Biblische Salonmalerei
Zur Historisierung, Sentimentalisierung und Ästhetisierung des Alten Testaments in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts


Teilprojekt im DFG-Netzwerk: Religion im Plural. Wahrnehmung religiöser Differenzierung im Spiegel der Künste, Theologien und Gesellschaft im langen 19. Jahrhundert (DFG-Projekt: 438476014)

Leitung: Prof. Dr. Michael Thimann


Das Projekt nimmt einen wesentlichen Teil der Bildproduktion religiöser Thematik im 19. Jahrhundert in den Blick, nämlich die breite Rezeption von Themen aus dem Alten Testament in der akademischen Historienmalerei und profanen Ausstellungskunst in Deutschland und Nachbarländern wie Frankreich und Belgien. Wohl kaum in einem anderen Jahrhundert wurden derart viele religiöse Bilder ohne dezidiert religiöse Funktion und Nutzungsabsicht produziert. Gemälde biblischer Thematik wurden in der Regel ohne Auftrag gemalt und dann auf Kunstausstellungen gegeben, wodurch sie bei Verkauf in dezidiert kirchenferne Kontexte wie Privatwohnungen, Privatsammlungen, Krankenhäuser, Gerichtsgebäude, Schulen oder Museen gelangten. Dieser Aspekt ist, entgegen der intensiven jüngeren Erforschung der funktionalen Kontexte der auf kirchliche Nutzung abzielenden Nazarenerkunst, bislang weitgehend unbeachtet geblieben. Wie erklärt sich aber die große Popularität von oftmals entlegenen Themen aus dem Alten Testament (z.B. Tod der Rahel, Tod des Moses), die häufig sogar auf keine wesentliche Darstellungstradition zurückgreifen konnten und somit auch nicht im konventionellen Sinne typologischen christlichen Interpretationen zugänglich waren? Historienbilder alttestamentlicher Thematik fanden weite Verbreitung und wurden mit neuen Bedeutungen versehen, sei es als politisch-konfessionelle Allegorien wie in Eduard Bendemanns Trauernden Juden, sei es als persönliche Reflexionsbilder, wie in dem für den konvertierten Juden Jakob Ludwig Salomon Bartholdy gemalten Josephs-Zyklus der Casa Bartholdy in Rom, oder als orientalisierende Phantasien von verhaltener Erotik und sentimentalischem Gehalt, was für einen Großteil biblischer Salonmalerei behauptet werden darf. Erforscht werden sollen einerseits ästhetische Probleme der Bibelmalerei von der Spätromantik bis zum Symbolismus, andererseits aber die offenkundige Verschiebung der Gattungsgrenzen im Sinne einer Durchlässigkeit der ernsten Historienmalerei für das Genre und das Sentimentale. Dabei sollen in Fallstudien ikonographische Konzepte und ihre Realisierung, die Rolle der Rezipienten und der Kunstkritik sowie die sich konfessionell öffnenden Bedeutungsdimensionen religiöser Bilder im 19. Jahrhundert untersucht werden.




Abbildung: Joseph von Führich, Jakob begegnet Rahel bei den Herden ihres Vaters, 1836, Wien, Österreichische Galerie im Belvedere