Gelebte Hybridität: Das Benediktinerkloster St. Michaelis zu Lüneburg im 16. Jahrhundert zwischen Stadt und Land, zwischen Landständen und Herzog sowie zwischen Altgläubigkeit und lutherischer Landeskirche

Das St. Michaelis-Kloster zu Lüneburg wurde von Beginn seiner Gründung an umfassend von Kaisern und Königen privilegiert. Bereits die Billunger machten St. Michaelis zu ihrem Haus- und Grablegekloster, was dann die Welfen als Nachfolgedynastie fortführten. Dies, der aus Stiftungen hervorgegangene enorme Grundbesitz des Klosters und seine äußerst umfangreichen Anteile an der Lüneburger Saline machten den Benediktinerkonvent bis weit in das 16. Jahrhundert zum dominanten Männer-Kloster im Fürstentum Lüneburg und seinen Abt als herzoglichen Rat zu einem der wichtigsten Landstände im Fürstentum. Vor diesem Hintergrund konnte der Konvent im sog. Prälatenkrieg zwischen den Salinengut-besitzenden Prälaten und der die Saline verwaltenden Stadt Lüneburg zu vermitteln.
Wie alle Klöster wurde auch St. Michaelis durch die Bestrebungen der Luther nachfolgenden Reformatoren in Frage gestellt. Dies nutzte Herzog Ernst der Bekenner im Jahr 1531, indem er die Landgüter des Klosters konfiszierte. Das Kloster stand damit vor der Herausforderung, dass a) von außen die Kerngedanken seines Daseinszwecks und seines Innenlebens in Frage gestellt wurden; b) sein Besitztümer reduziert und c) seine Rechte beschnitten wurden. Das Kloster wechselte 1532 zum lutherischen Glauben und reduzierte die Anzahl seiner Insassen, behielt aber wesentliche Elemente des vorreformatorischen Klosterlebens bei (u.a. Festhalten am Zölibat und der Residenzpflicht der Konventualen sowie dem Verbleib im Benediktinerorden). Das Gutachten des Superintendenten Urbanus Rhegius ermöglichte die Rechtfertigung der weiteren Existenz. St. Michaelis entwickelte sich zu einer hybriden monastischen Einrichtung, denn es bestand als lutherisches, jedoch mit vorreformatorischen Elementen versehenes Männer-Kloster weiter – als einziges Männer-Kloster im Fürstentum Lüneburg. Als solches konnte es seine wirtschaftliche Potenz sowie seine politische Relevanz im Fürstentum Lüneburg im 16. Jahrhundert bewahren. Mit dem Herzog gelang 1548 die Aussöhnung. Ein tiefer Einschnitt erfolgte erst im Jahr 1655, als es in eine Ritterakademie für den lüneburgischen Adel umgewandelt wurde.
Die Untersuchung des Klosters St. Michaelis bietet damit die Möglichkeit, die Entwicklung eines Klosters zu analysieren, dass sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts wesentlich wandelte und hiermit die Grundlage für sein Fortleben legte. Indem die Mönche zwischen den diversen Parteien, Elementen und Standpunkten einen eigenen Weg suchten, fungiert St. Michaelis gleichsam wie ein Brennglas zum Studium der politischen, rechtliche, sozialen, wirtschaftlichen und ganz besonders religiösen Umwälzungen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts.
Zwar hat die Forschung Bezug auf einzelne Punkte genommen, jedoch fehlt bislang eine Gesamtdarstellung der Konventsgeschichte. Diese Leerstelle in der Erforschung soll nun durch die Quellenbestände im HStA Hannover und StA Lüneburg geschlossen werden.