Forschung

Abgeschlossenes Projekt: Die gesellschaftliche Legitimität von Finanzprofiten

BMBF Logo klein2 Projektzeitraum: 01.10.2015 - 31.01.2019
Finanziert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Förderprogramms Finanzsystem und Gesellschaft.
Die Abschlusskonferenz hat vom 29.-31.01.2019 im Hamburger Institut für Sozialforschung stattgefunden. Flyer Konferenz 'The Legitimacy of Financial Profits'.
Pressebericht zur Konferenz der FAZ vom 13.02.2019: 'Der Preis der Unschuld'

Abschlussbericht des Projekts

Kurzfassung der Ergebnisse (pdf-Link):

Spätestens seit der Finanzkrise von 2008 steht der Wandel der europäischen Marktökonomien in Richtung eines globalen Finanzkapitalismus im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Damit einher geht eine Intensivierung und Erweiterung kapitalismuskritischer Kontroversen in den medialen Reformdebatten in Politik und Zivilgesellschaft, die sich seit 2008 um das richtige Verhältniss von demokratischer Regulierung und freien Finanzmärkten ranken.
Das dreieinhalbjährige Forschungsprojekt „Die gesellschaftliche Legitimität von Finanzprofiten“ nahm diese Entwicklung zum Anlass, um die kulturspezifischen Unterschiede, historischen Voraussetzungen, und ideengeschichtlichen Entwicklungslinien der gesellschaftlichen Legitimität von Finanzmärkten und den dort erzielten Profiten zu untersuchen. Wie definieren unterschiedliche Gesellschaften, wann Finanzprofite legitim und wann sie illegitim sind? Und was bedeutet das? Es ging also auch um die Folgen dieser moralischen Debatten für die Ausgestaltung von Finanzmarktregeln, also um eine empirische Erforschung öffentlicher Kritik an der Wirtschaft und ihrer Effekte auf die Politik. Das Projekt näherte sich der Beantwortung dieser Fragen mit sehr unterschiedlichen Forschungsmethoden und zielte darauf, die Frage der Legitimität von Wirtschaftsordnungen gleichermaßen (1) historisch, (2) vergleichend, (3) akteursorientiert und (4) unter Einbeziehung der grundlegenden Frage nach der soziokulturellen Bedeutung des Profits in kapitalistischen Gesellschaften zu untersuchen. Mit Hilfe von Methoden der historisch-vergleichenden Fallanalyse, der Inhaltsanalyse von historischem Archivmaterial und politischen Pamphleten, einer quantitativen Analyse der Themenstruktur von Parlamentsdebatten (Topic Modeling), sowie der Durchführung, Codierung und Auswertung von 88 leitfadengestützen Interviews mit Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Spanien wurden die folgenden fünf zentralen Ergebnisse erzielt.

In einer ausführlichen vergleichenden Analyse der Entwicklung der Börsenregulierung in Deutschland und Großbritannien, in die wir neben den historischen Quellen auch die öffentliche Skandalisierungen und Rechtfertigungsmuster der Aufsichtsbehören mit einbezogen haben, zeigen sich wiederkehrende Legitimierungsmuster. Diese finden sich schon in der Eisenbahnspekulation der 1850er Jahre in beiden Ländern, dann wieder in den Krisen der 1870er und 1890er Jahre und auch in der Great Depression der 1930er Jahre. Sie beeinflussten nicht nur die Affirmation eines Regimes, sondern auch die Kritik daran, und dies bis zur Phase der Deregulierung in den 1980er und 1990er Jahren, als Argumentationen der Wettbewersbfähigkeit des Finanzplatzes und des globalen Freihandels stärker wurden.
