Gela-Survey

3000 Jahre Siedlungsgeschichte auf Sizilien im Spiegel des Gela-Survey


Gela, die Stadt an der Südküste Siziliens, am Afrikanischen Meer, hat in den aktuellen Reiseführern einen verheerend schlechten Ruf. Sie lebt heute von der Erdölindustrie mit allen auf Sizilien zu diesem Erwerbszweig gehörenden Erscheinungen diesseits und jenseits der Legalität. In der Antike jedoch war Gela eine außerordentlich bedeutende Stadt. Dem griechischen Geschichtsschreiber Thukydides zufolge wurde sie 688 v. Chr. von Griechen aus Kreta und Rhodos gegründet (Thukydides 6,4,3). 581 v. Chr. gründete sie selbst ihre Nachbarstadt Akragas (Agrigent), die die Mutterstadt schnell an Reichtum und Bedeutung überflügeln sollte. Um 500 v. Chr. beherrschte Gela große Teile Ostsiziliens. Dort gab es außerordentlich qualitätvolle Terrakottaskulpturen und zu Beginn des 5. Jhs. v. Chr. war es der größte Importeur der athenischen schwarz- und rotfigurigen Luxuskeramik. Im 4. Jh. v. Chr. gab es mit Wandmalerei und Kieselmosaiken ausgestattete Wohnhäuser und ein öffentliches Badehaus, eines der frühesten, die aus der ganzen griechischen Welt erhalten sind. Zugleich wurde die Stadt von einer gewaltigen Befestigungsmauer umschlossen, deren mehrere Meter hoch aufragenden Schichten aus luftgetrockneten Lehmziegeln noch heute erhalten und – zumindest außerhalb Ägyptens – einzigartig sind.

Die eindrucksvollen Befestigungsmauern von Gela konnten jedoch nicht verhindern, daß die Stadt 282 v. Chr. von den vom italienischen Festland nach Sizilien gekommenen, vagabundierenden Mamertinern zerstört und die Bevölkerung umgesiedelt wurde. Die Stadt blieb von da an unbesiedelt. Erst nach 1233 n. Chr. wurde unmittelbar auf der griechischen eine neue Stadt von Friedrich II., König von Sizilien und Kaiser des mittelalterlichen Römischen Reiches (1194 – 1250 n. Chr.), gegründet. Sie trug den Namen Terranova di Sicilia.
Im Hinterland der Küstenebene von Gela siedelte seit der Bronzezeit (2. Jahrtausend v. Chr.) eine einheimische, indigene Bevölkerung. Mit ihr traten die griechischen Kolonisten unweigerlich in Kontakt. Daher bietet sich hier ein interessantes Forschungsfeld, das es erlaubt, Fragen nach dem Verhältnis zwischen Kolonisten und Kolonisierten zu stellen. Es fragt sich, ob Modelle des neuzeitlichen Kolonialismus auf die griechische Kolonisation des 8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr. anwendbar sind, oder ob diese nicht vielmehr nach völlig anderen Gesichtspunkten ablief. Unlängst wurde selbst der in allen Geschichtsbüchern verwendete Begriff der „Griechischen Kolonisation“ in Zweifel gezogen. Diesen archäologisch-historischen Problemen widmet sich ein Feldforschungsprojekt, das seit 2002 betrieben worden ist.


Eindrucksvolle Reste

Von der Geschichte der Stadt zeugen heute neben den Mauern auf Capo Soprano und dem nahen griechischen Badehaus, der Bebauung der Akropolis mit den Resten zweier Tempel, darunter einer wiederaufgerichteten Säule, vor allem das außerordentlich eindrucksvolle Museum, das neben der Geschichte der Stadt auch die ihres Territoriums dokumentiert vom Neolithikum bis zum Mittelalter. Aus der Zeit der hochmittelalterlichen Neugründung Terranova können in der Stadt Reste der Stadtmauer, einige Türme und Tore besucht werden, dazu mittelalterliche und barocke Kirchen, herrschaftliche Palazzi und eine vor allem in den Abendstunden lebendige Piazza mit der davon ausgehenden Hauptgeschäftsstraße. Zum abendlichen Corso läd der Lungomare ein, wo man zahllose freundliche Einwohner treffen kann, von denen viele einen großen Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht haben.

