Theodor Fontane: Effi Briest (1896). Roman
Inhalt
In dem Roman begleiten wir die zu Beginn siebzehnjährige Effi, eine Adlige des späten 19. Jahrhunderts, auf ihrem Lebensweg. Früh verheiratet mit dem deutlich älteren Baron von Innstetten zieht sie von ihren Eltern in Hohen-Cremmen in das hinterpommersche Städtchen Kessin. Ihr Mann vernachlässigt seine junge Frau aufgrund beruflicher Pflichten als Landrat jedoch zunehmend, sodass die eigentlich lebenslustige Effi nach und nach in ihrer Ehe vereinsamt, nur wenige soziale Kontakte pflegt und sich in dem „Spukhaus” (Fontane 2002, 111) nie wohlzufühlen beginnt. Infolge ihrer Einsamkeit und der Sehnsucht nach Unterbrechung ihres eintönigen Lebens geht sie zeitweilig eine Affäre mit dem Major von Crampas, einem Freund Innstettens, ein. Nachdem Innstetten zum Ministerialrat befördert wird und mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter Annie nach Berlin zieht und Effi Hoffnung auf ein glücklicheres, „neues Leben” (ebd., 227) ohne die ständige Erinnerung an ihre Schuld schöpft, entdeckt er eines Tages die Liebesbriefe von Crampas und erfährt so von der Liebschaft. In seiner Ehre verletzt, debattiert Innstetten mit seinem Freund Wüllersdorf darüber, ob er die nun schon Jahre zurückliegende Affäre nicht einfach vergessen sollte. Schließlich aber entschließt sich Innstetten zum Duell, in dem er den Major erschießt, und lässt sich von Effi scheiden. Effi, von der Gesellschaft und den Eltern verstoßen, führt fortan ein noch isolierteres Leben in Berlin. Als sie schließlich tödlich erkrankt, erlauben ihr ihre Eltern die Rückkehr nach Hohen-Cremmen, wo Effi schließlich mit nur 29 Jahren verstirbt.
Einordnung
Theodor Fontane begann mit dem Schreiben erster Gedichte und Novellen schon in der Zeit seiner Ausbildung zum Apothekergehilfen und veröffentlichte 1839 mit seiner Novelle Geschwisterliebe seinen ersten Text. Erst im Alter, angefangen 1878 mit Vor dem Sturm, schrieb er seine großen Romane. Der Autor gilt als Vertreter des poetischen Realismus in Deutschland. Auch romantische Elemente finden sich mitunter in seinem Werk. Der Autor spielt außerdem eine zentrale Rolle bei der Begründung des realistischen Romans (Wenger 1913, 13). Effi Briest wird häufig mit Thomas Manns Buddenbrooks (1901) genannt und kann als Vorläufer des modernen Gesellschaftsromans gelten. Den Anspruch eines modernen Romans sieht Fontane darin, das wirkliche Leben möglichst unverzerrt widerzuspiegeln, allerdings nicht naturalistisch, sondern durch den Schleier einer poetischen Verklärung (ebd., 14–16) – ein gemeinhin zentraler Begriff der literarischen Epoche des Realismus.
Effi Briest ist das erfolgreichste Werk des Autors. Die Geschichte des Romans basiert in Teilen auf dem wahren Berliner Skandalfall Elisabeth von Ardenne. Eines der Hauptthemen Fontanes ist der Antagonismus zwischen der individuellen Freiheit und den gesellschaftlichen Zwängen, welcher Gegensatz gleichzeitig ein Leitmotiv des späten 19. Jahrhunderts darstellt (Geulen 2019, 3). Fontane rückt in vielen seiner Romane adlige Frauen in den Mittelpunkt, etwa auch in Cécile (1886) oder Frau Jenny Treibel (1892). Seine Figuren repräsentieren über einen implizit erkennbaren gesellschaftskritischen Aspekt hinaus auch eine Reflexion der in der Entstehungszeit des Romans schon begonnenen Versuche der Befreiung von den konventionellen, bürgerlichen Rollen- und Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts (ebd., 7). Dieser gesellschaftliche Wandel wurde etwa auch durch den Kolonialimperialismus vorangetrieben, zu welchem sich auch im Roman Hinweise finden, sowie durch bürgerliche Reformbewegungen Ende des 19. Jahrhunderts (ebd., 6f.). Anhand des zentralen Motivs des Ehebruchs und der psychologisch tiefen Charakterzeichnung wird der innere Konflikt Effis zwischen den eigenen Wünschen und den gesellschaftlichen Ansprüchen demonstriert. Aber auch Innstetten entbehrt sein persönliches Glück, denn sein durch gesellschaftliche Normen tradierter Ehrenkodex macht es ihm unmöglich, Effi zu verzeihen. Ferner ist die Verschränkung von Freiheit und Determinismus augenfällig, die Figuren scheinen dem:der Leser:in trotz ihres spontan wirkenden Handelns dennoch schicksalhaft sowie durch eigene Vorstellungen determiniert zu sein (ebd., 4).
In seinem Stil wahrt der Autor so weit wie möglich Objektivität und Distanz und lässt seine Figuren oft selbst sprechen, indem er viele Monologe und Dialoge in seinem Roman einbaut (Wenger 1913, 19, 21) und so ein polyperspektivisches Werk erschafft. Trotz der Vielschichtigkeit zeichnet sich der Roman durch seine einheitliche Verknüpfung verschiedener Motive aus. Außerdem gilt ein ironischer Humor als kennzeichnend für den Autor. Realismus, Verklärung und Humor können als Trinität der Poetik Fontanes gelten (Aust 2000, 434). Fontane hat durchaus ein handwerkliches Verständnis vom Schreiben (ebd.).
