Sabine Schlieper: Die Chinesisch-Lehrerin (NDR Artikel)

Verrückte Ideen? Die hat jeder mal. Doch dran bleiben, sich von Widerständen und Stolpersteinen nicht abbringen lassen, allen spöttischen Reaktionen seiner Mitmenschen zum Trotz? Das schaffen die Wenigsten. Wir stellen ihnen in unserer Sommerserie diese Woche Menschen aus Norddeutschland vor, die sich von scheinbarer Aussichtslosigkeit ihrer Pläne nicht haben beirren lassen. Erfolgsgeschichten, die Mut machen können, selbst ungewöhnliche Wege zu wagen. Die Sabine Schlieper, die einzige Chinesisch-Lehrerin am Hainberg-Gymnasium in Göttingen, eine der wenigen überhaupt in Deutschland, ist so ein Mensch. Ulrike Heckmann hat sie besucht.

Zum Lehrerberuf sei sie wie die Jungfrau zum Kind gekommen, erzählt Sabine Schlieper. Sie ist Sinologin, Expertin für chinesische Sprache und Kultur also. Und auch das, meint die 45-Jährige, sei purer Zufall. Eigentlich war sie nach dem Abitur nach Göttingen gefahren, um slawische Sprachen studieren. "Ich bin auf meinem Weg zum slawistischen Seminar an der Sinologie vorbeigekommen und da dachte ich, das ist ja noch viel besser, da geh ich mal rein. Und bin da auch sehr für ausgelacht worden, das machst Du sowie so nicht zu Ende."

Sie blieb dabei - dabei waren vor allem die zwei Auslandsjahre ihres Studiums hart: "Als ich das erste Mal nach China kam - ich hab trotz zweijährigem Sprachkurs kaum etwas verstanden, ich konnte kaum etwas sagen und ich hab gedacht, um Gottes willen, bloß nach Hause."

Irritierende Erfahrungen
Damals war sie 22. Ihre Begeisterung für Sprache und Kultur ließen sie durchhalten. Trotz vieler kritischer Fragen aus dem Freundeskreis - und trotz irritierender eigener Erfahrungen mit dem fremden Land und seinem umstrittenen politischen Regime. „Mich faszinieren vor allen Dingen diese wahnsinnigen Gegensätze. Wenn Sie in Shanghai sind, haben Sie 18 Millionen Einwohner, und eine Mega-City, und Sie fahren raus und Sie sind auf dem Land und es ist alles wie vor 20, 25 Jahren. Mich faszinieren die Menschen. Faszinieren heißt nicht immer, dass ich alles so mittrage, wie die das so machen, aber ich habe gelernt, auch Sachen zu akzeptieren oder Sachen auch einfach zu hinterfragen.“

Das fiel ihr nicht immer leicht. Vor allem nicht, als vor 18 Jahren in Peking die Panzer der chinesischen Armee über den Platz des Himmlischen Friedens rollten und die junge Demokratiebewegung niederschlugen. „Ich war zunächst natürlich fürchterlich schockiert, weil ich kurz zuvor da gewesen war. Es war so eine Aufbruchstimmung da und es hat vieles erst einmal kaputt gemacht. Ich habe aber sehr schnell beschlossen, dass ich trotzdem weiter hin fahren werde, weil ich persönlich der Überzeugung bin, wenn man Menschen alleine lässt, oder Länder isoliert, ändert man nichts.“

Mut zum Dialog machen
Die Kritik an Chinas Umgang mit Menschenrechten und der Umwelt, und die westliche Angst vor Chinas rasantem, mitunter skrupellosem Wirtschaftswachstum kann sie verstehen. Ihren Schülern will sie Mut machen zum Dialog - zu einem kritischen Blick auf das Fremde und das Eigene. "Meistens lass ich die Schüler erst mal darstellen, was sie gehört haben. Ein Reizthema ist zum Beispiel Ernährung und dass Chinesen Hunde essen." Chinesische Rituale, Gesten, die drahtige Mittvierzigerin war mehr als einmal selbst verblüfft: "Zum Beispiel, dass die Leute mir nach einem Jahr in China gesagt haben: 'Oh, Du hast aber zugenommen'. Das stimmte auch. Aber das würde man doch hier nie jemandem sagen?! Dahinter steckt, das ist gar nicht schlimm, das ist was Schönes. Weil "zunehmen" heißt auf chinesisch "Glück ansetzen".

Chinesisch als Abiturfach
Seit mehr als 20 Jahren unterrichtet Sabine Schlieper die Sprache - anfangs nur in kleinen, freiwilligen Arbeitsgemeinschaften. Inzwischen hat sie Chinesisch am Hainholz-Gymnasium in Göttingen sogar als Abiturfach durchgeboxt. "Ich musste sehr viele Türen einrennen und auch sehr viele Hintertüren, aber das ist eben etwas, das wir Sinologen in China lernen, wenn es durch die Vordertür nicht geht, muss man eben einen Umweg gehen, und man muss auch warten. Erst haben die gedacht, ich bin so eine spinnerte Einzelkämpferin und ich hab auch die entsprechende Korrespondenz dann aushalten müssen. Jetzt ist unser Ministerpräsident in China gewesen, Wulff, und jetzt sind die Türen offen im Kultusministerium."

Chinesisch lernen heißt Geduld lernen
Die Gunst der Stunde will sie nutzen, sucht gerade eine chinesische Austauschschule - möglicherweise in der Stadt Nanjing, mit der Göttingen eine Städtepartnerschaft plant. Dass sich der unermüdlicher Einsatz für das exotische Schulfach lohnt, daran hat sie nie gezweifelt. "Chinesisch ist in sofern zukunftsfähig, als man in fast allen Berufszweigen inzwischen mit Chinesisch weiterkommen kann, nicht nur in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, an den Unis, in der Entwicklungshilfe wo auch immer." Und die Jobchancen seien nicht alles. Mit Blick auf ihre Schüler verrät sie augenzwinkernd, wer chinesisch lernt, lernt im wahrsten Sinne etwas fürs Leben: "Man lernt beim Chinesischlernen Geduld - auch mit sich selber - und erhöht seine Frustrations-Toleranz, weil man ist eigentlich nie fertig mit chinesisch. Nie!

Autor: Ulrike Heckmann
Stand: 03.09.2007 07:20 Uhr
Quelle: http://www.ndrinfo.de/programm/sendungen/sosechinesisch2.html