Kunstwerk des Monats im Juni 2009


07. Juni 2009
"Alfred Kubin illustriert Edgar Allan Poe"
Vorgestellt von: Rudolf Krüger, M.A.

Alfred Kubin: Edgar Allan PoeDie Göttinger Universitäts-Kunstsammlung besitzt drei Handzeichnungen des Österreichers Alfred Kubin (1877-1959), die Edgar Allan Poes abenteuerlichen Seefahrer-Roman "Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gordon Pym" illustrieren. Diese Bleistiftzeichnungen sind die Entwürfe zu drei von dreissig Illustrationen, die 1930 von der Deutschen Buch-Gemeinschaft herausgegeben wurden. Durch einen Ankauf im Münchner Kunsthandel gelangten sie 1964 nach Göttingen.

Der 200. Geburtstag des amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe (1809-1849) bietet nun den Anlass, diese Schätze nach Jahrzehnten, in denen sie in der Schublade lagen, öffentlich zu präsentieren.

Kubin, der bedeutendste deutschsprachige Illustrator des 20. Jahrhunderts, hat die unheimlichen und phantastischen Erzählungen Poes wiederholt illustriert. In dem Amerikaner aus Boston hatte Kubin einen Autor gefunden, der ihm menschlich ähnlich war und dessen Werke seinen künstlerischen Intentionen entsprachen. Beide kleideten sich mit Vorliebe ganz in Schwarz, was vielleicht ein Ausdruck ihrer melancholischen und skeptischen Verlagung war. Nachdem beide in früher Kindheit ihre Mütter verloren hatten, waren Trauer und Verlust ihre lebenslangen Begleiter. Dies mag ein Grund dafür sein, dass beide in ihren Werken immer wieder Grenzerfahrungen verarbeiteten, die bis ins Morbide und Dämonische hineinreichen.

Auf diese Weise fand Poe fast hundert Jahre nach der Erstausgabe seines "Arthur Gordon Pym" im Jahre 1838 in Kubin einen kongenialen Illustrator, der trotz anderer Poe-Illustratoren wie Edouard Manet oder James Ensor wie kein anderer dazu prädestiniert war, die düster-phantastische Stimmung der literarischen Vorlage ins Bild umzusetzen.
Kubin bediente sich auf dem Gebiet der Buchillustration ausschließlich der Technik der Federzeichnung.

Diese Federzeichnungen bereitete er jedoch mit Bleistiftskizzen vor, die er auf jedem beliebigen Papier, das ihm in die Hände kam, aufbrachte. Für seine Entwürfe zu "Arthur Gordon Pym" benutzte er das Papier alter Rechnungsbücher.

Vergleicht man die drei Göttinger Bleistiftentwürfe mit den fertigen Federzeichnungen, wie sie in der gedruckten Buchausgabe erschienen sind, so fallen deutliche Unterschiede ins Auge. Das nervöse und huschende Strichbild der Entwürfe verrät, wie sich der Künstler an die endgültige Lösung herantastet: Auf dem nebenstehend gezeigten Blatt, welches winkende Schiffbrüchige zeigt, wird das Geschehen nur angedeutet: Nachdem das Schiff, auf dem Gordon Pym als blinder Passagier mitgefahren war, gekentert ist, treiben er und ein Kamerad als die letzten Überlebenden kieloben über das Meer. Dann naht eines Morgens am Horizont die Rettung in Gestalt eines englischen Schoners. Die beiden Überlebenden versuchen nun springend und mit ihren Hemden winkend auf sich aufmerksam zu machen. Diese dramatische Szene zeichnet Kubin nur skizzenhaft und korrigiert währenddessen Haltung und Gestik seiner Figuren. In der auf der Grundlage dieses Entwurfes angefertigten Federzeichnung, die als Druckvorlage diente, verfestigte Kubin die Formen und verdüsterte das Strichbild zu einem engmaschigen Liniennetz, wovon der Göttinger Entwurf nur wenig ahnen lässt. Anhand der drei Göttinger Bleistiftzeichnungen kann der Betrachter spannende Einblicke in den Schaffensprozess der Kubinschen Illustrationsweise erlangen.