Masterprogramm CVA

Masterprogramm CVA


Im Mittelpunkt des 4-semestrigen Masterprogramms-CVA steht die Vermittlung filmischer Praxis. Es ist gegliedert in ein 3-semestriges Lehrforschungsprojekt sowie die daran anschließende Examensphase im darauffolgenden Semester, in der ein audio-visuelles Produkt (Film, Fotofilm, Videoinstallation u.v.a.m.) als wesentlicher Teil der MA-Thesis erstellt werden kann. Schematischer Ablauf CVA

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Ablauf des Masterprogramms CVA (*pdf)

Konzeptuell folgt das Masterprogramm-CVA dem Ansatz des Forschenden Lernens. Die Aneignung von Wissen wird dabei als dynamischer Prozess verstanden – mit durchaus offenem Ausgang. Um die Studierenden als forschende Individuen in den Mittelpunkt dieses Prozesses rücken zu können, um ihren Ideen den notwendigen Gestaltungsraum zu geben, ist jede Kohorte einem Rahmenthema gewidmet, etwa Migration, Klima, Bildern und den Praxen, aus denen sie hervorgehen, wissenschaftliche Sammlungen oder Animationsfilm. Dies ermöglicht den Teilnehmer*innen, selbstbestimmte Konzeptionen zu entwickeln, umzusetzen und diese gleichzeitig als Ergebnis einer Projektgruppenarbeit sichtbar zu machen. Die Veröffentlichung ethnografischer Filmpraxis über die Kinoleinwand hinaus, etwa als Bestandteil von Ausstellungen, als Webdoc oder interaktive Multimedia-Show, zu denken, hat sich in den letzten Jahren zu einem prägenden Moment des Masterprogramms-CVA herausgebildet.

Diese Arbeitsweise, die den gesamten medialen Prozess von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung umfasst, erachten wir in besonderem Maße als berufsqualifizierend. Denn sie integriert format- und themengebundene Medienpraxis, die wissenschaftliche, kulturelle, künstlerische und nicht zuletzt marktwirtschaftliche Felder seit langem prägt, fest in die universitäre Ausbildung.

Im 2-jährigen Turnus (jeweils in den ungeraden Jahren 2021, 2023 usw.) zum Wintersemester können sich Studierende für eine Teilnahme am Masterprogramm-CVA bewerben. 12 Studienplätze stehen zur Verfügung. Nähere Informationen zum Bewerbungszeitraum sowie zur Bewerbung selbst finden Sie hier sowie auf dieser Seite unter Aktuelles. Ohne Umwege direkt zum Bewerbungsportal gelangen Sie hierüber.


„Die Geschichte des filmischen Neuarrangements ist (…) so alt wie das Kino“ selbst (vgl. Blümlinger 2009: 14). Auch Dokumentarfilme greifen seit langem schon auf bereits existierendes Material zurück, das von den Filmemacher*innen nicht selbst erstellt wurde (vgl. Horstmann 2010: 191). In den meisten Fällen handelt es hierbei um zeithistorisches Filmmaterial, das das audio-visualisieren soll, was sich nicht mehr synchron beobachten lässt. Oft kommt dem Fremdmaterial dabei eine affirmative Funktion zu. So etwa in zeitgeschichtlichen TV-Dokumentationen oder True-Crime-Formaten, in denen es illustrativ den nötigen Bilderteppich liefert, auf dem der OFF-Kommentar seine Argumentation weiterführen kann. Doch was in Formaten wie „Terra X History“ oder „ARD Crime Time“ auch wegen der amalgamierten Form, die eine Unterscheidung des historischen und aktuellen Materials oft kaum noch zulässt, so beiläufig erscheint, ist bei genauerer Betrachtung ein komplexer und zudem problembehafteter Prozess, der viele Fragen aufwirft: Von welchen Ereignissen existiert überhaupt Filmmaterial und was davon ist in Archiven verfügbar? Unter welchen Bedingungen darf es verwendet werden? Was sind die (ideologischen) Entstehungsbedingungen des historischen Materials? Werden diese in der Wiederverwertung transparent? Welche Funktion erfüllt das Fremdmaterial in seiner Sekundärbearbeitung? Und welche emergenten Eigenschaften bilden Filme durch die Kombination von altem und neuem Material aus?