Deutsche und britische Finanzmarktlegitimierung lassen sich nicht entlang allgemeiner Wertprinzipien wie die Vermeidung von Wucher, dem Schutz der Realwirtschaft oder der Verhinderung von Finanzbetrug unterscheiden, sondern die Kulturunterschiede liegen unterhalb dieser Ebene, in konkreteren institutionellen „Bauprinzipien“ einer als legitim abgegrenzten Sphäre des Finazinvestment. Unter Rückgriff auf den Begriff der institutionellen „Rationalitätskriterien“ in der Weberianischen Institutionenforschung bei Lepsius oder Göhler argumentieren wir daher, dass die in Institutionen eingeschriebenen Leitbilder zwischen gesellschaftlichen Werten und der konkreten Regelung von Markthandeln vermitteln. Finanzregime sind daher nicht nur formale Regeln, sondern konkretisieren und verfestigen immer auch symbolische Grenzziehungen der legitimen Spekulation und normalisieren so diese „problematischen“ Märkte. Diese institutionellen Rationalitätskriterien zeigen sich in in vier Dimensionen, die (1) die offizielle Arena, (2) ihre Zugangskriterien, (3) die erlaubten Transaktionen und (4) die Sanktionierungsprinzipien bei Fehlverhalten betreffen.
Wir konnten anhand des Längs- und Querschnittsvergleichs der beiden Regime und der öffentlichen Debatten um sie herum zeigen dass die deutsche Finanzmarktregulierung integrierende Lösungen für die Frage des Schutzes der Realwirtschaft entwickelt hat, während die britische auf segmentierende Strukturen setzte. Die dabei leitenden Vorstellungen vom „guten“ Finanzmarkt orientieren sich in Deutschland an der Steuerung und Förderung der Realwirtschaft durch möglichst breite Einbettung der Börse in die Realwirtschaft, während in Großbritannien starke Grenzen um den Finanzmarkt gebaut werden, die dafür sorgen sollen, dass nur professionelle Risikomanager im Markt sind, damit so die Realwirtschaft geschützt wird. Dem entspricht ein unterschiedlicher Schwerpunkt in der Finanzkrisenpolitik seit dem 19. Jahrhundert: auf den erlaubten Produkten in Deutschland und auf der Frage des Marktzugangs in Großbritannien. In Deutschland stand in Krisenzeiten schon seit dem 19. Jahrhundert immer wieder die Frage im Zentrum, wie spekulative Produkte verboten werden können und wie es gelingen kann, die Finanzmarktseite von realwirtschaftlichen Vorhaben, d.h. deren Aktien- und Kreditverträge so zu gestalten, dass Spekulation verhindert und Wachstum gefördert wird. In Großbritannien dagegen stand in Krisenzeiten in der öffentlichen Debatte immer wieder das Ziel im Vordergrund, „faule Äpfel“ auszusortieren, höhere Standards für professionelle Händler in der Selbstverwaltung der Börse durchzusetzen und solchen Investoren die Privilegien des Handels mit bestimmten Produkten zu entziehen, die sich nicht an diese professionellen Standards gehalten hatten (Münnich 2018).

LegiFi Ergebnis 1
Ein weiteres wichtiges Ergebnis unserer Forschung ist, dass es uns gelungen ist empirisch nachzuweisen, dass diese Rationalitätskriterien der Finanzmarktregulierung, wie sie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert für die nationalen Börsengesetze prägend waren, auch im heutigen Zeitalter des global deregulierten Finanzmarktes weiterhin politisch wirksam sind. Obwohl sich die institutionelle Regulierung der Finanzmärkte in beiden Ländern seit den 1980/90er Jahren stark verändert hat, sind die moralisch-legitimatorischen Prinzipien der Rechtfertigung der Finanzmärkte stabil und treten nach der Krise von 2008 in den Vordergrund. Dies konnten wir mit Hilfe einer Analyse der finanzmarktrelevanten Debatten im britischen Unterhaus und im deutschen Bundestag nachweisen. Wir analysierten alle Debatten, die sich schwerpunktmäßig mit Finanzregulierung beschäftigen, mit Hilfe des Latent-Dirichlet-Allocation (LDA)- Verfahrens im Topic Modeling. Dabei wurde deutlich, dass die vier häufigsten Themen in beiden Ländern in den Debatten zwischen 2008 und 2015 den historischen und kulturspezifischen Rationalitätskriterien entsprechen, die wir in der historisch-vergleichenden Fallanalyse herausgearbeitet hatten.

