JProf. Dr. Tilmann Köppe (Göttingen)


Die moderne ›Krise des Ich‹ und die Aufgaben der Literaturwissenschaft


Respondent: Dr. Olav Krämer (Freiburg i. Br.)


Zeit: 26. April 2012, 18h c.t.
Ort: Göttingen, Platz der Göttinger Sieben 7, Verfügungsgebäude, Raum VG. 3.102



Abstract

Die drei Romane »The Ambassadors« von Henry James (1903), »Die Feuerprobe« von Ernst Weiß (1923) und »L’Étranger« von Albert Camus (1942) haben ein gemeinsames Thema: Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Protagonist mit Problemen. Für diese Probleme finden die Protagonisten eine je eigene Sprache: Der Protagonist aus »Die Feuerprobe« weiß nicht, wer er ist; Strether aus »The Ambassadors« leidet unter einer Art Bewusstseinsspaltung und er fühlt sich unfrei in Bezug auf die Gestaltung seines Lebens; Meursault aus »L’Étranger« ist egal, was aus ihm wird.
So unterschiedlich diese Probleme auf den ersten Blick auch sein mögen – sie haben doch eine gemeinsame Wurzel. Die zugrunde liegenden Konzepte (des Selbstbildes, der Selbstwahl, der Selbstwahrnehmung sowie des autonomen oder authentischen Handelns) lassen sich im Rahmen einer Theorie der Selbstrepräsentation ausbuchstabieren. Diese Theorie ist geeignet zu beschreiben, was das jeweilige Problem der Protagonisten ist; sie erklärt also, warum die Protagonisten sich verhalten, wie sie sich verhalten; außerdem werden von hier aus wichtige Strukturmomente der Romane verständlich. Schließlich wirft die Theorie ein klärendes Licht auf die in der Moderneforschung verbreitete These von der ›Ich-Krise‹: ›Ich-Krisen‹ sind Krisen der Selbstrepräsentation. Die drei Romane lassen sich als Exponenten einer modernen Ausprägung solcher Krisen verstehen. Der Vortrag wird einige Voraussetzungen dieser Interpretationen diskutieren.