Diesen und weiteren Fragen will sich das Curriculum Visuelle Anthropologie (CVA) 23-25 zuwenden: zunächst kultur- und medientheoretisch, im weiteren Verlauf des Projekts historisch-archivalisch, schließlich vor allem filmpraktisch. Denn von Dritten angefertigte, bereits existierende Filmaufnahmen sollen den Ausgangspunkt der von den CVA-Teilnehmer*innen in dem dreisemestrigen Master-Lehrforschungsprojekt selbst zu konzipierenden und realisierenden Filmprojekte markieren.

Methodisches Vorgehen

Bei dem historischen Film- bzw. Videomaterial, das die Studierenden später mit eigenen Aufnahmen kombinieren sollen, kann es sich um institutionelle Archivalien, aber genauso gut um private Familienfilme handeln. Gemeint sein kann älteres zeithistorisches Material etwa auf 8mm- oder 16mm-Film oder Smartphone-Aufnahmen jüngeren Datums. Es können ganze Filme, gar Sammlungen sein oder nur kurze Ausschnitte oder Schnipsel. Die Filmaufnahmen können einen hohen persönlichen oder gesellschaftlichen kulturhistorischen Wert besitzen, sie können aber genauso gut als Rest oder Abfall deklariert worden sein. Solches Fremdmaterial zu finden und kritisch zu kontextualisieren, wird die erste große Herausforderung für die Teilnehmer*innen des CVA-Projekts 23-25 sein; eine Idee zu generieren, wie dieses Material zum Ausgangspunkt der eigenen filmischen Arbeiten gemacht werden könnte, die zweite.

In diesem Konzeptionsprozess ist die Einordnung von Film als Quelle unabdingbar. Filme – egal ob historisch oder aktuell – sind keine objektive Abbildung der Wirklichkeit, sondern müssen als „Quelle der Mentalitäten“ (Horstmann 2010: 193) gelesen werden, die Normen, Haltungen und Werte der Zeit, in der sie entstanden sind, enthalten. Damit unterliegen Filme hinsichtlich dessen, was sie wie zeigen und was nicht, auch einem Machtgefüge von Inklusion und Exklusion (vgl. Horstmann 2010: 192). Nichtsdestotrotz: sie behaupten Evidenz. Wie Fotografien besitzen auch historische Filmaufnahmen eine Glaubwürdigkeit, der sich Zuschauende nur schwer entziehen können (vgl. Becker/Korte 2011: 5). Damit ist ihrer Verwendung auch eine ästhetische Komponente inhärent, weil historische Aufnahmen in den Filmen, in die sie integriert werden, eine auratische Funktion übernehmen, die bei den Zuschauenden Gefühle von Authentizität und Originalität erzeugen kann (vgl. Blum 2013: 233).

Die Erhebung von Film- bzw. Videomaterial sowie die quellenkritische Auseinandersetzung damit werden im CVA 23-25 von Beginn an mit der Frage einher gehen, ob und wie sich das Material dafür eignet, Ausgangspunkt und bedeutsamer Bestandteil der selbst zu konzipierenden und umzusetzenden Filmprojekte zu sein. Ob die Idee für einen Film der Suche nach geeignetem Material vorausgeht, oder ob umgekehrt das Material Initial für eine Filmidee sein kann, lässt sich nicht generell beantworten. Vielmehr ist das Vorgehen als zirkulärer Prozess zu verstehen, in dem die Genese einer Filmidee und die Recherche nach Fremdmaterial Hand in Hand gehen werden.

Filmische Genres

Wie genau das Material schließlich in die eigenen synchron zu erstellenden Aufnahmen integriert werden kann, dafür können verschiedene dokumentarische Subgenres eine Blaupause liefern. Unter dem Oberbegriff Kompilationsfilm, der bewusst weit einen „unter vorwiegender Verwendung von fremdem älterem Material entstandene[n] Film“ (Wulff 2023) beschreibt, lassen sich unterschiedliche Zugangsweisen ausdifferenzieren, bei denen die Bedeutung des Fremdmaterials (vor allem in quantitativer Hinsicht, also im Mengenverhältnis zu selbst produzierten Aufnahmen) stark variiert und die nicht immer scharf voneinander zu trennen sind.

Ein Großkonvolut bilden Filme, für die der Inhalt, also die semantische Ebene des verwendeten Fremdmaterials, im Vordergrund steht.

