In publica commoda

Wird das 21. Jahrhundert das 'Pazifische Jahrhundert'?

Während der letzten Jahrzehnte rückte der pazifische Raum als dynamischste Weltwirtschaftsregion in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. In einer Generation erreichten viele der Länder Ost- und Südostasiens einen Entwicklungsstand, zu dem die alten Industrieländer ein gutes Jahrhundert benötigten. Es entstanden Visionen von einem „Pazifischen Jahrhundert”, die eine Verlagerung des Drehpunktes der Weltökonomie vom Atlantik und damit von den westlichen Wirtschaftsmächten hin zum Pazifik vorhersagten. Der Pazifik würde das „Meer der Zukunft” werden, so wie das Mittelmeer das „Meer der Vergangenheit” war. Jedoch zeigte die von 1997 bis 1999 nahezu alle Länder der Region erfassende Asienkrise, die anhaltende Konjunkturschwäche der japanischen Wirtschaft wie auch die Einbrüche der regionalen Finanzmärkte infolge der aktuellen SARS-Problematik, dass die wirtschaftliche Situation keineswegs gefestigt ist.

Trotz mancher gleichlaufender Entwicklungsmuster kann der pazifische Raum nicht als homogene Einheit verstanden werden: Von dem wirtschaftlichen Aufschwung profitierten nicht alle Staaten, sondern nur einige des sog. asiatisch-pazifischen Raums. Politisch reicht die Spanne von Demokratien wie Japan, Südkorea und Taiwan, über eine bunte Palette autoritärer Regierungen bis zu kommunistischen Regimes in China und Vietnam sowie zu einer totalitären Diktatur in Nordkorea. Wirtschaftliche Extreme stoßen aufeinander: Hochentwickelte Industriestaaten (z.B. Japan) liegen neben „Tigerstaaten” der 1. Generation (Taiwan, Südkorea, Hong Kong, Singapur) und solchen der 2. Generation (Indonesien, Malaysia, Philippinen und Thailand). Der Aufstieg des “Großen Drachen” China zur Weltwirtschaftsmacht liegt in naher Zukunft. Daneben gibt es mit Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam vier Länder, die (noch) zu den ärmsten Entwicklungsländern (LLDCs) gehören. Neben der wirtschaftlichen Heterogenität existieren auch große kulturelle Unterschiede: Der Konfuzianismus ist zwar dominant, rivalisiert aber überall mit Buddhismus, Shintoismus, Kommunismus, Islam, Hinduismus, Christentum, Animismus oder Atheismus. Die ethnische Vielfalt ist noch wesentlich größer als die religiöse, wenn auch immer, im Gegensatz etwa zu Afrika, zumeist ein dominierendes „Staatsvolk” vorhanden ist.

Die vorgesehene Ringvorlesung bemüht sich, den pazifischen Raum differenzierter zu sehen, als dies üblicherweise geschieht und der Vielgestaltigkeit und Individualität der einzelnen Staaten Rechnung zu tragen. Der interdisziplinäre Ansatz mit dem Schwerpunkt auf Kultur- und Gesellschaftswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Sprach- und Literaturwissenschaften soll dazu beitragen, verschiedene Facetten dieses Raumes transparent zu machen und zu einem besseren Verständnis insbesondere der jüngeren Entwicklungen in Ost- und Südostasien zu gelangen.