Mythos ‚Wikinger‘ – Konzeption und Rückwirkung auf die museale Ausstellungspraxis

Der „Wikinger“ ist ein moderner Mythos. Im Altnordischen zumeist eine Bezeichnung für außerhalb des Rechts agierende Seeräuber ohne ethnische Konnotation, wurde der „Wikinger“ als Seefahrer, Entdecker und tapferer Kämpfer in der Romantik eine emblematische Figur der Nationalgeschichte, ehe sich die „Wikingerzeit“ im späteren 19. Jahrhundert als eine fachwissenschaftliche Epochenbezeichnung für die späte Eisenzeit in Nordeuropa etablierte.

Ausgehend von Skandinavien erfasste die identitäre Vereinnahmung sowohl in der Fachwelt als auch der weiteren Öffentlichkeit praktisch alle modernen Nationen, die einen Bezug zum „Nordischen“ geltend machten. Diese Entwicklung betraf seit der Wilhelminischen Ära auch Deutschland mit den nachfolgenden hochproblematischen Vereinnahmungen alles „Germanischen“ im Dienste völkischer und faschistischer Ideologien. Ihre Diskreditierung und die disziplinäre Aufgliederung der „Germanistik“ im weitesten Sinne in Ur- und Frühgeschichte, Skandinavistik und Germanistik nach dem Zweiten Weltkrieg schadete indes der Popularität des „Wikingers“ nicht. Die tiefe Verwurzelung des Mythos‘ kommt schließlich seit dem späten 20. Jahrhundert in der gesamten westlichen Welt sowohl im Film, in Computerspielen und in der Werbung, in Produktnamen und ganz zentral auch im Erfolg wiederkehrender internationaler Museumsausstellungen sowie von Dauerausstellungen zum Tragen.

Diese extreme Wandelbarkeit und das Identifikationsbedürfnis der Rezipienten zeigen sich gegenwärtig populärwissenschaftlich in der Abgrenzung der wikingerzeitlichen Gesellschaften mit der ihnen zugeschriebenen hohen Mobilität und Neugier, religiösen Diversität, gesellschaftlichen Dynamik und Geschlechterrollen von einem nach wie vor als „finster“ charakterisierten Mittelalter. Der Zusammenhang solch offensichtlicher Spiegelungsphänomene insbesondere mit archäologischen Funden und anderen wissenschaftlichen Neuentdeckungen ist dabei noch weitestgehend unerforscht. Allein deshalb und aufgrund dieser ungebrochenen, in jüngster Zeit eher noch wachsenden Popularität und Plastizität im Rahmen der Alltagskultur eignet sich die Figur des „Wikingers“ als ein an der Schwelle zur Moderne geprägter kultureller Archetyp hervorragend, um die Wissenserzeugung an der Schnittstelle von Fachwissenschaft und gesellschaftlichem Kontext zu analysieren – umso mehr, als sich Museen auch über den nationalen Rahmen hinaus mit sehr klaren Erwartungshaltungen ihres Zielpublikums konfrontiert sehen. Diese Erwartungen greifen, ihrerseits bestärkt und modifiziert durch das Medium der Ausstellung, auch auf die Wissenschaft über, ist doch das Schlagwort „Wikinger“ international eine der Möglichkeiten für die Skandinavistik und die Archäologie, gesellschaftliche Aufmerksamkeit für ihren Forschungsgegenstand und für Fachpublikationen zu wecken.

Das Projekt nimmt eine Auswahl internationaler Wikinger-Ausstellungen seit den 1970er-Jahren in den Blick (u.a. „Welt der Wikinger“, Stockholm/Berlin 1972/73; „Wikinger, Waräger, Normannen“, Paris/Berlin/Kopenhagen 1992/93; „Die letzten Wikinger“, Frankfurt am Main/Bayeux/Roskilde/Kopenhagen 2009; „Die Wikinger“, Kopenhagen/London/Berlin 2014/15) sowie Museen, die neben im Laufe der Zeit aktualisierten Dauerausstellungen mehrere Sonderausstellungen anboten (u.a. Wikinger-Museum Haithabu seit 1985). Flankiert wird das Projekt durch die Praxisphase im Gustavianum / Uppsala Universitetsmuseum.


Betreuung: JProf. Dr. Roland Scheel, Prof. Dr. Karin Hoff, Skandinavisches Seminar, Georg-August-Universität Göttingen

Museum: Gustavianum, Uppsala Universitetsmuseum/ Uppsala University Museum