Zusammenfassung und Ergebnisse

In der ersten Präphase entwickeln die Akteure ein Miteinander, indem gemeinsam eine konvergente Beziehungsarbeit geleistet wird. Die deutsche Akteurin scheint – für deutsche Verhältnisse – vergleichsweise intensiv an der Entwicklung eine positiven Gesprächsatmosphäre zu arbeiten, wird dabei aber deutlich und aktiv von den Studierenden unterstützt. Im zweiten Teil der Präphase einigen sich die Interaktanten auf ein gemeinsames Verfahren für die folgenden Stunden, dass weder der deutschen Vorstellung von einem Literaturseminar entspricht, noch der chinesischen. Es folgt sodann die Hauptphase der ersten Stunde, in der die Dozentin vermutlich auf Grund ihrer Fremdwahrnehmung der chinesischen Studierenden eine Komplexitätsreduktion in ihren Fragestellungen vornimmt und ihre eigenen sprachlichen Handlungen simplifiziert.

Die Studierenden auf der anderen Seite sind in der ersten Stunde zögerlich, dies vermutlich auch deshalb, weil sie auf die gleich in der 1. Std. eingeführte Arbeitsweise nicht vorbereitet waren. Sie zeigen aber in den folgenden Stunden eine – im Verhältnis zum Stereotyp des passiven chinesischen Lerners – erstaunlich aktive und initiierende Interaktionsweise. Besonders hervorstechend ist, dass die Studierenden immer dann Strukturierungen, turn- oder Themenorganisation seitens der Dozentin unterlaufen, wenn es um Fragen geht, die sie wirklich zu berühren scheinen: etwa die Frage, ob Schlink die Protagonistin Hannah als SS-Täterin nun als sympathisch oder brutal zeigen will, oder welche Begründungen es für brutales Verbrechen geben könne.

Diese Art des emotionalen Engagements kulminiert dann in der letzten Unterrichtsstunde, in der es um die Rolle des Textes für Menschen in China geht. Und hier stoßen nun endgültig zwei Welten aufeinander, Deutschland und China, die jeweils aktuell unterschiedliche Arten von Vergangenheitsbearbeitung betreiben. Doch die Interaktanten finden – wie schon im methodisch-didaktischen Bereich - ein Miteinander, einen neuen, einen Dritten Raum, in dem unvereinbare Differenzen zur Disposition gestellt werden, ausgehandelt werden (Bhabha 1994, 218) und sich gleichsam verflüssigen (vgl. Bachmann-Medick 1998, 23 f.), um etwas Neues zu schaffen.

Die chinesischen Studierenden verhandeln mit der deutschen Dozentin im öffentlichen Raum in der VR China das chinesische (halb-) Tabuthema Kulturrevolution, bleiben aber in ihren Äußerungen auf ihre Art indirekt.