Darunter fallen u.a. Filme, die gesellschaftliche oder biographische (Bio-Pic) Zeitgeschichte (ein Ereignis, ein oder mehrere Leben etc.) rekonstruieren und dabei das historische Filmmaterial, das häufig aus offiziellen Archiven stammt, oft mit Interviews, die mit Zeitzeug*innen oder auch Expert*innen geführt wurden, montieren. Ende der 1990er Jahre große Popularität erlangte die mehrteilige Dokumentationsreihe „Hitlers Helfer“, für die der ZDF-Journalist Guido Knopp verantwortlich zeichnete, und die die politischen Hauptakteure des Nationalsozialismus porträtiert. Historisches Filmmaterial spielt dabei eine quantitativ tragende und zugleich höchst problematische Rolle, u.a. da das historische Filmmaterial völlig kontextlos in eine fast schon rauschhafte Collage überführt wurde, die einer dem Gegenstand angemessenen Form der Zeitgeschichtsschreibung zuwiderläuft. Daneben sind aber auch Filme wie Heinrich Breloers Doku-Drama „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ zu nennen, das behutsam die Schnittstelle von Zeitgeschichte und Fiktion auch unter Einsatz historischen Filmmaterials auslotet. Hinzu kommen Filme, die dadurch gekennzeichnet sind, dass in ihnen Familienaufnahmen eine tragende Rolle spielen. Als Familienfilme oder Home Movies werden solche Filme bezeichnet, in denen „Akteure, Objekte oder Ereignisse auf die eine oder andere Art mit Familiengeschichte verknüpft sind“ (Geuenich/Thalheim 2017: 119) und die gemeinhin im Familienkreis rezipiert werden. Bei Filmen, die private und damit in der Regel öffentlich nicht zugängliche Familienaufnahmen integrieren und neu arrangieren, liegt oft ein persönlicher Bezug der Filmemacher*in zu dem Material und dem, was es zeigt, vor, womit ihnen häufig eine autoethnografische Perspektive inhärent ist, wie bspw. in Thomas Elsaessers Film „Die Sonneninsel“. Eine weitere Gruppe besteht aus sog. Restudies. Bei solchen Filmen steht der Vergleich von gestern und heute im Vordergrund, wobei das historische Material den Ausgangspunkt der filmischen Spurensuchen bildet. Beispielhaft hierfür kann der Film „Schnaps im Wasserkessel“ von Hans Erich Viet genannt werden, der einen Dokumentarfilm aus den 1940er Jahren über das Leben der Landarbeiter in Ostfriesland, seiner eigenen Heimat, zum Anlass nimmt, die Region auch auf Begriffe wie Konstanz und Wandel hin neu zu befragen.

Ein anderes Großkonvolut bilden solche Filme, die neben der semantischen Ebene des historischen Materials, das sie verwenden, auch und vor allem an dessen Medialität interessiert sind und auf diesen Aspekt den Schwerpunkt ihrer Ausarbeitung legen. Dazu gehören Fragen zum ideologischen Entstehungskontext des Materials, häufig aber auch reflexive Problematisierungen zum Quellenwert von Film sowie zu Politiken seiner Archivierung.

