Prof. Dr. José V. Casanova: Forschungsprojekt

Zu einer Rekonstruktion von globalen religiösen/säkularen Dynamiken: jesuitische Begegnungen im konfuzianischen China, im Indien der Mogulzeit, im kolonialen Lateinamerika und im protestantischen Amerika


Das Forschungsprojekt möchte einen Beitrag zu zeitgenössischen Debatten bezüglich der genealogischen Rekonstruktion der globalen Expansion der Kategorien »religiös« und »säkular« unter spezifischer Betrachtung von Begegnungen der Jesuiten im konfuzianischen China, im Indien der Mogulzeit, im kolonialen Lateinamerika (besonders Paraguay und Brasilien) und im protestantischen Amerika leisten. Die Jesuiten können als strategischer Punkt betrachtet werden, durch den drei miteinander zusammenhängende Prozesse rekonstruiert werden können:


  • die globale Ausbreitung eines religiösen/säkularen Klassifikationssystems der Wirklichkeit, das aus dem westlichen mittelalterlichen Christentum hervorging, das aber kontinuierlich abgewandelt wurde durch den folgenden Prozess, nämlich


  • das interzivilisatorische/imperiale/koloniale Aufeinandertreffen von verschiedenen zivilisatorischen Grenzziehungen zwischen »heilig« und »profan«, »transzendent« und »immanent«, »religiös« und »säkular« und die weitere Entwicklung, nämlich


  • ein aufkommendes System globaler religiöser Aufspaltung durch komplexe Dynamiken, einerseits gegenseitige Anerkennung und Wettbewerb zwischen allen »Weltreligionen«, andererseits Heiligung der einzelnen Person durch die Institutionalisierung eines internationalen Menschenrechtssystems, in dem das Prinzip der »Religionsfreiheit« eine immer zentralere Rolle spielt.




Zur Zeit ist das analytische Gerüst noch zu abstrakt und zu spekulativ, das empirische Wissen über die Geschichte der jesuitischen Begegnungen vom 16./17. Jahrhundert bis heute noch zu begrenzt, um konkretere Formulierungen zu wagen. Aber es besteht die Vermutung, dass die Beschäftigung mit den Jesuiten einen besonderen Blickwinkel erlaubt, durch den einige der Globalisierungsdynamiken in all ihrer inter-zivilisatorischen Komplexität untersucht werden können. Die Jesuiten sind nicht notwendigerweise die dominierenden Träger der Globalisierung, obwohl man ihre bedeutende Rolle in der »Ausbildung« des modernen Ichs nicht unterschätzen sollte. Sie bewerkstelligten es aber irgendwie, sich in hochumstrittenen historischen Momenten als Zentren der Debatte im »Auge des Sturms« zu positionieren.