Kunstwerk des Monats Dezember 2018

02. Dezember 2018
„Die edelste und nützlichste Wissenschaft“ Johann Georg Roederer präsentiert sich als Vertreter des neuen akademischen Fachs Geburtshilfe (1751)
Vorgestellt von: Professor Dr. Dr.h.c. Jürgen Schlumbohm

KdM Dezember 2018 mittelAls der 25-jährige Johann Georg Roederer im Sommer 1751 den Ruf auf eine Professur in Göttingen erhalten hatte, ließ er sich in seiner Heimatstadt Straßburg von dem angesehenen Maler Joseph Wolfgang Hauwiller in Öl auf Leinwand porträtieren.
1726 als Sohn eines wohlhabenden Juweliers und Ratsherrn geboren, hatte Roederer zunächst in Straßburg studiert. Wie andere ehrgeizige Akademiker vollendete er seine Studien auf einer „gelehrten Reise“. Sie führte ihn 1747-49 in die Zentren der europäischen Medizin, nach Paris, London, das niederländische Leiden, aber auch an die junge Göttinger Universität, wo er die Aufmerksamkeit des Doyens der medizinischen Fakultät Albrecht von Haller erregte. Auf dieser Fortbildungsreise interessierte sich Roederer besonders für die Anatomie und Geburtshilfe. Denn in Frankreich, England und den Niederlanden hatten Mediziner begonnen, sich der praktischen Geburtshilfe zuzuwenden, die bis dahin in der Hand von Frauen, Hebammen, gelegen hatte. Zurück in Straßburg, promovierte Roederer 1750 an der medizinischen Fakultät und erwarb praktische Erfahrung an der geburtshilflichen Abteilung des Bürgerspitals sowie bei Hebammen in der Stadt.
An der Göttinger Universität hielt Roederer im Dezember 1751 seine Antrittsvorlesung in lateinischer Sprache „Über den vorzüglichen Wert der Geburtshilfe, die durchaus für einen Gelehrten schicklich ist, ja sogar einen solchen erfordert“. Hier entwickelte er das Programm einer Geburtshilfe, die von studierten Medizinern, also Männern, zu leisten sei. Kühn nahm er vor den versammelten Vertretern der anderen Fächer für diese junge „Tochter“ der ärztlichen Wissenschaft den Superlativ der „edelsten und nützlichsten“ unter den Wissenschaften in Anspruch.
Das Porträt, das er von Hauwiller hatte malen lassen, spiegelt Roederers professionelles Selbstbewusstsein. Mit der Linken stützt er sich auf einen gelehrten Folianten, der den Rückentitel „Haller Icones“ trägt. Es handelt sich um das anatomische Tafelwerk „Icones anatomicae“ (1743-56) Albrecht von Hallers. Ihm verdankte Roederer den Ruf nach Göttingen, und ihm sollte er – neben seinen eigenen Lehraufgaben in Medizin und Geburtshilfe – bei den Sektionen eine „hülfliche Hand“ leisten. So huldigte der junge außerordentliche Professor seinem akademischen Patron. Als Anatom wies er mit den Linken einen Knochen vor. Die rechte Hand aber zeigte stolz und ohne Scham eine typische Geste des Geburtshelfers.
In den zwölf Jahren, die ihm bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1763 blieben, erwarb Roederer europaweiten Ruhm, und er gilt als Begründer der ärztlich-wissenschaftlichen Geburtshilfe in Deutschland. Eine akademische Schülerschar konnte er vor allem dadurch bilden, dass er das neue Fach nicht nur theoretisch in Vorlesungen, sondern auch praktisch in einer „Entbindungsanstalt“ lehrte. Es war weltweit die erste Einrichtung dieser Art, die Teil einer Universität war. Die Realität dieser viel gerühmten Institution sah freilich bescheiden aus: In dem altertümlichen Heilig-Kreuz-Hospital, das Bedürftige und Sieche beherbergte, wurde ihm und seinen Studenten zunächst ein Zimmer zum Entbinden armer lediger Frauen renoviert. Mühsam musste er einen zweiten, dritten Raum und Mittel für die laufenden Kosten erkämpfen. Erst zwei Jahrzehnte nach seinem Tod wurde an derselben Stelle das „Accouchierhaus“ errichtet, das in Göttingen noch heute unter diesem Namen bekannt ist.