Alimentations-, Satisfaktions- und Verlöbnisklagen vor dem Göttinger Universitätsgericht 1737-1879. Nichtehelicher Geschlechtsverkehr und seine Folgen als Prozess der sozialen Aushandlung.

Gefördert durch das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (Oktober 2013 bis September 2016)

Das Projekt untersucht den Bestand der oben genannten, vor dem Göttinger Universitätsgericht geführten Klagen von seiner Gründung bis zu seiner Auflösung. Die darin auftretenden Prozessparteien agierten vor dem Gericht als kompetente Akteure ihrer Lebenswelt, die sich im Rahmen dieses Wissenshorizonts bemühten eine Urteilsfindung zu ihren Gunsten zu erwirken.

Die Universität des 18. und 19. Jahrhunderts bildete aufgrund ihrer Autonomie in rechtlichen Belangen und aufgrund des Sonderstatus ihrer Angehörigen ein kulturelles Milieu, das wegen des Alters der Studierenden und deren Ledigenstandes besonders anfällig für illegitime sexuelle Beziehungen war. Davon zeugt der große Bestand des Göttinger Universitätsarchivs an Alimentations-, Satisfaktions- und Verlöbnisklagen, die statt in den Zuständigkeitsbereich der städtischen Gerichte oder kirchlichen Kommissionen in den des Universitätsgerichts fielen. Der Rechtsprechung zu Grunde gelegt wurden noch bis im 19. Jahrhundert Kirchenordnungen des 16. bis 18. Jahrhunderts, deren Rechtsgrundsätze durch zahlreiche rechtspraktische Entscheidungen im Laufe der Zeit erheblich modifiziert worden sind. Ferner umfasst die ins Auge gefasste Periode von 1737 bis 1879 einerseits den Beginn einer Entwicklung staatlicher zivilrechtlicher Normen. Andererseits bildeten sich sexualstrafrechtliche Kodifizierungen auf Basis der alltäglichen Rechtspraxis aus. Systematische Analysen zu dem Feld der Alimenten-, Satisfaktions- und Verlöbnisklagen in diesem Zeitfenster liegen bislang noch kaum vor.

Mit Hilfe differenzierter qualitativer Methoden und Techniken der computergestützten hermeneutischen Analyse sollen die Akten des Universitätsgerichts auf die darin zu Tage tretenden Dynamiken sozialer Konstellationen, auf Handlungs- und Argumentationsstrategien der Beteiligten sowie auf die Aushandlungsprozesse bezüglich der Klagearten untersucht werden. Auf diese Weise soll mit dem Forschungsprojekt zu vertieften kultur- und rechtpolitischen Erkenntnissen zu Normensystemen, kulturellen Denkmustern und Rechtspraxen beigetragen werden. Ein besonderer Fokus soll darüber hinaus auf den Geschlechterkonstruktionen, die in diesen Gerichtsverhandlungen zum Ausdruck kamen, gerichtet werden.

Leitung:
Prof. Dr. Carola Lipp

Bearbeiterin:
Katharina F. Lüttich, M.A.

Kontakt:
Katharina F. Lüttich katharina.luettich@phil.uni-goettingen.de