Im Dezember fanden weitere juristische Unterrichtsstunden in unserem Our Common Future-Projekt statt. Genau wie im November mussten auch diese als Videokonferenzen stattfinden. Wir trafen uns also drei Mal per Zoom statt face-to-face.

Die erste Videokonferenz begann mit Wiederholungsfragen zur letzten Einheit, um das bereits Erlernte in Erinnerung zu rufen. Anschließend wurden anhand eines fiktiven Falles die einzelnen juristischen Auslegungsmethoden trainiert, die dazu dienen, den Aussagegehalt einer Norm zu ermitteln. Im Liebesgrund-Park in Hildesheim wird eine neue Statue enthüllt: ein alter Militär-Panzer, der, mit Blumen und Friedenszeichen behängt, als Friedenssymbol dienen und zu mehr Umweltschutz mahnen soll. Der Panzer an sich besitzt noch alle Teile (wie zum Beispiel den Motor), ist aber fest im Boden verankert und daher unbeweglich. In einer Satzung der Stadt Hildesheim ist jedoch geregelt, dass im Park sämtliche motorisierte Fahrzeuge verboten sind. Auf dieser Grundlage will Pensionär P den Panzer entfernen lassen. Gelingt ihm dies? Die Schüler*innen zeigten ein gutes Judiz und waren sich im Ergebnis sofort einig: Der Panzer darf bleiben. Aber wie war dies zu begründen? Wie war die Verbotsnorm zu interpretieren? Die Schüler*innen argumentierten mit dem Wortlaut der Regelung, ihrem systematischen Zusammenhang mit anderen Regelungen in der Satzung, der Situation, die zu dem Satzungserlass geführt hatte, und mit dem Sinn und Zweck des Verbots. Anhand dieses Falles verdeutlichte Frau Schwerdtfeger dann auch noch den Unterschied zwischen objektivem Recht und einem subjektiven Recht im Sinne eines Anspruchs: Selbst wenn die Statue gegen die Satzung verstieße, hieße das noch lange nicht, dass jedermann auch ihre Beseitigung verlangen könnte.

Der Fall zur Auslegung diente als Bindeglied zu den Einheiten im November: Denn bereits die Legislative muss sich bewusst machen, wie das von ihr gesetzte Recht später von der Exekutive interpretiert und dann entsprechend angewendet werden soll. Im Streitfall entscheiden die Gerichte, also die Judikative. Diese letzte, nämlich dritte Gewalt, stand nun im Zentrum. In einer einführenden Fragerunde konnten die Schüler*innen ihre Kenntnisse zur Rechtsprechung unter Beweis stellen. Frau Schwerdtfeger veranschaulichte anschließend anhand der relevanten Regelungen des Grundgesetzes die Aufgaben der Rechtsprechung und stellte die verschiedenen deutschen Gerichte sowie ihre „Sitze“, also ihre Standorte, vor. Auch den Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg lernten die Schüler*innen kennen. Für unser Projekt „Können wir Klimaschutz erstreiten?“ von besonderer Bedeutung war erneut die Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Recht. Denn nicht jede*r kann einfach vor Gericht die Einhaltung des Rechts verlangen. Das gilt gerade in Bezug auf Allgemeininteressen wie den Umwelt- und Klimaschutz, der jede*n etwas angeht. Dies scheint auf den ersten Blick zwar paradox, aber die Schüler*innen arbeiteten schnell heraus, dass es auch gute Gründe dafür geben kann, dass der Zugang zu Gerichten begrenzt wird. Im Klimaschutzrecht gewinnen daher Menschenrechte eine immer größere Bedeutung. Denn wenn meine eigenen Menschenrechte verletzt werden, muss ich mich dagegen auch gerichtlich zur Wehr setzten können.