Über 100 Jahre Archäologie

Zwischen 1898 und 1905 hatte Paolo Orsi sich der Stadt und ihrer Umgebung archäologisch angenommen. Orsi, aus Rovereto im Etschtal stammend, arbeitete zunächst auf Sizilien, später in Calabrien, wo er an beinahe allen wichtigen, heute noch besuchten Ausgrabungsplätzen der erste Archäologe war, dem es gelang, die antiken Orte zu identifizieren und entscheidende Ausgrabungen durchzuführen. Seine Funde frühgriechischer Keramik und beschrifteter Münzen der Stadt Gela haben dazu geführt, auf dem Hügel von Terranova, unmittelbar an der Küste die Lage der antiken Stadt zu lokalisieren. Seit 1928 trägt sie wieder ihren antiken Namen, Gela. Eine zweite weithin beachtete Phase archäologischer Forschungen entfaltete sich zwischen 1948 und 1960. Sie ist mit den Namen Dinu Adamesteanu und Piero Orlandini verbunden, den ‚Dioskuren’ von Gela, die in der Stadt und ihrer Umgebung Ausgrabungen und archäologische Oberflächenbegehungen vornahmen. Auf ihren Ergebnissen beruht die archäologische Kenntnis von Gela bis zu heutigen Tag. Charakteristisch für ihre moderne, weltweit beachtete Herangehensweise war, daß es Ihnen nicht nur um die Griechen und ihre erhabene Kultur, etwa die Architektur ihrer Tempel, ging, sondern ebenso um deren wirtschaftliche Grundlagen, die Landwirtschaft und Bauernhöfe. Dabei setzten sie erstmals wegweisende Methoden wie die Luftbildauswertung ein. Auch interessierten sie sich für die Ureinwohner Siziliens, die Sikuler und Sikaner, die in den Höhensitzen Zentralsiziliens lebten (Abb. 1).

Gela Abb 1

Abb. 1

Ein wesentlicher Erfolg dieser stimulierenden Epoche archäologischer Forschungen war die Eröffnung des Archäologischen Museums von Gela im Jahr 1958. Vor allem seit 1992 eine eigene Bodendenkmalpflege für die Provinz Caltanissetta eingerichtet wurde, haben sich die Forschungen in diesem Gebiet unter der Leitung von Rosalba Panvini neuerdings wesentlich intensiviert.

Der Survey: Großräumige Archäologie an der Oberfläche

Der Stand archäologischer Forschungen in und um Gela, den Adamesteanu und Oralndini um 1960 erreicht hatten, lud ein, eine seit den 1970er Jahren neu entwickelte archäologische Methode im Hinterland von Gela auszuprobieren, nämlich den archäologischen Survey. Anders als die klassischen Ausgrabungen fragt der Survey nicht nach den im Boden liegenden historischen Schichten (Stratigraphie), sondern man geht davon aus, daß durch Regenwasser und landwirtschaftliche Arbeiten alle historischen Schichten unter der Oberfläche durch kleinere Mengen Keramik auf der Oberfläche vertreten sind. Diese Hypothese hat sich in Griechenland und der Türkei, wo zahllose Survey-Untersuchungen durchgeführt worden sind, überall bestätigt. Die Beschränkung auf die archäologische Analyse von Oberflächenfunden erlaubt die Untersuchung großräumiger Gebiete, während eine Ausgrabung sich immer auf einen eng begrenzten Bereich konzentrieren muß. Daher sprach vieles für einen Survey im Gebiet von Gela. In Süditalien und Sizilien ist die Methode des Oberflächen-Survey bisher nur in wenigen Gebieten angewendet worden.

Griechische Kolonisten und die Einheimischen

Ein Survey versprach noch aus anderen Gründen besonders reichen Ertrag. Im Hinterland von Gela lebten bei Ankunft der Griechen einheimische Sikaner (Abb. 1). Butera auf einem Felsen 400 Höhenmeter über der Küstenebene und mit einem unglaublichen Panorama auf diese war seit der späten Bronzezeit besiedelt (Abb. 2).