Literaturangaben
- Aust, Hugo: Kulturelle Traditionen und Poetik. In: Fontane-Handbuch. Hg. von Christian Grawe und Helmuth Nürnberger. Stuttgart 2000, S. 306–465.
- Fontane, Theodor: Effi Briest. Roman. Stuttgart 2002.
- Geulen, Christian: Das späte 19. Jahrhundert. In: Effi Briest-Handbuch. Hg. von Stefan Neuhaus. Berlin 2019, S. 3–8.
- Wenger, Erich: Theodor Fontane. Sprache und Stil in seinen modernen Romanen. Greifswald 1913.
Ausgaben
- Theodor Fontane: Effi Briest. Hg. v. Christine Hehle. Berlin 1998. (Bd. 15 der kommentierten kritischen Großen Brandenburger Ausgabe). (SDP-Bibliothek: Signatur V-FO 60 2/20:15; SUB Standort: LS1, Signatur: HS 600 Fon:z BA = FA 21038:15)
- Theodor Fontane: Effi Briest. Roman. Nachwort v. Peer Trilcke. Stuttgart 2019 (Reclam Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen und Nachwort, Nr. 19597).
Weiterführende Literatur / Ressourcen
- Bindokat, Karla: Effi Briest. Erzählstoff und Erzählinhalt. Frankfurt a. M./Bern 1984.
- Haß, Ulrike: Theodor Fontane. Bürgerlicher Realismus am Beispiel seiner Berliner Gesellschaftsromane. Bonn 1979.
- Ohff, Heinz: Theodor Fontane. Leben und Werk. München u.a. 1995.
- Theodor-Fontane-Archiv
- Theodor Fontane Gesellschaft
- Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen
Lesedauer
Hörbücher:
- Ungekürzte Lesung mit Gert Westphal: 10 Stunden, 35 Minuten
- Ungekürzte Lesung mit Brigitte Trübenbach: 12 Stunden, 32 Minuten
Leseprobe
„[…] Effi trug ein blau und weiß gestreiftes, halb kittelartiges Leinwandkleid, dem erst ein fest zusammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matrosenkragen. In allem, was sie tat, paarte sich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte verrieten. Man nannte sie die »Kleine«, was sie sich nur gefallen lassen mußte, weil die schöne, schlanke Mama noch um eine Handbreit höher war.
Eben hatte sich Effi wieder erhoben, um abwechselnd nach [8] links und rechts ihre turnerischen Drehungen zu machen, als die von ihrer Stickerei gerade wieder aufblickende Mama ihr zurief: »Effi, eigentlich hättest du doch wohl Kunstreiterin werden müssen. Immer am Trapez, immer Tochter der Luft. Ich glaube beinah, daß du so was möchtest.«
»Vielleicht, Mama. Aber wenn es so wäre, wer wäre schuld? Von wem hab ich es? Doch nur von dir. Oder meinst du von Papa? Da mußt du nun selber lachen. Und dann, warum steckst du mich in diesen Hänger, in diesen Jungenskittel? Mitunter denk ich, ich komme noch wieder in kurze Kleider. Und wenn ich die erst wieder habe, dann knicks ich auch wieder wie ein Backfisch, und wenn dann die Rathenower herüberkommen, setze ich mich auf Oberst Goetzes Schoß und reite hopp, hopp. Warum auch nicht? Drei Viertel ist er Onkel und nur ein Viertel Courmacher. Du bist schuld. Warum kriege ich keine Staatskleider? Warum machst du keine Dame aus mir?«
»Möchtest du's?«
»Nein.« Und dabei lief sie auf die Mama zu und umarmte sie stürmisch und küßte sie.
»Nicht so wild, Effi, nicht so leidenschaftlich. Ich beunruhige mich immer, wenn ich dich so sehe...« Und die Mama schien ernstlich willens, in Äußerung ihrer Sorgen und Ängste fortzufahren. […]"
(Zitat: TextGrid Repository (2012). Theodor Fontane: Romane. Effi Briest. TextGrid Digitale Bibliothek)
Was finde ich an dem Text interessant?
Von Beginn an, etwa mit dem Motiv der „Tochter der Luft” oder Effis aufkommender Todesangst durch den spukenden Chinesen, wird das Ende Effis schon angedeutet, was dem Roman eine beeindruckende Geschlossenheit verleiht. Gerade der Verzicht auf die ausführliche Schilderung von zentralen Ereignissen wie z.B. der Hochzeit, führt dazu, dass man die vielgestaltigen Motive und die vermeintlichen Nebensachen umso deutlicher wahrnimmt und zum selbstständigen Vernetzen und Deuten dieser angeregt wird, was eine besondere Spannung erzeugt. Man muss gewissermaßen zwischen den Zeilen lesen. Bei der Figur Effi erkennt man weiterhin eine interessante Entwicklung, die man durch die ermöglichte Teilhabe an ihrer Gefühls- und Gedankenwelt nachvollziehen kann. Die Figuren sind insgesamt komplex gestaltet und nicht binär z.B. als moralisch gut oder moralisch schlecht konnotiert, was sie sehr lebensecht erscheinen und die eigene Sympathie häufig im Zweifel lässt.
Sidney Lazerus (M.A.-Studierende)