Streit ums Windrad – Simulierte Gerichtsverhandlung im Gerichtslabor der Juristischen Fakultät
So fröhlich
wie an diesem Tag geht es wohl selten in deutschen Gerichtssälen zu. Kinder in
viel zu großen Anwaltsroben reden aufgeregt durcheinander, als der
Verwaltungsrichter Thius Vogel den Raum betritt. „Bitte erheben Sie sich“, sagt
er. Ein leises Kichern durchbricht die plötzlich eingetretene Stille im
Übungsraum der juristischen Fakultät Göttingen. Vogel spielt dort mit neun
Schülerinnen und Schülern im Alter von 10 bis 13 Jahren eine Verhandlung nach.
Strittig ist die Genehmigung einer Windkraftanlage durch den Landkreis
Hildesheim im Konflikt zwischen Klimaschutz und Einzelinteressen.
Kasimir
mahnt: „Bitte setzen Sie sich!“ In seiner Rolle als Vorsitzender Richter von
Schlippe eröffnet der Elfjährige die Verhandlung: „Der Bauer Bachmann und die
Vogelschützerin Voss beantragen, dass die Genehmigung aufgehoben wird.“ Den
fiktiven Fall hat sich die Jura-Professorin Angela Schwerdtfeger für die
Schüler der Klimaschutz-AG des evangelischen Gymnasiums Andreanum in Hildesheim
ausgedacht. In einer simulierten Gerichtsverhandlung, auch „Moot Court“
genannt, sollen sie hautnah erleben, wie bei der Klimawende Interessen in
Konflikt geraten können. Die Veranstaltung ist einer der Höhepunkte des
zweijährigen Kooperationsprojekts der Universität Göttingen und des Andreanums
zum Thema „Können wir Klimaschutz erstreiten?“.
Zusammen mit
Jura-Studenten haben sich die Kinder am Vormittag auf ihre Rollen vorbereitet.
In der Verhandlung greift Thius Vogel vom Göttinger Verwaltungsgericht
moderierend ein, wenn die Gespräche abzuschweifen drohen.
Bauer
Bachmann alias Nico (11) erklärt, warum er keine Windräder neben seinem Hof
will: „Das eine ist der Lärm, denn dadurch kann man nachts nicht richtig
schlafen.“ Auch der Schattenschlag sei äußerst störend. „Infraschall kann auch
krank machen“, fügt Anwältin Schubert hinzu, engagiert gespielt von Nele (10).
In der Rolle der Vogelschützerin Voss führt Johanna (12) ins Feld, wie viele
Bussarde, Adler und Fledermäuse regelmäßig durch Windräder sterben.
Dass die
Vögel hinter dem Klimaschutz zurückstehen müssen, meint hingegen der Anwalt des
Landkreises Hildesheim, gespielt von Kai (10). „Das Bundesverfassungsgericht
hat gesagt, dass wir klimaneutraler werden müssen.“ Richter Vogel, dem die
Pädagogen-Rolle sichtlich Freude bereitet, lächelt. „Ah, Sie rekurrieren hier
auf Artikel 20a des Grundgesetzes“, erläutert der Jurist und zitiert den
Artikel, welcher den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere
vorschreibt.
Mit dem
Grundgesetz sind die Schüler schon vertraut. Bei früheren Besuchen in Göttingen
haben sie bei Schwerdtfeger schon einiges über die Gewaltenteilung und andere
Prinzipien der Rechtsordnung erfahren. Im April konnten sie zudem im Göttinger
Verwaltungsgericht Vogel zum Richterberuf und zum Ablauf einer Verhandlung
befragen. „In dem Projekt wollen wir zeigen, dass bei politischen Problemen
rechtliche Fragen fast immer eine große Rolle spielen“, erläutert
Schwerdtfeger. Da das Recht der schnellen Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen
oft im Wege stehe, könne der Elan junger Klimaschützer schnell in Frust
umschlagen. „Wir wollen das Bewusstsein stärken, dass die Aufgabe komplex ist
und wir interdisziplinär Lösungen finden müssen“, erläutert die Juristin.
Im weiteren
Verlauf der Verhandlung bestimmen fantasievoll erdachte Spezial-Argumente die
Debatte. Der Manager der Windrad-Betreiberfirma schlägt etwa vor, die Windräder
mit einem übelriechenden Mittel zu imprägnieren, damit Vögel einen Bogen um sie
machen. Am Ende verkündet die Kammer das Urteil: Zwei der drei geplanten
Anlagen dürfen gebaut werden, die dritte mit Standort im Vogelschutzgebiet
jedoch nicht. Darsteller Kai streift die Robe ab. Nicht nur als
Landkreis-Anwalt, auch persönlich ist er mit dem Urteil zufrieden. „Ich finde
Windkraft zwar gut. In einem Vogelschutzgebiet sollten solche Anlagen aber
nicht stehen“, findet er.
Quelle: Urs
Mundt (epd)
Foto:
epd-bild/Hubert Jelinek