Tabellen 1a und 1b: Wortlisten der wichtigsten vier Topics der Finanzmarktdebatten (2008-2013) im Deutschen Bundestag (Anzahl der finanzmarktbezogenen Redebeiträge insgesamt: 479)
LegiFi Ergebnis 2.1
Tabellen 2a und 2b: Wortlisten der wichtigsten vier Topics der Finanzmarktdebatten (2008-2015) im House of Commons (Anzahl der finanzmarktbezogenen Redebeiträge insgesamt: 804)
LegiFi Ergebnis 2.2

Die obigen Tabellen zeigen, welche Begriffe die vier Hauptthemen in beiden Ländern prägen, und dies zum einen im Hinblick darauf, welche Begriffe im jeweiligen Thema am häufigsten sind, aber auch, welche Begriffe nur exklusiv im Kontext des jeweiligen Themas vorkommen (FREX). Die Themen wurden zudem qualitativ durch Inhaltsanalyse validiert. Daraus wird ersichtlich, dass in Deutschalnd seit der Krise von 2008 wiederum die Begrenzung problematischer Produkte im Sinne eines Verbraucherschutz, die als schädlich für die Realwirtschaft beschrieben werden, im Zentrum stehen (Themen X2 uns X3), wie Hochfrequenzhandel und geschlossene Immobilienfonds. Derivate sind dabei ein zentrales Thema der Finanzmarktregulierung (X6), und die Wirtschaftsförderung durch öffentliche Banken wie die Sparkassen bilden den positiven Gegenentwurf (X9). Dies bestätigte sich auch in einer anschließenden qualitativen Inhaltsanalyse der 20 einschlägigsten Reden für die jeweiligen Themen. In Großbritannien stehen dagegen die Bezahlung der Trader selbst (X10) und die Wiedererrichtung von Grenzen zwischen dem Investmentbanking und anderen Wirtschaftsbereichen (Ring-Fencing) (X1) nach der Bankenrettung (X9) im Zentrum, sowie eine reformierte Aufsicht des Marktgeschehens (X8). Hier zeigt sich der legitimatorische Schwerpunkt auf dem problematischen, unprofessionellen Handeln „schwarzer Schafe“ auf dem Parkett, deren Erträge dann auch als unmoralisch und gierig gelten.
Unsere Ergebnisse zeigen somit, dass die politischen Legitimationsdiskurse sowohl in ihrer normativen als auch in ihrer kognitiven Bezugnahme auf Finanzmärkte durch die Brille historisch institutionalisierter Rationalitätskriterien schauen, wodurch blinde Flecken in der Wahrnehmung und regulatorischen Bearbeitung der Veränderungen zum globalen Finanzmarkt entstehen, die beide Länder vor der Krise durchlaufen hatten. Legitimationsdiskurse über den Finanzprofit sind also zu einem gewissen Grad von den tatsächlichen ökonomischen Problemen und Marktstrukturen des Finanzsystems entkoppelt.
Die qualitativen, leitfadengestützten Interviews, die wir mit insgesamt 88 RepräsentantInnen von zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) in Deutschland, Großbritannien, Spanien und Frankreich im Rahmen des Projektes geführt haben, sowie mit CSOs, die auf europäischer Ebene tätig sind, zeigten typische Cluster in den vier betrachteten Ländern. Wie die untere Gradik zeigt, unterscheiden sich die Schwerpunkte der CSO-Aktivitäten in den vier Ländern entlang der beiden Dimensionen (1) Reichweite der geäußerten Kritik und (2) Adressat. Die Finanz-CSOs in Deutschland und Spanien sind in ihrer Kritik am Finanzmarkt deutlich universalistischer orientiert als die CSOs in Großbritannien und Frankreich. Kritik am Finanzmarkt und an den dort entstehenden Profiten sind hier zumeist eng verknüpft mit weiteren Themen wie Demokratisierung, ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit.
