Kunstwerk des Monats im März 2020

01. März 2020
Die Anbetung der Hirten von Hendrick Goltzius. Druckgraphik zwischen Kunstmarkt, Konfessionalisierung und Kunsttheorie
Vorgestellt von: Anna-Lena Brunecker B.A.

Goltzius Anbetung Hirten KdM März 2020 Brunecker»Er lässt seine Arbeiten, so lange sie noch unvollendet sind, nur sehr ungern jemand sehen, während die Vollendeten jeder, der Lust dazu hat, sich ansehen kann.«, beschreibt sein Freund und Biograph Carel von Mander Hendrick Goltzius' Einstellung zu seinem Werk. Dennoch ist die Druckplatte der Anbetung der Hirten, die Goltzius kurz vor seiner Zuwendung zur Malerei um 1600 stach, unvollendet. Teilweise wird diese Diskrepanz mit dem Begriff des non finito – ital. „nicht vollendet“ – erklärt und so wird unterstellt, Goltzius habe diese Platte als vollendet betrachtet. Tatsächlich wurden die Blätter von seinem Stiefsohn Jacob Matham nach Goltzius Tod 1917 herausgegeben. Die gezeigten Blätter sind spätere Zustände der Druckplatte: im zweiten Zustand skizzierte Matham die unfertigen Bereiche, um die Szene lesbarer zu machen und im letzten Zustand polierte er seine Ergänzungen von der Druckplatte und datierte die Platte auf 1615 vor. Wohl als Hommage an seinen verstorbenen Meister herausgebracht, zeigen die Graphiken aber auch das große Interesse an religiöser Druckgraphik in den Niederlanden. Unter der Hegemonie des Calvinismus gab es in Haarlem viele weitere Konfessionen, sodass überkonfessionelle Szenen aus der Bibel gut verkauft werden konnten. Die kleine Größe der Graphiken und die intime Stimmung lässt vermuten, dass die Blätter für die persönliche religiöse Meditation bestimmt waren. Einzelne Drucke und gebundener Bücher mit Illustrationen zur religiösen Versenkung wurden überkonfessionell befürwortet.
Goltzius wurde auch durch seinen Lehrer Dirck Volckertszoon Coornhert beeinflusst, der den Toleranzgedanken und einen christlich geprägten Humanismus ohne Dogmen propagierte. Goltzius nicht nachgewiesene Religionszugehörigkeit und die Graphik selbst als Meditation ohne einen liturgischen Rahmen sprechen dafür, dass Goltzius den Toleranzgedanken teilte. Ob dies allerdings seine Konzeption der Platte beeinflusste, muss Spekulation bleiben.