Dr. Annette Gilbert (Berlin)


Wann ist ein Werk? Gefährdete Gewissheiten


Respondentin: Prof. Dr. Simone Winko (Göttingen)


Zeit: 27. Juni 2013, 18h c.t.
Ort: Raum VG 3.102 (Verfügungsgebäude, Platz der Göttinger Sieben 7, 37073 Göttingen).


Abstract

Wann ist etwas ein literarisches Werk? Wenn es als Buch auf die Welt kommt? Unter welchen Umständen etwa können unvollendet gebliebene Buchprojekte Werk sein bzw. Werk werden? Und ist es ein Werk, wenn ein von Jorge Luis Borges in seinen Erzählungen erfundenes Werk eines fiktiven Autors als reales Buch in einem Verlag erscheint? Wessen Werk ist es, das wir da lesen? Oder: Wie lässt sich erklären, dass etwas als Werk in Erscheinung tritt und sogar auf Ebay gehandelt wird, obwohl es nie gedruckt wurde und somit realiter, als materielles, wahrnehmbares Objekt, gar nicht existiert?
Anhand von Beispielen aus der jüngsten Literatur- und Kunstgeschichte, die provokativ ihren Werkstatus in Frage stellen, soll über den Begriff des literarischen Werks nachgedacht werden, der in Multiplikatkünsten wie der Literatur ohnehin schon ein prekäres Konstrukt ist. Zum einen gibt es kein materielles Objekt, das mit einiger Plausibilität als das Werk identifiziert werden könnte (R. Wollheim), weshalb wir auch so schon erklären müssen, worauf wir uns eigentlich beziehen, wenn wir von einem literarischen Werk sprechen. Zum anderen kann das literarische Werk keineswegs als zeitlose, objektive, unhintergehbare Kategorie gelten. Die Bestimmung als Werk geht nicht einfach der Interpretation dieses Werks voran, sondern stellt bereits selbst eine Konstruktion und Zuschreibung dar, die historisch variabel und verhandelbar ist. Dabei erweist sich die Rahmung eines Werks als Werk zunehmend als Hauptaustragungsort etwaiger Verschiebungen.