Kunstwerk des Monats im Mai 2016


01. Mai 2016
"Vom Heiligen zum Schweinehirten? Untersuchung von Zuschreibung und Ikonographie des italienischen Gemäldes GG 191 der Göttinger Universitätskunstsammlung"
Vorgestellt von: Joachim Tennstedt B.A.

kdm-mai16neuMit von Tränen ge­röteten Augen ver­weilt ein junger Mann in inniger Pose und blickt flehend in den nacht­schwarzen Himmel hinauf, das gelöste Gewand unter­streicht die Emotionalität dieses Un­bekannten mit Hirten­stab.

Das Ge­mälde mit der Inventar-­Nummer GG 191 ist eines der rund 30 italienischen Ge­mälde der Kunst­sammlung der Georg-­August-­Universität Göttingen. Seit dem Winter­semester 2014/2015 be­schäftigt sich eine Gruppe von Studierenden im Rahmen des Projekts FoLL (Forschungs­orientiertes Lehren und Lernen) mit der Er­schließung dieser Kunst­werke, da An­gaben zu Provenienz, aus­führenden Künstlern und mitunter sogar dem Bild­inhalt in den meisten Fällen besten­falls fragmentarisch über­liefert oder veraltet sind - viele der Gemälde konnten bislang nur an­hand von ober­flächlichen Stil­analysen regional und zeitlich grob ein­geordnet werden. Zu Beginn dieses Projekts liegen zu GG 191 hin­gegen wenige weitere Informationen vor: Das Gemälde wird als Auf­blickender Heiliger be­zeichnet und als Schöpfung des neapolitanischen Barock­malers Andrea Vaccaro (1604 - 1670) aus­gewiesen.

Dieser Zu­schreibung wird spätestens seit der Über­weisung des Werkes an die universitäre Kunst­sammlung im Jahre 1923 Jahren Gültigkeit zu­gesprochen, doch gerät sie aufgrund der neu gewonnenen Forschungs­ergebnisse der ver­gangenen Monate ins Wanken: Bereits 2007 tauchte eine Abbildung eines bei Sotheby's ver­steigerten Ge­mäldes des Römers Giacinto Brandi (1621 - 1691) auf, das GG 191 in Form und Inhalt zum Ver­wechseln ähnlich sieht.

Weiter­hin finden sich weitere stilistisch und inhaltlich eindeutig ver­wandte Kunst­werke, welche der schöpferischen Hand des mit Brandi kollaborierenden Malers Giovan Battista Beinaschi (ca. 1634 - 1688) ent­stammen.
Doch auch die Deutung des Bild­inhalts gestaltet sich schwierig: Falls es sich bei dem dar­gestellten jungen Mann, wie bisher an­genommen, um einen Heiligen handelt, sollte sich dieser be­stimmen lassen - mangels aussage­kräftiger Attribute ist das jedoch kein einfaches Unter­fangen. Alternative Theorien, die den jungen Mann vom Heiligen zum Schweine­hirten herab­zusetzen versuchten, sowie Spekulationen über die Ein­deutigkeit des Geschlechts der dargestellten Figur ver­deutlichen die Not­wendigkeit einer ein­dringlichen Unter­suchung des Gemäldes.
Mehrere Monate intensiver Forschungs­arbeit, Recherche im In- und Ausland sowie der Aus­tausch mit internationalen Kunst­historikern liefern erstmalig seit über 90 Jahren neueste Erkenntnisse, die das bisherige Ver­ständnis des Gemäldes GG 191 kritisch hinter­fragen und neue Hypothesen zu Künstler­zuschreibung und Deutung des Bild­inhalts präsentieren.