Transformativ-emanzipatorische Widerstandspraktiken in Ostdeutschland (Habilitationsprojekt Jördis Grabow)

Das Habilitationsprojekt von Jördis Grabow beschäftigt sich mit transformativ-emanzipatorischen Widerstandspraktiken in Ostdeutschland. Zentraler Ausgangspunkt ist der Begriff der Transformation, welcher zum einen als eine innere, subjektbezogene, zum anderen als eine äußere, gesellschaftliche Begrifflichkeit verstanden wird. Davon ausgehend, dass der Begriff der Transformation in den vergangenen Jahren zu einer wahrhaften Catchphrase (Thomas 2019) geworden ist, kann jedoch trotz der Vielfalt eine erste Vermutung aufgestellt werden: Die gegenwärtige deutschsprachige sozialwissenschaftliche Transformationsforschung thematisiert zwar deutlich die Frage der Transformation(en) auf Makro- wie Mikroebene, u. a. durch den Bezug zur Idee der doppelten Transformationsbewegung (Polanyi 1944), die eine grundlegende Veränderung von Sozialstruktur und Lebensweise zusammendenkt (Busch 2015; Reißig 2015; Brand/Welzer 2019), jedoch wird der Frage der kritischen Subjektbildung/Subjektformation eher weniger Aufmerksamkeit geschenkt. In den sogenannten ‚neuen‘ Bundesländern – die als Transformationsgesellschaften verhandelt werden – verbinden sich u. a. Effekte sozial-struktureller Transformationsprozesse (z. B. Abwanderung; Erstarken neo-rechter Politiken) mit einem (neuen) emanzipatorisch-partizipativen Gestaltungswillen (z. B. politisch-motivierte Rückzugs-/Wohnbewegung; soziokulturelle Kollektive) und Fragen von veränderten Subjektivierungs(an)geboten (vgl. Geimer et al. 2019). In der Betrachtung bisheriger Analysen zu Figurieren ost- bzw. westdeutscher Subjekte wird insbesondere ein Differenzverhältnis zwischen diesen erkennbar. Das ostdeutsche Subjekt wird zum Sonderfall: so wird u. a. der „Jammer-Ossi“ in der Expert*innenbetrachtung zum Subjekt der „Avantgarde“ (Engler 2002) oder das Ostdeutsch-Sein in Analogie einer Migrationserfahrung verhandelt (Foroutan et al. 2019).

Insbesondere verfolgt Jördis Grabow im Projekt die These, dass widerständige Praktiken ein kritisch-transformatives Potenzial bieten. Widerständige Praktiken verortet sie in Anlehnung an Foucault im Zusammenspiel von Macht und Wissen und versteht diese als eine Art von Knotenpunkten, die raum-zeitlich wirksam werden. Ausgehend von dieser produktiven Verbindung von Macht, Wissen und Widerstand vereinen widerständige Praktiken die Elemente der Kritik als ein Hinterfragen machtvollgemachter Wissensbestände und der Intervention als praktisch-gewordene Gegen-Strategien, die der Transformation dienen und auf eine grundlegende Veränderung von sozialen Ordnungsprozessen und ihnen innewohnenden Subjektkonstruktionen und Lebensweisen abzielen. Zentral fragt Jördis Grabow daher, wie Widerständigkeiten in der Gemengelage von anhaltender sozialer Ungleichheit und ver-andernden Subjektivationen Transformationen von (ostdeutschen) Selbstverhältnissen ermöglichen und welche intersektionalen Deutungsweisen diese widerständigen Praktiken erlauben. Dabei nimmt sie progressive, emanzipatorische Einstiegsprojekte (Klein 2004) und ihre Akteur*innen sowie ihre Subjektivierungsangebote in den Blick, da diese veränderte Subjektivierungsweisen über ihre widerständigen Praktiken anbieten, die auch im Alltagsleben relevant werden.