Projektvorstellung


Das Projekt gemEINSAM gegen RECHTS bietet verschiedene Formate außerschulischer politischer Bildung für Schüler*innen beruflicher Schulen im Landkreis Hersfeld-Rotenburg und dem Wartburgkreis an. Der Schwerpunkt liegt auf der Stärkung ihrer Resilienz, der Sensibilisierung für extrem rechte Inhalte und Phänomene sowie einer gemeinsamen Reflektion ihrer Erfahrungen mit der Corona-Pandemie.

Die Problemlage

Politische Bildung an beruflichen Schulen
Grundsätzlich ist politische Bildung zentraler Auftrag des Schulunterrichts, wird aber in den unterschiedlichen Schulformen sehr uneinheitlich umgesetzt. Gerade im Mikrokosmos Berufsschule – und hier besonders im ländlichen Raum – decken die demokratiefördernden Angebote selten den Bedarf. Schulversammlungen oder Exkursionen zu gesellschaftspolitischen Organisationen finden viel seltener statt, als zum Beispiel an Gymnasien. Auch werden externe Vertreter*innen aus Politik, NGOs oder Demokratieprojekten kaum eingeladen (Achour, Wagner: Wer hat dem wird gegeben, 2019, 15466.pdf (fes.de)). Demgegenüber beeinflussen Alltagsrassismus und die Abkehr von demokratischen Grundsätzen oft die Stimmung im Lehralltag und strapazieren Lernende wie Lehrende, bis an ihre Belastungsgrenzen. Schüler*innen beruflicher Schulen soll, neben beruflichen Lerninhalten, auch Allgemeinbildung vermittelt werden, die ihre berufsübergreifenden Handlungskompetenzen fördert und sie zu selbstbewussten aber auch selbstkritischen, selbstständigen und eigenverantwortlich handelnden Bürger*innen macht.
Berufsschüler*innen in ländlichen Räumen sollten jedoch deutlich stärker in den bildungspolitischen Fokus gelangen, da es sich bei ihnen voraussichtlich nicht um Bildungsabwander*innen handelt sagt wer? benennen, sondern um Menschen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in ihrer Region wohnen und arbeiten werden sowie ihre Rolle in der lokalen Zivilgesellschaft übernehmen sollen. Der Unterricht orientiert sich jedoch an den Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für die Abschlussprüfungen, die kaum einen politischen Schwerpunkt im Unterricht setzen (Downloadbereich Rahmenlehrpläne (kmk.org)). Dies führt dazu, dass sich Berufsschüler*innen – im Vergleich zu Schüler*innen an allgemeinbildenden Schulen – als weniger politisch kompetent wahrnehmen, wie die Studie der Friedrich Ebert Stiftung zur politischen Bildung an Schulen gezeigt hat (Achour, Wagner: Wer hat dem wird gegeben, 2019, 15466.pdf (fes.de)). In der Studie gaben 72 Prozent der Berufsfachschüler*innen an, die Demokratie für eine „nicht so gute Staatsform“ zu halten oder keine Meinung zu dem Thema zu haben. An der Berufsschule waren es 33 Prozent der Schüler*innen. Dagegen hielten 91 Prozent der Gymnasiast*innen die Demokratie für eine gute Staatsform.

Einsamkeitserfahrungen
Diese Situation hat sich mit Beginn der Pandemie 2020 verschärft. Das soziale Miteinander und die individuelle Lage v.a. der Schüler*innen hat sich (zwischenzeitlich) dramatisch verändert. Soziale Kontakte wurden stark eingeschränkt und die Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen, beschränkte sich maßgeblich auf den digitalen Raum. Kernfamilie, ökonomische wie gesundheitliche Sicherheit sind zu maßgeblichen Orientierungspunkten geworden.
Je nach Schule wurde sich den pandemischen Bedingungen mehr oder weniger gut angepasst. Fand an der einen Schule der Unterricht nahtlos digital statt, so fiel er bei anderen teilweise monatelang aus. Dort, wo der Regelbetrieb nicht aufrechterhalten werden konnte, wurde sich besonders auf die prüfungsrelevanten Fächer konzentriert. Das bedeutet, dass u.a. Fächer wie Politik, Politik & Wirtschaft, etc. vernachlässigt wurden. Zusätzlich haben die pandemischen Wellen zu erheblich mehr Ausfällen von Schüler*innen und Lehrpersonal aus gesundheitlichen Gründen geführt, wodurch das Erreichen von Lernzielen zusätzlich erschwert wurde.
Diese Dynamiken wurden auch in unserem lokalen ländlichen Kontext deutlich und zeigten sich in der Arbeit mit der Zielgruppe.

