Gerhard Kaiser: Grenzverwirrungen – Literaturwissenschaft im Nationalsozialismus. Berlin: Akademie-Verlag 2008. 774 S.



Wann hört eine Disziplin wie die Literaturwissenschaft auf, wissenschaftlich zu sein? Unter diktatorischen Bedingungen, wenn sie aus Zwang, aus Anpassung oder freiwillig politisch wird? War die Neuere deutsche Literaturwissenschaft während des Nationalsozialismus keine Wissenschaft, waren ihre Vertreter keine Wissenschaftler mehr? Welche Handlungsspielräume hatte das Fach überhaupt zwischen 1933 und 1945?


Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten und die differenzierte Forschungslage zum Thema ist kaum noch zu überblicken. Mit der vorliegenden Darstellung von Gerhard Kaiser liegt die erste monographische Synthese des Forschungsstands vor. Darüber hinaus rekonstuiert und analysiert der Autor umfassend und differenziert die "Grenzverwirrungen" zwischen Wissenschaft und Politik in der Literaturwissenschaft im Nationalsozialismus.


Methodisch gesehen integriert die Studie wissenschaftssoziologische, argumentationsgeschichtliche und textanalytische Forschungsansätze sowie Ergebnisse der Wissenschafts- und Gesellschaftsgeschichte. Sie vermeidet damit zum einen die Abstraktionen einer systemtheoretischen Wissenschaftsauffassung, die zu Konkretionsdefiziten führen kann, sobald sie sich der empirisch-historischen Ebene der Wissenschaftsgeschichte(n) zuwendet, und sie erweitert zum anderen den Fokus personalbiographischer Detailstudien.