Gela Abb 2

Abb. 2

Es weist eine nahezu ununterbrochene Siedlungskette über die klassische und hellenistisch griechische Zeit bis zur römischen, byzantinischen und arabischen Epoche auf. Der arabische Geograph Idrisi (12. Jahrhundert n. Chr.) nennt Butera einen lieblichen und wasserreichen Ort. Auch seit dem Mittelalter blieb Butera immer das Zentrum des küstennahen Binnenlandes in diesem Bereich.
Auf diesem strategischen Felsen saßen also die vorgriechischen Einwohner und konnten mit ansehen, wie die Griechen 688 v. Chr. auf der Düne von Gela landeten und damit begannen, eine Stadt zu errichten. Mehr noch, unsere Untersuchungen haben gezeigt, daß die Griechen schnell ins Binnenland gelangten und im Umfeld von Butera und anderer vorgriechischer Ansiedlungen Bauernhöfe und Heiligtümer anlegten. Wie mag das vor sich gegangen sein? Wie reagierten die Einheimischen auf die Ankunft der Griechen? Der Kontakt zwischen Griechen und Einheimischen vollzog sich in der Tiefe des Raumes zwischen der Südküste und den etwa 50 km entfernten indigenen Höhensiedlungen Zentralsiziliens (Abb. 1). Diese Gebiete lassen sich archäologisch nur sehr langfristig durch Grabungen erforschen; der erste und entscheidende Schritt in diese Richtung ist hingegen der Oberflächen-Survey.

Reiche Funde erzählen die Geschichte

Als im September 2002 mit den Arbeiten begonnen wurde, war nicht klar, ob überhaupt etwas zu finden wäre. Doch bereits am Abend des ersten Tages waren 2000 Keramikscherben gesammelt. Schnell wurde klar, daß zahlreiche Fundstellen mit einer extrem hohen Dichte an Scherben, bis zu 700 Stück je Ar (100 x 100 m), zu finden waren, zwischen denen große, fundleere Flächen lagen. An diese Fundsituation angepaßt wurde in fünf jeweils knapp sechswöchigen Kampagnen eine kombinierte Methode aus intensivem und extensivem Survey angewandt. Auf diese Weise wurden ca. 150 qkm begangen. Dabei wurden etwa 250 neue Fundstellen entdeckt, darunter 75 griechische Bauernhöfe (Abb. 3), 5 römische Villen (Abb. 4), 3 römische Landstädte (‚agrotowns’), 28 griechisch-römische Nekropolen, 3 bronzezeitliche Siedlungen und eine große Anzahl Felsgräber dieser Zeit (Abb. 5). Insgesamt wurden 340.000 Keramikscherben statistisch erfaßt. Aus diesen Befunden kann die Siedlungsgeschichte der Chora von Gela rekonstruiert werden.

Gela Abb 3

Abb. 3

Gela Abb 4

Abb. 4

Bereits in der Bronzezeit (2000 - 1500 v. Chr.) deuten 42 Siedlungs- und Nekropolenfunde (Abb. 5) eine hohe Siedlungsdichte im Territorium an (Abb. 6). Allerdings belegt das von Piero Orlandini in den 1950er Jahren bei Manfria ausgegrabene bronzezeitliche Dorf, das aus einer Ansammlung von Rundhütten und nahen Felsgräbern besteht, eine verglichen mit Ostsizilien geringe Kompexität dieser frühen Ansiedlungen im Gebiet um Gela. Wie in den anderen Regionen Siziliens geht die Siedlungsdichte in der späten Bronzezeit (1500 – 1000 v. Chr.) deutlich zurück. Die frühe Eisenzeit (1000 – 700 v. Chr.) eingeschlossen läßt sich in einem etwa 300 Jahre längeren Zeitraum mit 11 Fundstellen nur etwa ein Viertel dessen feststellen, was in dem kürzeren Zeitraum zuvor (2000 – 1500 v. Chr.) bekannt ist. Vor allem auf dem Stadthügel von Gela und in der Küstenebene fehlen zu dieser Zeit jegliche Ansiedlungen (Abb. 6).