Eine bedeutsame Kategorie darunter sind sog. Found Footage Filme, die als „ästhetisches Verfahren [angesehen werden können], für das die extensive Verwendung, Transformation und Umdeutung von fremden, gefundenen oder in Archiven speziell ausgesuchtem Filmmaterial charakteristisch ist.“ (zitiert nach Kirchmann 2006: 500). Das besondere dieser filmischen Praxis, die oft, aber nicht nur dem Experimental- und Avantgarde-Film zugerechnet wird, besteht darin, dass sie das gefundene Fremdmaterial stark aus seinem ursprünglichen Kontext löst und es mithilfe der Montage neu deutet, etwa um auf diese Weise bild- und filmanalytische Fragestellungen zu bearbeiten, wofür der Dokumentarfilm „Brainwashed. Sex-Camera-Power“ von Nina Menkes, dem es um die Offenlegung des sog. male gaze im Hollywood-Kino geht, beispielhaft genannt werden kann. Analog zum Terminus der Objektbiografie, die versucht, die Lebensgeschichte eines Objektes zu rekonstruieren und damit dessen soziale Bindung zum Mensch deutlich zu machen, versuchen hingegen Filmbiografien (Vorsicht Verwechselungsgefahr: gemeint sind hier keine Bio-Pics oder verfilmte Biografien) die Entstehungs- und Nutzungsgeschichte eines Films herauszuarbeiten, wobei gerade die Spannungen von einst intendierter und späterer Um- bzw. Neunutzung von besonderem Interesse sind. Diese machen deutlich, wie gerade Nischenfilme (Gebrauchsfilme, wissenschaftliche Filme etc.) durch Raum und Zeit zirkulieren und dabei unterschiedliche materielle, visuelle und epistemische Funktionen annehmen können (vgl. Sattelmacher et al 2021: 297). Diese zu erhellen, ist die Aufgabe von Filmbiografen wie bspw. Yael Hersonskis „Geheimsache Ghettofilm“, der NS-Filmaufnahmen aus dem Warschauer Ghetto hinsichtlich ihrer Entstehung sowie Nachnutzung untersucht. Als weiteres Subgenre des Kompilationsfilms, bei dem die Verwendung von Fremdmaterial durch die kritische Auseinandersetzung mit selbigem geleitet ist, kann schließlich der sog. Materialfilm genannt werden. „Filmische Elemente, die normalerweise unsichtbar bleiben oder, als technische Gegebenheiten, nicht zum Inhalt gerechnet werden,“ bilden dabei das „visuelle Material, das zu einer mehr oder weniger abstrakten Komposition verwoben wird: Dazu gehören Perforationslöcher, Randnummern, Kratzer und Fussel (…) Positiv- und Negativfilm, Körnung, Bildstrich, Blitzer, chemischer Zerfall etc. Materialfilme stellen eine Form der Selbstreflexion über das Medium und den Apparat Kino dar.“ (Brunner 2023) Ein Beispiel für eine stark experimentelle Form des Materialfilms ist Peter Kubelkas „Arnulf Rainer“, der nur aus analogfilm-generierten weißen und schwarzen Flächen sowie Stille und weißem Rauschen besteht.

CVA 23-25

So unterschiedlich wie der Umgang mit Fremdmaterial in dieser kurzen Zusammenschau auch sichtbar wurde: abgesehen von dem sehr reduktionistischen Film „Arnulf Raiiner“ eint alle Zugänge, dass sie bereits existierendes Film- bzw. Videomaterial wiederverwerten und es mit neu erstelltem synchron beobachtetem szenischen Material kombinieren, wobei das Fremdmaterial einen wesentlichen Ausgangspunkt zunächst der filmischen Konzeption, später aber auch der Gesamtnarration bildet. Dies setzt für die Arbeit an allen genannten Formaten eine profunde analytische Auseinandersetzung mit dem historischen Material voraus, die den Entstehungskontext ggf. auch durch Hinzuziehung anderer schriftlicher wie visueller Quellen erhellen soll. Nur so können die inhaltlichen wie auch die medialen Aspekte, die für das Material charakteristisch sind, richtig eingeordnet werden. Hinzu kommt, dass alle Film audio-visuelle Strategien entwickeln, wie das Material innerhalb des Neuarrangements repräsentiert werden kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Material bewusst integer oder experimentell-dekonstruiert genutzt wird, ob es archiv- und medienreflexiv oder vor allem aufgrund seiner inhaltlichen Qualitäten Eingang in den eigenen Film finden wird, ebenso wenig ob es einen großen Teil der Gesamtnarration ausmacht oder nuanciert verwendet werden soll.

Auf diesem gemeinsamen Nenner fußt das CVA 23-25, in deren Verlauf die Teilnehmer*innen in Kleingruppen Filme konzipieren, deren inhaltlicher, perspektivischer und erzählerischer Ausgangspunkt Fremdmaterial sein soll, das die Studierenden selbst recherchieren. Zur Bearbeitung dieser Aufgabe eignen sich Themenfelder in besonderer Weise, die unter Berücksichtigung einer auch historischen Perspektive medienanthropologische Forschungsfragen aufwerfen oder aber in den Bereichen Familie, Fest, Tourismus oder Migration lokalisiert werden können, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass in diesen Feldern historisches Filmmaterial vermehrt vorliegt. Darüber hinaus kann aber selbstverständlich auch jedes andere Thema bearbeitet werden, solange von Beginn an die Frage der Existenz von Fremdmaterial, dessen Verfügbarkeit sowie die Möglichkeit dessen sinnfälliger Integration in die neu aufzunehmenden Audiovisionen mitgedacht wird.

