Die Stimme ist eine zentrale Grundkategorie historischer Anthropologie, Medialität und Textualität. Sie ist nicht nur das erste Medium menschlicher Verlautbarung und Selbstvergegenwärtigung, sie ist ebenso eine kulturell unabdingbare, lebendige Metapher. Denn in ihr scheint ein einmalige Brückenschlag zu gelingen: Obwohl die Stimme ein eminent kulturelles Phänomen darstellt, werden ihr gerade unter dem Visualitätsprimat Unmittelbarkeit, Authentizität und Ursprünglichkeit zugeschrieben. Diese Zuschreibung beruht freilich immer auch auf einer Unterscheidung: Wer seine Stimme erklingen lässt, kann sie zugleich auch als etwas anderes hören, er steht mit der Stimme als Medium seiner selbst in Einklang und doch auch in Differenz. Damit wäre die Stimme ein bevorzugter Ort menschlicher Autopoiesis. Die Beiträge des Helftes suchen nach Möglichkeiten ihrer genaueren historischen Funktionsbestimmung für Musik und Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit.