Universität den Grad eines Ehrendoktors für Naturwissenschaften der Biologischen Fakultät der Universität Göttingen verleihen. Ich will die Ehrenpromotionsurkunde kurz vorlesen:

Herzlichen Glückwunsch.