Mit „Watching Food“ nimmt das CVA 21_23 ethnografische Felder in den Blick, die sich mit Essen, also Nahrung und Ernährung, auseinandersetzen. Essen als „soziales Totalphänomen“ (Mauss 1968) konstituiert individuelles ebenso wie soziales Leben. Damit eröffnet eine Untersuchung nicht nur Perspektiven auf Forschungsbereiche wie Körper, Gender, Gesundheit, Identität, Macht und Raum (Foodscapes), sondern auch auf gesellschaftlichen Wandel. Die Bezeichnung „Arme-Leute-Essen“ etwa zeugt davon.

Nicht nur Fragen des Geschmacks oder der Zugänglichkeit und Verteilung lassen sich hier nennen, auch Ernährungsverhalten, Tischsitten und kollektive Festivität knüpfen daran an. Essen war und ist also auch politisch (Bourdieu1987; Bendix/Fenske 2014) und ein Spiegel sozialer Veränderungen.

Im weiteren Sinne beinhaltet eine Auseinandersetzung mit Essen (und auch Getränken) Formen der Zubereitungen und der (Selbst-)Darstellung von Akteur:innen, etwa in Kochshows und auf Social Media. Wer hat nicht schon mal das Foto eines ‚schönen‘ Essens auf Instagram gepostet? Nahrungsstile und -designs verweisen auf ein Bild von uns selbst ebenso wie unsere alltäglichen Ernährungspraktiken. Und es gibt sowohl Tabus als auch Vorlieben. Häufig sind diese verknüpft mit kulinarischen Erinnerungen, etwa aus der Kindheit, oder sie sind gekoppelt an diskursive Zuschreibungen.

Esskulturforschung ist seit Jahrzehnten ein volkskundliches/kulturanthropologisches Untersuchungsfeld: Regionale und kulturhistorische Besonderheiten (Wiegelmann 2006), Ess- und Trinksitten (Tolksdorf 2001), Genussmittel (Hengartner 1999) und Gastlichkeit (Bendix 2008) sowie mit Blick auf unterschiedliche Milieus (Rath 1984) und in Hinblick auf Europäische Esskultur (Hirschfelder 2013).

Auch im Kontext der Globalisierung ist Essen längst ein Feld kulturanthropologischer Untersuchung. Dies beinhaltet neben ökologischen Perspektiven auch kritische Positionen (Kimmich/Schahadat 2012). Der Weg des Matsutake-Pilzes – in seinen vielfältigen Bedeutungszuschreibungen als Lebensmittel und zugleich als lebendiges Wesen – wurde jüngst entlang ökonomischer Liefer- und Wertschöpfungsketten betrachtet (Tsing 2015). Interdisziplinär verortet ist Ernährung und Essen in der Kulinarischen Ethnologie und in der Kulinaristik (Wierlacher 2008). Nicolaj van der Meulen und Jörg Wiese sprechen von einem new culinary turn (2017).

Wissen und Können sind für den Erwerb von Essen erforderlich. Transgenerationell werden Rezepte weitergegeben und durch Praxen des Zeigens, Beobachtens und Mitmachens wird Wissen inkorporiert und habitualisiert. Auch traditionelle Rollenverteilungen und -zuweisungen sind eng mit der Zubereitung von Nahrung verbunden, während queer food womöglich noch nicht erfunden wurde. Begriffe wie das „barking“ stehen für eine speziesübergreifende Nahrungszubereitung, wenn Hundebesitzer:innen ihren Gefährten das Fressen zubereiten.

Das CVA kann aus einer inhaltlichen Vielfalt an Zutaten schöpfen. Es spürt filmisch geeigneten Zugängen zu alltagskulturell relevanten und womöglich bislang wenig in den Blick geratenen Phänomenen des Essens nach, die in narrative Dokumentarfilme überführt werden.

„Abseits“ oder „weg“, „ausgeschaltet“ oder „aus“, „schlecht“ oder „verdorben“. Die Übersetzungen des englischen Begriffs „OFF“ sind vielfältig. Dabei kreisen viele von ihnen um ein gemeinsames semantisches Feld. Momente der Abwesenheit, zumindest aber des Mangels oder des Marginalen bilden darin ein deutlich erkennbares Muster. Dasselbe gilt für filmische Kontexte, in denen das Wort „OFF“ Verwendung findet. Während der Terminus „off the record“, der eine vertrauliche Aussage bezeichnet, zudem anzeigt, dass die Abwesenheit, die hier diskursiv umspielt wird, oft auch etwas Klandestines impliziert, machen die Begriffe „off stage commentary“ und „off screen“ darüber hinaus deutlich, dass gerade das Nicht-Vorhandene eine besondere Wirkmächtigkeit entfaltet. Nicht umsonst wird der OFF-Kommentar, also die begleitende Stimme aus dem Hintergrund, auch „voice of good“ genannt und nicht grundlos gelten gerade im Kino die Dimensionen „off screen“, womit solche Akteurinnen, Ereignisse oder Objekte gemeint sind, die nicht im Bild dargestellt werden, als die, von denen die immersivsten Effekte auf die Zuschauerinnen ausgehen.