Zugleich unterscheiden sich die Länder sehr deutlich in der Frage, an wen die Kritik primär gerichtet ist. Während die von uns interviewten CSOs in Deutschland sich als Think Tanks und Experten begriffen, deren Schwerpunkt in der kritischen bzw. oppositionellen Wissensproduktion zum Thema Finanzmarktregulierung liegt, richtet sich die spanische Finanzkritik auf die Beeinflussung politischer Entscheidungen, bzw. als universalistische Kritik wird der Finanzsektor als Teil eines korrupten politischen Systems gesehen und in Form einer möglichst breiten sozialen Bewegung bekämpft. Anders als in Spanien ist die CSO-Struktur in Großbritannien und Frankreich organisatorisch verfestigt wie in Deutschland, aber ihre Orientierung ist deutlich partikularistischer, d.h. eine höhere Spezialisierung auf einzelne Regulierungsthemen in Bezug auf Finanzmärkte wurde sichtbar, gegenüber den breiter orientierten CSOs in Deutschland. In Frankreich ist die Strategie der CSOs dabei zwischen Wissensproduktion und Entscheidungsproduktion unterschiedlich, in Großbritannien ist die Strategie deutlicher, politische Entscheidungsträger durch spezifische Expertise zu erreichen. Unsere Interviews auf europäischer Ebene bestätigen diese unterschiedlichen Schwerpunkte als wichtiges Hindernis für trans-nationale Zusammenarbeit, sobald diese über einen sehr regelmäßigen Austausch hinausgehen und konzertierte politische Arbeit umfassen soll. Auch innerhalb einer Organisation wie ATTAC entwickeln sich so sehr unterschiedliche nationale Schwerpunkte.

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Der Grund für diese nationale Konturierung der Kritik an einem transnationalen Finanzmarkt liegt in einem Zusammenspiel aus (1) den nationalen Institutionen der Interessenvermittlung in der legitimen Politik, (2) dem national unterschiedlichen sozioökonomischen Kontext der Finanzkrise von 2008 und (3) den unterschiedlichen Schwerpunkten der CSOs, die schon seit den 1990er Jahren in der Globalisierungskritik tätig gewesen waren. So wurde die Finanzkrise von 2008 in Frankreich in der öffentlichen Debatte schnell in einen allgemeinen Krisendiskurs der französischen Sozialordnung und eine allgemeine Krise des Neoliberalismus eingeordnet. Zugleich gibt es dort eine große eine Distanz zwischen NGOs und Zentralstaat in Frankreich, die auch darin Ausdruck findet, dass die französische Zivilgesellschaft den Finanzmarkt als Teil einer politischen Elite sehen, die sich der demokratischen Kontrolle enzieht. Finanzmarktbezogene CSO-Aktivität richten sich dann auf eine Demokratisierungsdebatte, kann aber nur partikularer sein, weil das universalistische Kritikfeld schon stark von traditionellen Playern der Sozialkritik besetzt ist.
In Spanien dagegen steht das Finanzmarktproblem aufgrund der Immobilienkrise viel deutlicher im Zentrum der allgemeinen politischen Krise, wodurch sich hier CSO-Chancen ergeben, soweit sie dabei auf Bewegungsstrukturen aufbauen. In Deutschland eröffnet die Tradition des Korporatismus einen politischen Zugang und die Krise wird als primär ökonomisch gesehen. Dies wird auch durch die historisch dominante Idee eines die Realwirtschaft fördernden nicht-sepkulativen Finanzsektors befördert, der als Hintergrundfolie präsent ist. Zugang zur Politik erschließt sich hier aber allem durch Sachkompetenz und Expertenstatus, der von den CSOs als wichtiges strategisches Ziel gesucht wird. In der britischen Politik geht es vor allem um die Politisierung einzelner Themen der Finanzkritik, für die die CSOs deutlicher untereinander im Wettbewerb stehen, was u.a. auf die mangelnde verbandliche oder staatliche Ressourcenlage zurückzuführen ist. Dazu kommt die große Bedeutung der City für die britische Wirtschaft, die radikalen Protest zumeist als unattraktiv aussehen lässt. Auf der europäischen Ebene schließlich wiederholen sich diese unterschiedlichen Schwerpunkte, vor allem die wissensbezogenen Strategien der französischen und der deutschen CSOs verfangen hier aufgrund der besonderen institutionellen Rolle von Experten und Think Tanks in der EU-Politik leichter Gleichzeitig zeigen die Interviews, dass nicht nur im Europäischen Rat, sondern auch im EU-Parlament die nationalen Perspektiven so stark in der Entscheidungsproduktion, dass es wenig Anreiz für die CSOs gibt, auf transnationale Strategien zu setzen.