Werden durch den Klimawandel also Menschenrechte verletzt? Welche Menschenrechte kommen in Betracht? Wann kann von einer Verletzung gesprochen werden? Wer kann für eine Menschenrechtsverletzung verantwortlich gemacht werden? Welche Gerichte oder anderen Gremien können hierüber entscheiden und unter welchen Bedingungen? Was für eine Entscheidung kann dabei ganz konkret herauskommen? All diesen Fragen widmeten sich die Schüler*innen in der zweiten Zoom-Sitzung im Dezember in einer Gruppenarbeit zu aktuellen „Klimaklagen“. Frau Schwerdtfeger stellte zunächst exemplarisch die Individualbeschwerde von sechs jungen Portugies*innen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegen die Mitgliedstaaten der EU, Norwegen, Russland, die Schweiz, die Türkei, die Ukraine und das Vereinigte Königreich vor (Youth for Climate Justice v. Austria et al.). Die Kinder und Jugendlichen wollen unter dem Eindruck der verheerenden portugiesischen Waldbrände des Sommers 2018 erreichen, dass diese Staaten effektivere Klimaschutzmaßnahmen ergreifen.

Die Schüler*innen wurden dann in drei verschiedene Gruppen und Breakout-Räume eingeteilt. Jede Gruppe hatte die Aufgabe, eine „Klimaklage“ aufzuarbeiten, um diese anschließend den Mitschüler*innen vorzustellen. Eine Gruppe erschloss sich die Verfassungsbeschwerde von deutschen Jugendlichen um die Klimaaktivistin Luisa Neubauer gegen die Bundesregierung, in der die Verfassungswidrigkeit des (aus Sicht der Beschwerdeführer*innen unzureichenden) Bundesklimaschutzgesetzes geltend gemacht wird. Außerdem wurde die Beschwerde von Greta Thunberg und fünfzehn weiteren Kindern und Jugendlichen aus zwölf Staaten vor dem UN-Kinderrechtsausschuss gegen Argentinien, Brasilien, Deutschland, Frankreich und die Türkei analysiert. Die Kinder sehen durch den Klimawandel ihre in der UN-Kinderrechtskonvention garantierten Kinderrechte verletzt. Des Weiteren ging es um den Fall von Ioane Teitiota aus Kiribati, dessen Asylantrag von Neuseeland abgelehnt worden war. Er berief sich vor dem UN-Menschenrechtsausschuss darauf, dass der steigende Meeresspiegel sein Leben auf dem Inselstaat Kiribati unmöglich mache. Eine weitere Gruppe nahm schließlich die Klage von Saùl Luciano Lliuya gegen RWE unter die Lupe, die vor dem OLG Hamm anhängig ist. Der peruanische Bauer verlangt von RWE (in Orientierung an den Emissionen von RWE) die Übernahme von 0,47% der Kosten für Schutzmaßnahmen für sein Haus. Diesem droht aus einem über seinem Grundstück gelegenen Gletschersee eine Flutwelle. Bei der Bearbeitung der Fälle wurden die Schüler*innen von unseren Projekt-Hilfskräften Jakob Becker und Nils Schlüter unterstützt. Ihre Ergebnisse präsentierten sie anschließend ihren Mitschüler*innen.

Zu Beginn der dritten Unterrichtsstunde stellte Frau Schwerdtfeger den Schüler*innen als erfolgreiches Beispiel noch die Klimaklage im niederländischen Fall Urgenda vor, in dem die niederländische Regierung gerichtlich zur Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 25% bis 2020 im Vergleich zu 1990 verpflichtet wurde. Anschließend erhielten die Schüler*innen eine Einführung in die Systematik der deutschen Grundrechte. Gemeinsam konnten sie den Großteil der im Grundgesetz garantierten Grundrechte selbst zusammentragen. Dann stellte ihnen Frau Schwerdtfeger den dreigliedrigen Aufbau einer Grundrechtsprüfung vor: ihren Schutzbereich, denkbare (staatliche) Eingriffe und Rechtfertigungsmöglichkeiten. Zur Veranschaulichung dienten verschiedene Beispiele. Anhand einer Masken- und Abstandspflicht bei Versammlungen während der Corona-Krise konnten die Schüler*innen diesen Dreischritt selbst nachvollziehen.


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