Sicherlich auch aus den angedeuteten Gründen ist dieser OFF-Zustand immer wieder Gegenstand kulturanthropologisch relevanter Theorien und Forschungszugängen gewesen. Beispielhaft lassen sich mit dem Verbot bzw. dem Tabu sog. Prozeduren der Ausschließung im Kontext diskurstheoretischer Überlegungen anführen (Foucault 2003). Ebenso einschlägig ist der Begriff der Hinterbühne bei Erving Goffman (1969), der in der Analogie zum Theater einen nur für wenige zugänglichen Bereich beschreibt. Und so wie im Kontext der Erzählforschung auch das Nicht-Erzählen, das Nicht-Erzählbare und Verschwiegene (vgl. Becker 2009) von Interesse ist, sind es bei Marc Augé (u.a. 1988) die schwer zu fassenden Atmosphären der sog. Nicht-Orte, die in einem Fach, in dem auch und gerade die Hinwendung zu den „Unterwelten der Kultur“ (Maase/Warneken 2003) zur disziplinären Identität gehören, immer wieder kulturanthropologische Forschungen anregen.

Diese und andere Dimensionen des OFF nimmt das CVA 2019_21 zum Ausgangspunkt seiner „filmischen Zugänge ins Abseits“. Neben den konkreten Feldzugängen, die die Studierenden gewinnen sollen, wird eine besondere Herausforderung darin bestehen, diese auch filmisch zu realisieren. Um jene Facetten des Alltagslebens, zu denen Kameras oft keinen Zutritt haben, zu visualisieren, sollen die CVA-Teilnehmerinnen die tradierten Genregrenzen des ethnografischen Films erweitern: in Richtung solcher Abbildungsverfahren, die über das synchron Audiovisualisierbare hinausweisen. Dabei geraten auch die Techniken des Animations- und Trickfilms in den Blick, die von Computeranimation, über fotografisches Morphing bis hin zu Legetechnik, Stopp- und Zeichentrick reichen können. Ausgewählte dieser Techniken sollen in den von den Studierenden zu konzipierenden und zu realisierenden Projektfilmen medientheoretisch reflektiert, gemeinsam mit Protagonistinnen der Filme erarbeitet und schließlich mit den gängigen Methoden ethnografischen Arbeitens und Filmens gewinnbringend verschränkt werden.

Die Georg-August-Universität Göttingen verfügt über mehr als dreißig Sammlungen, die aus Gemälden, Graphiken, Ethnographika, Musikinstrumenten, kartographischen Erzeugnissen, rechtsmedizinisch relevanten Objekten, Pflanzen u. v. a. m. bestehen und in unterschiedlichen Instituts- und Seminargebäuden, in Bibliotheken, Kliniken sowie botanischen Gärten aufbewahrt werden. Wesentliche Teile der Sammlungen gehen auf das „Königliche Academische Museum“ zurück, das 1773 in Göttingen gegründet wurde. In dieser Zeit bildeten Sammlungen oft die Grundlage vieler sich vornehmlich auf „empirischen Beobachtungen und Sinneserfahrungen“ (Häner 2017: 30) langsam disziplinär ausbildender Forschungsaktivitäten. Vor allem im Bereich der sog. Naturforschung waren es Sammlungen, anhand derer ordnende, benennende, klassifizierende, systematisierende und darstellende Verfahren wissenschaftlicher Arbeit vollzogen wurden und so wesentlich zur Genese neuer Wissensbestände beitrugen (vgl. ebd.: 32). Darüber hinaus wurden die Sammlungen zur Vermittlung der Inhalte in der universitären Lehre eingesetzt. Auch bei der Bildung disziplinärer Identitäten (vgl. te Heesen 2010: 218) sowie in der Außenwirkung der Universität spielten sie eine nicht unwesentliche Rolle, etwa bei der Akquise zahlungskräftiger Studierender. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die großteils zentral verwalteten Sammlungen in die jeweiligen Institute transloziert – wo sie sich bis heute befinden. Eine in den letzten Jahren sozial- und geisteswissenschaftlich übergreifende Sensibilisierung für die kontextgebundene und situierte Entstehung von Wissen, in der auch den Dingen eine neue Bedeutung zugesprochen wurde (vgl. te Heesen 2010: 215 u. 218) haben ebenso wie neue Fördermöglichkeiten und -programmen dazu geführt, dass (universitären) Sammlungen eine wieder erstarkte Aufmerksamkeit zuteilwurde.