Gela Abb 5

Abb. 5

Gela Abb 6

Abb. 6

Die Ankunft der Griechen

Die Griechen kamen also bei ihrer Landung zunächst einmal in unbesetztes Terrain. Allerdings deuten geologische Untersuchungen und Bohrungen im küstennahen Bereich an, daß zu dieser Zeit um die heutigen Flußmündungen Buchten, Lagunen und Sümpfe vorhanden waren (Abb. 6). Die küstennahen Ansiedelungen und auch der Stadtberg von Gela lagen ursprünglich auf ins Meer vortretenden Kaps. Das nutzbare Hinterland der Siedlungen an der Küste war also kleiner als es die heutige Situation anzudeuten scheint. Auch deshalb kamen die Griechen unweigerlich mit den Einheimischen in Kontakt.

Die Nekropolen des strategisch wichtigen Butera zeigen im 7. Jh. v. Chr., nach der Ankunft der Griechen, einen rasanten kulturellen Umbruch. Zunächst einmal treten in dem Inventar der Gräber zügig koloniale und importierte griechische Gefäße auf. Zugleich wandelt sich der Grabritus. Brand- und Amphorenbestattungen nach griechischem Ritus treten auf, dazu auch akephale Brandbestattungen, also solche, bei denen der Kopf nicht dem Feuer übergeben wird, wie es in Kreta, woher einige der Kolonisten stammten, mancherorts üblich war. Daß lokale (Abb. 7) und griechische Riten und Gefäße (Abb. 7a) einander zeitlich überlappen, zeigt, daß es in Butera zu einem Nebeneinander indigener und griechischer Bewohner gekommen sein muß. Literarische Quellen geben einen Eindruck davon, wie das möglich war. Bei der Gründung der Stadt Megara Hyblaia in Westsizilien und von Marseille nahe der Rhonemündung sind vertragliche Vereinbarungen mit den Einheimischen über die Koloniegründung überliefert (Thukydides 6,3,4)

Gela Abb 7

Abb. 7

Gela Abb 7a

Abb. 7a


Dafür, daß es zu einem gedeihlichen Nebeneinander von Kolonisten und Kolonisierten gekommen ist, sprechen drei weitere Beobachtungen. Erstens konnten an den wenigen eisenzeitlichen, vorgriechischen Siedlungsplätzen Siedlungskontinuität in die koloniale, griechische Zeit hinein festgestellt werden (Abb. 6). Daß hier schnell ausschließlich griechisches Fundgut auftritt (Abb. 7a – 8b), zeigt überdies, daß die Besiedelung schnell griechisch geprägt war. Aufgrund der wenigen Befunde läßt sich der Charakter der eisenzeitlichen Raumnutzung kaum konturieren. Es kann jedoch keinen Zweifel daran geben, daß die Bewirtschaftung des Landes von Einzelgehöften aus eine Erfindung war, die auf die Griechen zurückging. Zweitens konnten die Griechen während der folgenden vier Jahrhunderte mit den sikanischen Völkerschaften Zentralsiziliens weitgehend ungetrübten Handel treiben (Abb. 1). Erst im 5. Jahrhundert v. Chr. kam es zu einem Aufstand der Einheimischen, der sich gegen die Präsenz der Griechen richtete und sich mit dem Namen des Duketios verband. Er wurde niedergeschlagen. Drittens waren die Griechen von Gela in der Lage, 581 v. Chr. knapp 100 km westlich ihrer Stadt eine weitere Kolonie zu gründen, nämlich Agrigent.

Gela Abb 8

Abb. 8

Gela Abb 8a

Abb. 8a

Gela 8b

Abb. 8b

Es liegt in der Natur des Survey, daß Ergebnisse zu allen historischen Epochen zutage treten. Die Siedlungstätigkeit der Griechen nimmt durch das 6. Jahrhundert v. Chr. hindurch stark zu. Es werden zahlreiche neue Gehöfte gegründet und, wie es bei den Griechen üblich war, Heiligtümer (Abb. 6). Diese lassen sich anhand der Häufung bzw. dem geringfügigen Vorkommen bestimmter Materialklassen feststellen. Sakrale Orte haben meist eine kleinere Grundfläche als Bauernhöfe, vergleichsweise wenige Dachziegel, da der umbaute Raum hier geringer war, dafür aber einen sehr hohen Anteil an Feinkeramik und an Lampen. An einigen Stellen sind Votivnischen gefunden worden, in einem Fall sogar eine Säulentrommel, die von einem Tempel oder ebensogut von einem Weihgeschenkträger herrühren könnte.