Einsamkeitserfahrungen als Katalysator für Demokratiedistanz und autoritäre Einstellungen?
Diese Eindrücke aus der Praxis werden auch durch neuere Forschungen bestätigt. Sie zeigen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche während der Pandemie unter Einsamkeit litten. Zugleich haben auch raumstrukturelle Faktoren (Region, Nachbarschaft, Netzwerke) Einfluss auf Isolation und Einsamkeit (Bücker et al. 2020, 2021). Hinweise aus der aktuellen Forschung (z.B. Schobin 2018, Langenkamp 2020, Progressives Zentrum mit Neu, Küpper & Lehmann 2023) lassen vermuten, dass es einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit, Vertrauen und Demokratieskepsis bei Jugendlichen gibt. Es stellt sich also die Frage: Wie wirken sich Einsamkeitserfahrungen bei Schüler*innen beruflicher Schulen auf das Gefühl der gesellschaftlichen Unverbundenheit und rechtsextreme Haltungen aus?

Das Projekt

Das Projekt gemEINSAM gegen RECHTS setzt genau hier an und will Jugendliche und junge Erwachsene an beruflichen Schulen in den grenznahen ländlichen Räumen Osthessens bzw. Westthüringens ansprechen – eine maximal diverse Zielgruppe, die aus Absolvent*innen verschiedenster Schulformen, einem hohen Anteil an Migrant*innen und Geflüchteten sowie Jugendlichen politik- und bildungsferner Schichten besteht. Dieser Gruppe von jungen Menschen fehlt es, gerade im (peripheren) ländlichen Raum, zudem häufig an Mitwirkungsmöglichkeiten und Begegnungsorten, an kultureller Vielfalt und Freizeitangeboten – besonders für Mädchen*. Mit besonderem Augenmerk auf Personen, die – auch nach der Schulzeit – in ihrer Region, im ländlichen Raum, wohnen bleiben und als Teil der Zivilgesellschaft agieren, soll eine nachhaltige Wirkung in der Region entstehen, zumal das erarbeitete Workshop-Konzept in das feste Angebot der Stiftung Adam von Trott, Imshausen e.V. übergehen und die Gedenkstätte als Sozialer Ort etabliert werden soll.
Neben dem pädagogischen Schwerpunkt verfolgt das Projektteam auch ein Forschungsinteresse. Es bezieht sich maßgeblich auf den angesprochenen Zusammenhang zwischen Einsamkeitserfahrungen und der Abwendung von demokratischen Werten. Durch die wissenschaftliche Begleitarbeit soll zum Austausch zwischen Politischer Bildung und Wissenschaft beigetragen werden.

Die Methode

Demokratie kann nicht erlernt werden, ohne sie auch zu erleben! Das Projektteam setzt auf die Vermittlung von Demokratievertrauen und eine Stärkung der demokratischen Debattenkultur als direkte Antwort auf rechte Rhetorik. Denn politisches Handeln ist vor allem kommunikatives Handeln. Dies soll über partizipative, zielgruppennahe und sozialräumlich verortete politische und historische Bildungsarbeit erreicht werden. Individuelle Lern- und Bewusstwerdungsprozesse sollen bei allen Teilnehmenden angestoßen werden, um ihre Persönlichkeit, Resilienz und Selbstwirksamkeit zu stärken. In diesem Rahmen sollen auch speziell die Erfahrungen während der pandemischen Corona-Phase(n) bearbeitet werden.
Dazu sollen gemeinsam mit den Schüler*innen Lernmodule konstruiert werden, in denen demokratische Werte spür- und erlebbar sind. Die Teilnehmenden bekommen das Rüstzeug für Diskussionen und Konfliktaustragung an die Hand. Sie werden befähigt, Demokratiefeindlichkeit zu erkennen, dagegen couragiert zu handeln und für demokratische Werte sowie ihre Mitmenschen einzutreten - ganz im Sinne Adam von Trotts, individuell sowie kollektiv Haltung zu zeigen. Die Schüler*innen bekommen im Rahmen des Projekts die Gelegenheit, selbst ein Projekt (Filmabend, Diskussion, Ausstellung, Podcast, …) zu erarbeiten und umzusetzen.

Durch quanti- und qualitative Erhebungen im Verlauf der pädagogischen Arbeit soll eine wissenschaftliche Analyse der Einstellungen der Teilnehmenden und die Auswirkungen der Pandemie auf die Zielgruppe ermöglicht werden. Die Ergebnisse sollen publiziert und öffentlich diskutiert werden.

Flyer zu den Seminarprogrammen