Kooperation

Auch aus diesem Grund bildeten die Göttinger Universitätssammlungen das Rahmenthema des CVA 2017-19, für dessen Bearbeitung das Projekt eng mit der „Zentralen Kustodie“ kooperierte. Die Zentrale Kustodie wurde 2013 gegründet und unterstützt seitdem die einzelnen Göttinger Sammlungen und Teilsammlungen, etwa indem sie hilft, die Sammlungen digital zu erschließen und für die Forschung – auch weit über Göttingen hinaus – zugänglich zu machen. Hauptaufgabe der Zentralen Kustodie ist aber vor allem die Planung und Umsetzung des „Forum Wissen“, das als Wissensmuseum von seiner Eröffnung im Jahr 2021 an den Universitätssammlungen eine neue Plattform bieten wird. Mit einer Basisausstellung, in die ausgewählte Gegenstände der Sammlungen überführt werden, möchte das Forum Wissen den Besucher*innen die Perspektivität, Historizität und Veränderlichkeit von Wissen und Wissenschaft vermitteln.

Perspektiven und Filme

Die filmischen Zugänge zu den Göttinger Universitätssammlungen, die die Teilnehmer*innen dieses CVA bearbeiteten, leiteten sich direkt aus den Perspektiven einer kritischen Museologie ab. Ins Blickfeld gerieten dabei z. B. poststrukturalistisch inspirierte Fragen nach den Verfasstheiten einzelner Sammlungen und sich darin manifestierender Identitätspolitiken. So verwirklicht sich bspw. in der Art und Weise, wie bestimmte Dinge gesammelt wurden und andere nicht, ein (historisches) Differenzdenken entlang der gängigen Großkategorien wie Ethnizität, Geschlecht oder Klasse. Auch die Frage, wie mit Hilfe der Sammlungen „wahres“ Wissen konstituiert wurde, gibt Hinweise auf historische Machtdimensionen, die dem Feld der (universitären) Sammlungen stets immanent sind (vgl. MacDonald 2010: 52). Neben diesen Zugängen waren es vor allem ethnografische Perspektiven, die wechselweise die Praxen des Sammelns (des Ordnens, des Restaurierens, des Entsammelns u.a.) oder involvierte Akteur*innen (Kustod*innen, Aufsichtspersonal, Wissenschaftler*innen, die mit Sammlungsstücken arbeiten) in den Blick nahmen und die für die Themenfindung fruchtbar waren.

In einem World-Café einigten sich die Studierenden auf die Themenfelder und die Gruppen, in denen die Filme später umgesetzt wurden. Auf der Grundlage erster Recherchen, Vorgespräche und Feldzugänge stellten die Teilnehmer*innen in einem eintägigen pitching ihre Filmkonzeptionen zur Diskussion, an der neben dem Kurs auch Marie Luisa Allemeyer und Christian Vogel von der Zentralen Kustodie sowie Joachim Baur, der Leiter des kuratorischen Teams des Forum Wissen, teilnahmen. Schließlich konzipierten und realisierten die zwölf Teilnehmer*innen fünf Filme. In ihnen widmen sie sich human remains und dem Umgang seitens der Kustod*innen mit ihnen, den Wahrnehmungspraktiken von Sammlungsbesucher*innen, der Geschichte der Göttinger Geburtsmedizin und ihre Darstellung in einer Ausstellung, der Arbeit historischer Anthropolog*innen sowie den Herausforderungen, vor die die lebenden Objekte des forstbotanischen Gartens die dort arbeitenden Sammlungsmitarbeiter*innen stellen.

Veröffentlichung

Nach der Ausarbeitung unterschiedlicher Rohschnittfassungen, einem zweitägigen CVA-Board: Schnitt und Montage, zu dem der Cutter Roland Musolff eingeladen war und der daran anschließenden Fertigstellung der Filme, wurden diese im Rahmen der Veranstaltung „Kino der Dinge“ im Sommer 2019 einer interessierten Öffentlichkeit im Kino Lumiere präsentiert (einen Bericht zur Veranstaltung finden Sie hier.)

