Von Girangaon nach 'Mini-Pakistan': Die prekäre Verortung werktätiger Muslime im Bombay des 20. Jahrhunderts


  • Forschungsgruppe: Moderne Indische Geschichte
  • Antragsteller: Prof. Dr. Ravi Ahuja
  • Projektbearbeiter: Robert Rahman Raman, M.A.
  • Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
  • Laufzeit: September 2013 bis August 2016




Projektzusammenfassung:

Das Forschungsprojekt überprüft die folgenden Hypothesen: a) dass die im Laufe des 20. Jahrhunderts sich wandelnden Selbst- und Fremd-Identifikationen werktätiger Muslime in Bombay eine instabile und prekäre Verortung ihrer Wohngebiete im städtischen Raum zur Folge hatten und b) dass diese wechselnden Identifikationen und prekären Verortungen die politische Kultur der Metropole in ihrer Gesamtheit mitprägten.

Konkret wird untersucht, wie Stadtteile Bombays in der öffentlichen Wahrnehmung von "Arbeitervierteln" mit vielen muslimischen Einwohnern in "muslimische Viertel" mit großem Arbeiteranteil transformiert wurden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Viertel wie Madanpura oder Mominpura sowohl in der Fremd- als auch in der Selbstwahrnehmung als integraler Bestandteil von "Girangaon" ("Textilmühlen-" bzw. "Fabrikdorf") betrachtet, ein ausgedehntes Gewerbegebiet in Zentral-Bombay. Diese Viertel beherbergten zahlreiche muslimische Arbeiter, die es aus diversen, hauptsächlich nordindischen ländlichen wie städtischen Gegenden in den damals größten indischen Industriebezirk gezogen hatte. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurden diese Viertel jedoch zunehmend mit dem abschätzigen Etikett "Mini-Pakistan" versehen, um ihren "fremden", quasi extraterritorialen und "unnatürlichen" Charakter anzuzeigen.

Diese Stadtteile waren vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu den Bombayer Unruhen von 1992-93 mit den benachbarten vorwiegend von Hindus oder Dalits bewohnten Vierteln unentwirrbar verflochten und stellten ein dynamisches Kraftfeld dar, in dem unterschiedlichste sozio-politische Strömungen aufeinander trafen und so die politische Landschaft der Stadt formten. Antikolonialer Nationalismus, die panislamische Khilafat-Bewegung, die kommunistische Mobilisierung der Arbeitenden, der muslimische Separatismus, religiöse Erweckungsbewegungen sowie ein auf "ethnischer" Zugehörigkeit und Sprache basierender regionaler Sub-Nationalismus beeinflussten und formten die sozio-politische Atmosphäre in den vorwiegend von Muslimen bewohnten Vierteln.

Basierend v.a. auf bislang vernachlässigten nicht-offiziellen Quellen in indischen Sprachen, zielt das Forschungsprojekt darauf ab, einerseits die wechselnde Anziehungskraft der konkurrierenden geistig-politischen Strömungen auf muslimische Arbeiter in Girangaon zu rekonstruieren und andererseits die sich im Untersuchungszeitraum verändernden Prozesse und Formen zu untersuchen, durch und in denen sich muslimische Werktätige in Girangaon selbst identifizierten und verorteten (als Weber, Muslime und Arbeiter) oder von anderen identifiziert und platziert wurden (als Lohnabhängige, Einwohner Girangaons, Fremde oder gar als Eindringlinge).