Eheberedungen, Testamente und Kaufverträge: Sozioökonomische und soziokulturelle Handlungsspielräume von Frauen im frühneuzeitlichen Göttingen (1530-1696)

Gefördert durch das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (März 2016 bis Februar 2019)

Leitung: Prof. Dr. Carola Lipp

Bearbeiterin: Ruth Baumgarten, M.A.



Das Forschungsprojekt untersucht aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive Handlungsspielräume, sozioökonomische Partizipationschancen und Kompetenzen (agency) von Frauen in der Stadt Göttingen im 16. und 17. Jahrhundert. Die Kernfrage dabei lautet, in welchem Ausmaß Frauen über ihr Vermögen und ihren Besitz bestimmen bzw. mitbestimmen konnten und welche Handlungsoptionen sie hatten.

Im Fokus des Projekts stehen Vertragsdokumente von Frauen, deren Leben fast ausschließlich durch serielle Quellen, wie Eheberedungen, Eheverträge, Testamente, Rentenkäufe, Kauf- und Pfandverträge belegt ist. Die zentrale Quelle bilden die Göttinger Wilkorebücher, bei denen es sich um Protokolle abgeschlossener Verträge der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt. Sie beinhalten vielfältige Informationen und bieten Einblicke sowohl in die demographischen und ökonomischen Handlungsweisen als auch in die familiären und sozialen Beziehungen der Göttinger Frauen.

Gestützt auf eine Datenbank aller für dieses Forschungsvorhaben relevanten Verträge der Göttinger Wilkorebücher sollen anhand der umfassenden Vermögensregelungen in Testamenten und Eheverträgen, eine eingehende Analyse der Rechte und Positionen von Frauen innerhalb der ehelichen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft ermöglichen. Besonders interessant im städtischen Kontext sind die Handlungsspielräume der Witwen von Handwerkern und Händlern, die theoretisch die Wahl hatten zwischen der Weiterführung der Betriebe und einer erneuten Verheiratung.

Für ökonomische, soziale und konfessionelle Analysen werden weitere - hauptsächlich seriellen - Quellen wie beispielsweise Kirchenbüchern und Schoßregister verwendet und punktuell in die Datenbank eingebunden. Dadurch wird es möglich sein das Material sozioökonomisch zu kontextualisieren und so einen weiteren Horizont zu gewinnen. Die Untersuchung wird darüber hinaus in gut dokumentierten Fällen eine nähere Rekonstruktion individueller Lebensläufe und familiärer Strategien bieten.

Mikrostudien, die kulturgeschichtliche und ökonomische Fragestellungen verbinden, stellen bisher ein wenig bearbeitetes Feld dar. Die Forschungen beschränken sich häufig auf die Betrachtung einzelner Aspekte, oftmals auf der Grundlage normativer Quellen und zeitgenössischer Diskurse. So sind zwar die damaligen obrigkeitlichen Regelungen bekannt, aber Fragen hinsichtlich gelebter Handlungspraxis bleiben größtenteils noch unbeantwortet. Dieses Forschungsdesiderat soll geschlossen werden, indem die Untersuchung auf konkrete Verhaltensmuster ausgerichtete und auf soziale Einbettungstiefe mit der Konzentration auf ein lokal begrenztes Untersuchungsgebiet angelegt wird.