In jeder kapitalistischen Ökonomie lassen sich die Geld- und Realseite des Wirtschaftsprozesses nicht vollständig voneinander trennen. Finanzmärkte sorgen für die Allokation des gesellschaftlichen Kapitals als wichtigen Produktionsfaktor. Da in diesem Prozess aber Zukunftserwartungen heute schon unmittelbare Zahlungs- und Verteilungsfolgen haben, kann sich die Dynamik auf Finanzmärkten von der bloßen Betrachtung der Realwirtschaft in gewissen Grenzen entkoppeln und Gewinne direkt aus der Beobachtung der anderen MarktteilnehmerInnen gezogen werden.
Aus unseren Studien zur moralischen Bewertung von Finanzprofiten seit dem 19. Jahrhundert wurde dabei deutlich, dass die Kritik- und Legitimierungsmuster der Finanzmärkte anders sind als die der Güter- oder Arbeitsmärkte. Hierbei spielen spezifische Funktionszuweisungen an den Finanzmarkt eine große Rolle. Zu dieser moralischen Besonderheit von Finanzprofiten hat auch die ökonomische Theoriebildung beigetragen, in dem sie die Geldseite der Ökonomie als reinen „Schleier“ oder als bloßes „Tausch- und Schmiermittel“ aus dem Kern der mikro- und makroökonomischen Modellbildung in die Randbereiche verdrängt hat. Die Finanzseite der Ökonomie wurde so die letzte Sphäre des Wucherverbots und politische Legitimierungs- und Regulierungsabsichten kaprizierten sich darauf, besondere Schadenspotentialedes Geldhandels zu isolieren und mit institutioneller Prävention und Sanktionierung zu versehen. Dies führte in den von uns untersuchten Gesellschaften zu einer Trennung zwischen der moralischen Kritik am Finanzmarkt und der Kritik am Kapitalismus im Allgemeinen, die sich auch in die reformistischen und konservativen Weltbilder der Kapitalismuszähmung fortsetzte.
Dieses sowohl kognitiv als auf normativ ungeklärte oder ambivalente Verhältnis von Finanzkritik und Kapitalismuskritik fanden wir an verschiedenen Stellen unserer Forschung immer wieder. So berichten die von uns interviewten CSOs von der Schwierigkeit, ein Feld der Finanzmarktpolitik jenseits der klassischen Felder der Umwelt- Sozial- oder Fiskalpolitik zu addressieren und konkrete Kritikmuster und Reformvorschläge zum Finanzmarkt in öffentliche Kampagnen oder Lobbyarbeit ins Zentrum zu stellen. Einige unserer GesprächspartnerInnen waren dann auch häufig eher Finanzmarktexperten innerhalb anderer Kritikfelder. Diejenigen, die sich auf Finanzmarkt spezialisieren sehen sich aber der Notwendigkeit gegenüber, eine moralische Kritik an Finanzmärkten zu entwickeln, die die Geldseite als besonderes Problem thematisiert. Dies birgt aber von zwei Seiten diskursive Schwierigkeiten: Erstens droht die Gefahr der Reproduktion historisch problematischer Formen von Zinskritik, die aufs Engste mit Antisemitismus und faschistischer Ideologie verknüpft waren. Zweitens führt der Versuch, eine sachlichere Sprache anzuschlagen, viele CSOs dann in das spezifisch finanzökonomische Vokabular. Beides führt zu größerer Distanz zu potentiellen Koalitionspartnern in der Politik anderen CSOs und verhindert die notwendige öffentliche Personalisierung und Mobilisierung der Thematik. Diese bis in die Sprachformen der Zivilgesellschaft wirkenden Ambivalenz einer „reinen“ Finanzmarktkritik schützt die technokratische Sphäre der internationalen Finanzmarktregulierung vor breiteren legitimatorischen Angriffen – neben der oben schon genannten Verfangenheit der politischen Legitimationsdiskursen in der nationalen institutionellen Vergangenheit eine zweite strukturelle Begrenzung jeder gesellschaftlichen Kritik von Finanzprofiten.
