In publica commoda

Begrüßung durch den Universitätspräsidenten

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Minister Stratmann,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich, Sie im Namen der Georg August Universität Göttingen zu der heutigen Eröffnungsfeier des Göttinger Zentrums für Molekulare Biowissenschaften begrüßen zu dürfen.

Mancher mag sich gewundert haben, als er las, dass er zur Eröffnungsfeier des GZMB, wie das Zentrum im örtlichen Jargon bezeichnet wird, eingeladen wird. Der Neubau steht schon seit ein paar Jahren, der vom GZMB betreute internationale Studiengang geht in das fünfte Jahr und das GZMB ist zu einer vielen inzwischen wohl vertrauten Institution geworden.

Wenn man verstehen möchte, welche Bedeutung das GZMB für die Universität hat, muss man in die Entstehungszeit, d. h. ungefähr zehn Jahre zurückgehen. Was kennzeichnete die molekularen Biowissenschaften Mitte der neunziger Jahre?

Zu diesem Zeitpunkt hatten die gentechnologischen Methoden Eingang in nahezu alle Bereich der Lebenswissenschaften gefunden. Gene konnten isoliert, sequenziert und gezielt verändert werden. Ihre Produkte ließen sich mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen in größeren Mengen herstellen. Am Horizont tauchte die Möglichkeit auf, Genome ganzer Organismen - selbst das des Menschen - entschlüsseln zu können, die komplette Proteinausstattung der Zellen zu erfassen, die Funktion der Proteine im natürlichen biologischen Zusammenhang eines ganzen Organismus wie dem einer Maus erforschen zu können. Eine Aufbruchstimmung war spürbar, in der vieles, was wenige Jahre zuvor noch als Utopie erschienen war, als möglich erachtet wurde. Die Erwartung war, das menschliche Genom bis zum Jahr 2005 vollständig zu entschlüsseln und dies, obwohl z. B. im Jahr 1998 maximal 3 % des menschlichen Genoms bekannt waren und mit den damals weltweit zur Verfügung stehenden Sequenzierungsmaschinen maximal weitere 2 - 3 % pro Jahr sequenziert werden konnten. Wissenschaftler gründeten Firmen, denn der Weg von den Experimenten im Laborbereich bis zur Herstellung marktfähiger Produkte schien selbst für kleine Gruppen bewältigbar zu sein. Risikokapital wurde von vielen Seiten und in großem Umfang zur Verfügung gestellt. Die Erfolgsgeschichte des Silicon Valley für die IT Branche sollte sich in der Biotechnologie wiederholen.

Göttingen war ein getreuliches Abbild dieser weltweiten Entwicklung. Die neue Technologie, die es erlaubte, alte und neue Fragestellungen der Biologie und Medizin ausgehend von den Molekülen zu bearbeiten, hatte Fächer wieder zusammengebracht, die sich über Jahrzehnte eher voneinander wegentwickelt hatten. Mikrobiologen, Physiologen, Strukturbiologen, Zellbiologen, Biochemiker, Genetiker, Mediziner, Zoologen, Botaniker und Ökologen fanden sich plötzlich nebeneinander vor gemeinsamen Herausforderungen, die sie nur meistern konnten, wenn sie sich zusammenschlossen. Neue Studiengänge für die Studierenden, neue Qualifizierungswege für die Nachwuchswissenschaftler, aber auch neue Laboratorien und zentrale Forschungseinrichtungen galt es zu schaffen. Die neuen Einrichtungen zur Sequenzierung von Genomen, zur Analyse der Transkriptome und Proteome, zur Strukturbestimmung von Makromolekülen, zur Sichtbarmachung von Einzelmolekülen in lebenden Zellen, zur Herstellung transgener Tiere waren transdisziplinäre Aufgaben, die für die einzelnen Einrichtungen zu komplex, zu teuer und daher nur im Verbund bewältigbar waren.

Als erstes sichtbares Zeugnis dieser Verbandbildung in Göttingen entstand das gemeinsame Tierhaus der Max Planck Gesellschaft und der Universität in den Jahren 1994 bis 1997. Federführend für seinen Betrieb sind das Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin und die Medizinische Fakultät.

Das nächste gemeinsame Unternehmen war das GZMB, dessen Planungen Ende 1996 begannen, das im November 1997 durch einen Senatsbeschluss gegründet wurde, dessen internationaler Master/Ph.D. Studiengang "Molecular Biology" zum Wintersemester 2000 eingerichtet wurde und dessen Neubau, den wir heute eröffnen, in den Jahren 1998 bis 2003 errichtet wurde.

Grundidee war, die damals knapp 20 biowissenschaftlichen Institute und Abteilungen der Universität, die über die Fakultäten für Biologie, Medizin, Chemie, Agrar und Forstwissenschaften verteilt waren, zusammenzuführen, um die Voraussetzungen zur Schaffung neuer Forschungsverbünde, neuer Studiengänge, effektiver Strukturen der Nachwuchsförderung und für die Implementierung neuer Großtechnologien und Fachdisziplinen zu erleichtern.

Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit die Universität im Bereich der Lebenswissenschaften wettbewerbsfähig zu halten

  • die Wiederbesetzbarkeit wichtiger Lehrstühle war aufgrund historischer Bauzustände, um es freundlich auszudrücken, gefährdet,
  • die Partnerschaft mit den außeruniversitären biowissenschaftlichen Einrichtungen in den beiden Max Planck Instituten am Ort und dem Deutschen Primatenzentrum gestaltete sich aufgrund ungleicher Ressourcen immer schwieriger,
  • essentielle Fachdisziplinen, wie die Strukturbiologie waren am Ort nicht vertreten


waren die Aussichten auf Abhilfe äußerst ungünstig. Die Universität, mit Ausnahme der Medizin, hatte von 1995 bis 1999 eine zehnprozentige Sparlast in fünf Teilschritten á zwei Prozent zu bewältigen. Bauliche Aktivitäten beschränkten sich auf Renovierungen und kleinere Ausbauten. Es war daher kein kleines Wunder, dass das Konzept für ein Zentrum für Molekulare Biowissenschaften verbunden mit einem Neubau, der Platz schaffen sollte für fünf Abteilungen und Lehrräume für laborintensive Studiengänge, nicht nur wohlmeinende Anerkennung, sondern tatkräftige Unterstützung bei allen fand, die in der Folge an der Umsetzung beteiligt waren.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass wir heute den Neubau des GZMB feierlich eröffnen können. Und dazu haben viele beigetragen. Ich kann unmöglich jeden nennen. Trotzdem möchte ich einige hervorheben und bitte die, die sich jetzt vielleicht zu Recht zurückgesetzt fühlen, um Nachsicht. Begonnen hat es mit einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern, die begleitet vom Wohlwollen des damaligen Präsidenten Hans-Ludwig Schreiber und des zuständigen Vizepräsidenten und späteren Präsidenten Horst Kern, das Konzept für das GZMB entwickelte. Es waren dies mit mir die Kollegen Hans-Joachim Fritz, Gerhard Gottschalk, Hans Walter Heldt und Lutz Tietze. Mit der beharrlichen Schützenhilfe des Präsidiums überlebte das Konzept die Debatten der Fakultätsgremien und weit wichtiger fand von Beginn an die Unterstützung der politisch Verantwortlichen. Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrer damaligen Funktion als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen und, wie mir der damalige Präsident Schreiber zutrug, teilweise vorbei an der zuständigen Wissenschaftsministerin Ihrer Vorvorgängerin im Amt, Herr Minister Stratmann den Ausbau der molekularen Biowissenschaften zu Ihrer Sache gemacht und 1997 die Weichen dafür gestellt, dass zwischen Abschluss der Planungsarbeiten und Baubeginn weniger als 6 Monate verstrichen. Ich kann mich noch gut an den Besuch des damaligen Staatssekretärs der Staatskanzlei, Herrn Dr. Steinmeier, erinnern, der im März 1997 vor Ort das Projekt und die Handelnden auf Solidität überprüfte. Offensichtlich genügten beide seinen Ansprüchen. Die Last der Bauplanung und Beaufsichtigung des Baus trugen der Leiter des staatlichen Baumanagements, Herr Reinhardt, und Herr Möller. Auf der Seite der Wissenschaft übernahm Herr Dr. Rainer Merkl aus der Abteilung für Molekulare Genetik die schwierige Aufgabe, Labore und Funktionsräume für Kollegen zu planen, deren Ausrichtung und spezielle Wünsche noch gar nicht bekannt waren.

Dass der Bau rasch und frei von größeren Störungen vollendet werden konnte und der Aufbau des GZMB mit seinen neuen Abteilungen und Studiengängen trotz aller Hindernisse zu einem Ergebnis geführt hat, auf das alle Beteiligten stolz sein können und das den Wissenschaftsstandort Göttingen sichtbar stärkt und zu besonderer Qualität verhilft, dafür danken wir gerne den beiden Fachministern, Herrn Lutz Stratmann und seinem Vorgänger im Amt, Herrn Thomas Oppermann. Sie haben sich von der Idee des GZMB überzeugen lassen und seinen Aufbau unter schwierigen Rahmenbedingungen stets unterstützt.

Herr Bundeskanzler, warum wir Ihnen heute die Ehrendoktorwürde der Biologischen Fakultät, der Hauptnutznießerin des GZMB, verleihen, darüber ist viel spekuliert worden. In Teilen hatte ich es schon andeutet und ich möchte der Laudatio nicht weiter vorgreifen. Dass Sie Ihr Betätigungsfeld von Hannover nach Berlin, von der Landes in die Bundespolitik verlegt haben, war eine nicht unerhebliche Voraussetzung dafür, dass wir Ihnen heute die Ehrendoktorwürde verleihen können. Anders als bei einem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen sind die Beziehungen zwischen einem Bundeskanzler und der Universität Göttingen frei von Interessen - fast muss ich sagen: leider. Bildungs und damit Hochschulfragen sind nach unserer föderalen Ordnung Länderaufgabe. Universitäten müssen in einem weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe und Ideen bestehen. Regionalismus führt für Universitäten leicht zum Provinzialismus. Förderinstrumente sollten dies berücksichtigen. Statt bundesweite wettbewerbliche Förderinstrumente zu beschneiden, brauchen wir deren Ausweitung und die, die sich besonders bewährt haben, sollten europaweit zur Anwendung kommen. Im European Research Council, der Bestandteil des 7. Rahmenprogramms ist und für den in dieser Woche auf EU Ebene wichtige Grundsatzentscheidungen fallen, finden sich die Universitäten mit ihrem Erbe aus der europäischen Geschichte, der Generierung und Weitergabe von Wissen frei von Interessen und Verwertungsmöglichkeiten im richtigen Sinne aufgehoben. Das GZMB hat die Aufgabe, daran mit höchsten Ansprüchen mitzuarbeiten.

Mit dem Neubau finden fünf Abteilungen aus der Biologie und Medizin hervorragende Arbeitsbedingungen vor, die die Forschung und Lehre über Fächer- und Fakultätsgrenzen hinweg fördern. Für diese Universität wünsche ich mir, dass der Neubau zu einem Ort der Kreativität und Exzellenz wird, zu einem Kraftquell für die molekularen Biowissenschaften in Göttingen und einem Leuchtturm unserer Universität.