Die Römische Epoche

Ihre höchste Intensität erreicht die griechische Siedlungstätigkeit im Hinterland von Gela im 4. und frühen 3. Jahrhundert v. Chr. (Abb. 6). 282 v. Chr. jedoch wird die antike Stadt für immer zerstört, und die Bevölkerung umgesiedelt. Dieser Entzug des urbanen Zentrums manifestiert sich auch in dessen Umland als einschneidendes Ereignis, denn auch dort nimmt die Siedlungstätigkeit rapide ab. In der frühen Kaiserzeit geht die Bewirtschaftung des Landes an römische Villae rusticae über (Abb. 4 + 9), die teils einen wohlhabenden Eindruck machen, denn es wurden große Mengen an Terra Sigillata, der römischen Luxuskeramik (Abb. 10), und sogar Architekturteile aus Kalkstein (Abb. 11), Reste von Wandstuck und Wasserleitungen aus Blei festgestellt.

Gela Abb 9

Abb. 9


Gela Abb 10

Abb. 10

Gela Abb 11

Abb. 11

Die Krise des Römischen Reichs im 3. Jahrhundert n. Chr. führt erneut zu einer dramatischen Krise der landwirtschaftlichen Siedlungstätigkeit im südlichen Sizilien. Dagegen bringt das 4. Jahrhundert n. Chr. einen Neuanfang. In dieser Zeit konzentriert die Siedlungstätigkeit sich auf drei größere Zentren, die eine Ausdehnung zwischen 10 und 16 ha aufweisen. Es handelt sich um ländliche Siedlungszentren mit kleinstädtischem Gepräge, sogenannte Agro towns, die teils große Mengen an Terra Sigillata-Keramik, Säulenarchitektur und umfangreiche Nekropolen mit Hypogäen aufweisen. Das Vorkommen heterogener Ziegelstempel deutet daraufhin, daß diese Siedlungen sich keineswegs auf den gigantischen Grundbesitz einer elitären Gruppe, die Latifundien, bezogen haben können, sondern je für sich eigenständig gewirtschaftet haben müssen. Zahlreiche Funde neuer römischer Siedlungsplätze verstärken dieses Bild. Der Einzugsbereich der Villa del Casale von Piazza Armerina mit ihren berühmten Mosaiken reichte keineswegs bis an die Küste, sondern traf bereits nach wenigen Kilometern auf nachbarlichen Grundbesitz. Überraschenderweise haben die kriegerischen Ereignisse der Spätantike wie der Vandaleneinfall (456 – 476 n. Chr.) in unseren Befunden keine erkennbaren Wirkungen hinterlassen. Erst im 8. Jahrhundert n. Chr. setzt unsere Überlieferung weitgehend aus.

Mittelalter und Neuzeit: Araber, Normannen, Gastarbeiter

Einen Neuansatz findet die Siedlungstätigkeit dagegen in der Epoche der arabischen Herrschaft in Sizilien (9. – 10. Jahrhundert n. Chr.) und nach der normannischen Eroberung im Hochmittelalter (Abb. 9). Im Umfeld des während dieser Jahrhunderte kontinuierlich besiedelten Butera (Abb. 2) und des im 13. Jahrhundert neu gegründeten Terranova-Gela entwickelt sich ein System ländlicher Siedlungsplätze, die oft keine Kontinuität zu den zuvor besiedelten Plätzen erkennen lassen.
Die wechselvolle Geschichte der ländlichen Besiedelung Südsiziliens setzt sich fort. Seit der frühen Neuzeit werden allenthalben Städte und ihr Umland neu besiedelt. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die dabei entstandenen grundherrlichen Strukturen sich überlebt. Im Zuge der Agrarreformen wurde das Land an kleine Landbesitzer verteilt. Anstelle großer, baronaler Gehöfte entstanden überall gleich aussehende, kleine landwirtschaftliche Anwesen. Sie zeigten sich aber der wachsenden Konkurrenz größer werdender und rationeller arbeitender Betriebe auf den Märkten für landwirtschaftliche Produkte immer weniger gewachsen. So zogen die neuen Landbesitzer schon nach wenigen Jahrzehnten gen Norden, teils sogar über die Alpen, um in den aufblühenden industriellen Zentren ihr Glück zu machen. Die meisten ihrer Häuser waren verfallen, als diese Emigranten als Rentner etwa drei Jahrzehnte später zurückkehrten.
Die Survey-Methodik ermöglicht es, die wechselvolle Geschichte des ländlichen Lebens und Wirtschaftens in einer sehr langfristigen Perspektive zu verfolgen. Landwirtschaft war vor der Industrialisierung die Basis für das Überleben der Bevölkerung und für allen Reichtum. Ihr nachzugehen hat in Südsizilien die Rekonstruktion ökonomischer und gesellschaftlicher Strukturen des Landes und seiner Zentralsiedlungen in drei Jahrtausenden ermöglicht.


