Kunstwerk des Monats im März 2011


13. März 2011
"Farbiger Gipsabguß nach „Madonna mit Kind und anbetenden Engeln“ des Andrea della Robbia"
Vorgestellt von: Dr. Anne-Katrin Sors

Andrea della Robbia1927 als künstlerische Reproduktion und Lehrmittel erworben, verdient der polychrome Gipsabguss von Andrea della Robbias „Madonna mit Kind und anbetenden Engeln“ heute selbst museale Sorgfalt und wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Im Zeitalter perfekter photographischer Dokumentation und billigen Reisens zum Original dient der Abguss des Florentiner Terracottareliefs des 15. Jahrhunderts nicht mehr als Grundlage kunsthistorischer Forschung und Lehre. Es ist das Medium des Abgusses in seiner höchstwertigen Form der polychromen Farbfassung, das heute wissenschaftlich interessiert, Einblick in die Geschichte des Faches Kunstgeschichte, die Veränderungen des Kunstbegriffs, der Reproduktionsmedien und des Rezeptionsverhaltens bietet: Wie sah und verstand man im frühen 20. Jahrhundert italienische Skulptur des 15. Jahrhunderts, wenn man glaubte, diese im Abguss studieren und so zur kunsthistorischen Ausbildung nutzen zu können"

Die Göttinger Kunstsammlung erwarb den Abguß 1927 von den Erben des Geheimrates Prof. Dr. Waldemar Voigt (1850-1919), Professor für Physik (Kristallphysik und Optik) an der Georgia Augusta, mit 20 weiteren Abgüssen nach Vorbildern der italienischen Renaissance. Gezeigt ist eine Maria mit dem Kind zwischen anbetenden Engeln in einem halbrunden von Fruchtgirlanden gerahmten Relief. Die della Robbia Werkstatt lieferte entsprechende Darstellungen in großer Zahl und Variation, gefertigt aus gebranntem Ton. Verwendet wurden derartige Stücke als Türschmuck oder Bekrönung aufwendiger Rahmungen über Altären oder Wandnischen in Sakralbauten. Der Göttinger Gips stellt also nur einen Teil eines ursprünglich wesentlich umfangreicheren Rahmungsapparates dar. Dies führt zur oben gestellten Frage nach Funktion und Nutzen des Gipses. Ursprünglich zur Vervielfältigung antiker Skulpturen genutzt, begann man im ausgehenden 19. Jahrhundert auch mittelalterliche und frühneuzeitliche Werke in Gips abzuformen. Ziel war eine alle Zeiten und Stile abdeckende Präsentation in Museen, die auf diese Weise weit voneinander entfernt erhaltene Hauptwerke nebeneinander inszenieren konnte. Wichtigstes Beispiel ist die in Berlin noch in den 1920er Jahren aufgestellte Gipssammmlung mittelalterlicher Skulptur. Doch entbrannte der Streit um derartige Museumskonzepte, die Kopien mit Originalen mischten, früh. Bereits in den 1930er Jahren verschwanden die teils gewaltigen Gipssammlungen vieler Orts in den Depots. Interessanterweise zweifelte man an dem Nutzen derartiger Abformungen für die kunsthistorische Lehre weit weniger, was heute befremden mag, da das Bewusstsein für Funktion, Materialität und historische Zustände eine reine Formgeschichte weit hinter sich gelassen hat. So wurde auch in Göttingen nach Gipsen gelehrt, zu welchem Zweck die mehr als 100 Gipse der Universitätskunstsammlung angeschafft wurden.


Das Objekt wurde als Kunstwerk des Monats anlässlich der Ausstellung „Bunte Götter“ ausgewählt, in der das Archäologische Institut der Universität Göttingen ab dem 6. März polychrome Gipsabgüsse nach Antiken zeigen wird. Der Vortrag zum Kunstwerk des Monats wird aufgrund der Eröffnungsfeier ausnahmsweise nicht am ersten Sonntag des Monats stattfinden und verschiebt sich auf Sonntag, den 13. März, 11.15 h, Nikolausberger Weg 15, 2. Stockwerk. Die Vorstellung des Objektes durch Frau Dr. Anne-Katrin Sors, Kustodin der Kunstsammlung, wird kombiniert mit einer Ausstellungsführung von Dr. Daniel Graepler, Kustos der Sammlungen am Archäologischen Institut.