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Die „kleine Welt“ des Ponyhofs

(ant) Hufgetrappel, Gewieher, Pferdeäpfel: Wenn Dr. Anja Schwanhäußer im Reitstall steht, ist sie mit allen Sinnen in ihrer Forschung. Denn die Kulturanthropologin beschäftigt sich mit „Pferdemädchen“. Mädchen, die viel Zeit mit Pferden verbringen, bilden eine eigene Jugendkultur. „Der Begriff Pferdemädchen wird eher belächelt“, sagt Schwanhäußer, „oft auch mit ‚höheren Töchtern’ assoziiert“. In Wirklichkeit meint er aber mehr. Um herauszufinden, was das mediale Stereotyp des pferdeverrückten Teenies bedeutet, führt Schwanhäußer seit Mitte 2018 eine ethnografisch-kulturanalytische Studie durch. Das DFG-geförderte Projekt läuft drei Jahre. Ihre ersten Eindrücke: „Es ist eine ‚kleine Welt’ am Rande der Stadt, die eine spezielle moralische Ökonomie aufweist.“

Die Wissenschaftlerin hat sich künstlerisch mit dem Thema Pferd im urbanen Raum beschäftigt und bereits als Jugendliche Erfahrungen im Reitstall gesammelt. Für ihr Forschungsprojekt beobachtet Schwanhäußer Mädchen im Alter zwischen 11 und 16 Jahren auf zwei Reiterhöfen nahe Berlin – wobei einer eher im Oberschicht-Milieu liegt, der andere im Mittel- bis Unterschichtmilieu. „Ich versuche, diese Welt von innen heraus zu verstehen.“ Um Teil der Teenie-Gruppe zu werden, kocht die Forscherin auch mal das Mittagessen für die Jugendlichen und kratzt Pferdehufe aus.

Auch die Frage, wie Klassenkameraden die „Pferdemädchen“ wahrnehmen und bewerten, bezieht Schwanhäußer in ihre Studie ein. „Der Ponyhof ist von den Vorstellungen geprägt, die sich andere über ihn machen“. Am Hof herrsche ein kompliziertes Wechselspiel aus Geben und Nehmen, wo Klischees über Weiblichkeit – Zärtlichkeit, „care work“ und Behauptungswille – eine zentrale Rolle spielen. Ihr sei aufgefallen, dass die älteren Mädchen zu einem Teil der ökonomischen Struktur des Ponyhofs werden. Sie versorgen die Ponys, bewegen sie und reiten sie teils sogar zu. Solche sozialen Dynamiken und die Bildung eines kollektiven Stils beobachtet Schwanhäußer.

Zudem untersucht sie das Wechselspiel zwischen Alltagserfahrung und den Medien, die am Hof konsumiert werden. Filme, soziale Medien, Musik, Bücher – all dies vermittele oft den Eindruck, dass Mädchen sich nur deshalb für Pferde begeistern, weil es ihnen medial aufgedrängt werde. „So einfach ist es nicht“, stellt Schwanhäußer nach ihren ersten Beobachtungen fest. Von einer bisher gängigen reinen Kulturindustriekritik wolle sie sich abgrenzen. „Es ist eher so, dass die Mädchen in diesen fiktiven Bildern ihre Alltagserfahrungen auf dem Hof vertiefen.“


Dieser Artikel ist in der Universitätszeitung uni|inform April 2019 erschienen. Die gesamte Zeitung gibt es als Blätterkatalog und als pdf unter www.uni-goettingen.de/uniinform.