Über das gesamte Projekt hinweg ließ sich für die gesellschaftliche Legitimität von Finanzprofiten ein allgemeiner Mechanismus nachweisen: Dort, wo Legitimationsfragen in die politische Sphäre getragen werden, werden distributive Aspekte zugunsten von regulativen Fragen verdrängt, d.h. aus der Frage nach der moralischen Legitimität von Finanzprofiten wird die Frage der richtigen institutionellen Regulierung des Finanzmarktes zum Schutz vor Krisen. Dies geschah auch innerhalb der ökonomischen Theorie. Mit der subjektiven Werttheorie in der ökonomischen Theoriebildung werden Verteilungsfragen aus dem Bereich legitimer Erklärungsvorhaben in der Ökonomie verdrängt. Effizienz- und Wachstumsfragen stehen im Zentrum, während eventuelle Ungleichheitsfragen aus dem Zuständigkeitsbereich der Ökonomie herausfallen und zur Aufgabe für demokratische Umverteilungspolitik erklärt werden.
Diese Zuständigkeitstrennung von distributiven und regulativen Fragen zwischen Ökonomie und Politik haben wir auch in den Legitimationsdiskuren beobachten können: Die Krisenreaktion der Öffentlichkeit und der Protestaktivitäten, die sich nach 2008 weltweit entwickelt haben war deutlich auf die Kritik daran gerichtet, dass Finanzmärkte Profite privatisieren aber Risiken sozialisieren und betrafen somit die moralische Legitimität dieser Art des Profits. In unserem Projekt haben wir den Weg dieser Krisenreaktionsmuster in die politische Sphäre untersucht, vermittelt über die Aktivitäten von CSOs und die Selektivität der politischen Debatten um die Neuregulierung des Finanzmarktes. Dabei stellten wir immer wieder fest, dass die Frage nach der Legitimität des Profits in den Hintergrund gerät: In den Aktivitäten der CSOs wird diese Frage entweder als allgemeine Frage nach der Ungleichheit im Kapitalismus eingebettet und in Forderungen an einer bessere Sozial-, Umwelt- und Entwicklungspolitik integriert, oder die spezialisierte Finanzmarktkritik konzentriert rein regulativ auf die Stabilität, Effizienz und Transparenz des Finanzmarktes.
Innerhalb der CSO-Felder sehen wir in einigen Ländern eine entsprechende Spaltung: Diejenigen CSOs, die stärker auf die Beeinflussung der Entscheidungsproduktion der Politik zielen, stellen distributive Fragen weniger stark ins Zentrum. Innerhalb des parlamentarischen Prozesses konnten wir dann beobachten, dass die unterschiedlichen Institutionalisierungsprinzipien der nationalen Finanzregime die legitimatorische Debatte in den Parlamenten dominieren, d.h. auch hier stehen historisch bedingte regulative Aspekte im Vordergrund, namentlich der Beitrag der Finanzmärkte zum Wachstum der Realwirtschaft und der Schutz vor Spekulationsblasen. Wir konnten also nachweisen, dass die Diskurs- und Organisationsstrukturen von Politik und zivilgesellschaftlicher Kritik es erschweren, die Frage nach der Legitimität der auf dem Finanzmarkt erzielten Profite in der politisch-öffentlichen Arena zu stellen.