Danksagungen: Für die Genehmigung, einen Survey im Gebiet von Butera und Gela durchführen zu können, gilt der Dank Rosalba Panvini, der Soprintendentin der Provinz Caltanissetta, und ihren Mitarbeitern, vor allem Carla Guzzone. Die Arbeiten unter Teilnahme zahlreicher Studentinnen und Studenten wurden finanziert von der Deutschen Forschungsgemeimschaft, der Fritz-Thyssen-Stiftung, Köln, dem Rektorat der Ruhr-Universität Bochum und der Gesellschaft der Freunde der Ruhr-Universität.- Abbildungsnachweis: Die Fotos der archäologischen Fundstücke und Fundorte wurden hergestellt und reproduziert mit Erlaubnis des Assessorato Regionale per i Beni culturali e Ambientali della Regione Sicilia. Nachdruck oder erneute Veröffentlichung ohne vorherige Genehmigung sind nicht gestattet. Alle Abbildungen stammen aus dem  Archiv des Gela-Survey (Archäologisches Institut, Göttingen, Photographen: J. Bergemann, R. Klug).


Literatur:
Gela:
P. Griffo – L. von Matt, Gela. Schicksal einer griechischen Stadt Siziliens (Würzburg 1964)
R. Panvini, Gelas. Storia e archeologia dell’antica Gela (Turin 1996)
R. Panvini (Hrsg.), Gela. Museo archeologico. Catalogo (Caltanissetta 1998).
Ta Attika. Veder greco a Gela. Ceramiche attiche figurate dall'antica colonia. Gela 2004, Hrsg. R. Panvini – F. Giudice, (Roma 2003)
Gela-Survey:
J. Bergemann – U.W. Gans, Der Bochumer Gela-Survey. Vorbericht über die Kampagnen von 2002 bis 2004, RM 111, 2004, 437 – 476 mit 69 Abb. und 2 Karten
J. Bergemann (Hrsg.), Gela-Survey: 3000 Jahre Siedlungsgeschichte in Sizilien (München 2010 im Druck)
Bronze- und Eisenzeit sowie Butera:
P. Orlandini, Il villaggio preistorico di Manfria presso Gela (1962).- R. Leighton, Sicily bifore History (London 1999) 113 – 146. 187 – 218
D. Adamesteanu, Butera. Piano della Fiera, Consi e Fontana Calda MonAnt 44 (1958) 205-672.- Ders., Butera. Sede temporanea di una colonia greca arcaica? AttiMemMagnaGr 3 (1994-95) 109-117
C. Guzzone, Sulla necropoli protostorica di Butera. I recinti funerari 138 e 139, ArchStorSicOr 81-82 (1985-86) 7-41
Zentralsizilien und die Indigenen:
C. C. Miccichè, Mesogheia (Caltanissetta 1989)
R. Panvini (Hrsg.), Marianopoli. Il Museo Archeologico. Catalogo (Caltanissetta 2000)
R. M. Bonacasa Carra — R. Panvini (Hrsg.), La Sicilia centro-meridionale tra il II ed il VI sec. d. C., Ausstellung Caltanissetta und Gela 1997 (Caltanissetta 2002)
R. Panvini (Hrsg.), Butera dalla preistoria all’età medievale (Caltanissetta 2003).- R. Panvini (Hrsg.), Caltanissetta. Il Museo archeologico. Catalogo (Caltanissetta 2003; ² Caltanissetta 2006).
Römisches Sizilien:
R. Wilson, Sicily under the Roman Empire (Warminster 1990)
Islamisches Sizilien:
La Sicile à l'époque islamique Mélanges de l'Ecole Française de Rome / Moyen âge 116,1 (Rom 2004)


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