Ein Korsakow-Film


Das Curriculum Visuelle Anthropologie (CVA) 2015-2017 widmete sich dem Oberthema „Bilder machen“ Die Studierenden videografierten zwölf Personen bzw. Personenengruppen bei der Ausübung ihrer visuellen Praktiken. Das Forschungsziel bestand darin, sich für bestehende Normen, Vorbilder sowie das sensorische Instrumentarium, in das die bilderstellenden Praxen eingebettet sind, zu sensibilisieren, auch um Bilder als das Resultat „persönlicher oder kollektiver Symbolisierung“ (Belting 2001: 9) sichtbar zu machen. Um später Kohärenzen, aber auch Disparitäten quer zu den verschiedenen Bildprozessen kenntlich machen zu können, fiel die Entscheidung, eine große Vielzahl kurzer Videoclips mit Hilfe der Software „Korsakow“ (vgl. u. a. Soar 2014), die der Filmemacher und Künstler Florian Thalhofer entwicklet hat, in dem Korsakow-Film „Bilder machen“ zusammenzuführen.

Bilder machen

Mit dem Iconic Turn, der Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre die Kulturwissenschaften durchdrang (vgl. u.a. Bachmann-Medick 2008), ging auch eine Loslösung des Bildlichen von bis dahin dominanten Kategorien einher. Ließen Begriffe wie „Original“ und „Werk“ Bilder in der Regel als das Ergebnis eines künstlerischen Schöpfungsprozesses und damit vor allem als Gegenstand der Kunstwissenschaft erscheinen, durchzieht die Kulturwissenschaften heute ein breiter Bildbegriff. Bildlichen Status erlangen dadurch vielfältige Produkte verschiedenster Verfahren. Dazu zählen neben den klassischen bildlichen Künsten wie Malerei oder Fotografie, auch Karten, Baupläne oder aus Daten generierte Netzwerke u.v.m., die aus technischen oder wissenschaftlichen Praxen hervorgegangen sind. Entsprechend dieser Diversifizierung haben sich auch die Blickrichtungen auf Bilder multipliziert. Galt eine der klassischen Fragen den Bildern an sich, speziell ihrem „Wahrheitsgehalt“, stehen heute mehr und mehr situierte Betrachtungen ihrer Entstehungskontexte sowie die gebundene Gültigkeit lokaler Regeln ihrer praktischen Werdung im Vordergrund. Vor allem die Visual Studies haben den Bilddiskurs in diese Richtung maßgeblich beeinflusst. Sophia Prinz und Andreas Reckwitz unterscheiden innerhalb der Visual Studies verschiedene Ansätze (vgl. 2012: 180). Neben produkt- und rezeptionsorientierten Analysen erscheinen dabei vor allem produktionsorientierte Forschungen, die visuelle Praxen unter materiellen und technologischen Bedingungen in den Blick nehmen, aber auch Perspektiven, die sich nicht allein auf Bilder, sondern auch auf Praxen des Sehens als Wahrnehmungsprozesse richten, als besonders relevant:

„Entscheidend ist dabei, das Sehen als Wahrnehmungsweise nicht auf einen psychologisch, phänomenologisch oder neurophysiologisch rekonstruierbaren ‚inneren‘ Prozeß zu reduzieren, sondern es als Bestandteil kulturell und historisch spezifischer Praktiken zu analysieren. Diese Praktiken sind wiederum nicht isoliert zu betrachten, sondern eng mit entsprechenden Artefaktkonstellationen, Wissens- und Affektstrukturen sowie Subjektivierungsformen verbunden.“ (Prinz/Reckwitz 2012: 191f.)

Innerhalb dieses Rahmens verortet sich auch ein Konzept der Sozialanthropologin Cristina Grasseni. Sie verortet Bildproduktionen innerhalb von „komplexen kontextuellen, konnotativen Verstrickungen und Koppelungen von Medium, Material sowie Herstellungs- und Vermittlungsprozessen“ (Leimgruber u.a. 2013: 253). In ihrem Konzept der sog. skilled visions hat Grasseni (u.a. 2011) die Verbindung einer sozio-kulturellen Situierung von Visualität und einer Praxeologie des Sehens ausgearbeitet. Ebenso wie die Vertreter_innen der Visual Culture Studies versteht auch Grasseni visuelle Wahrnehmung antithetisch zu neutralen Observationen. Sie geht davon aus, dass visions und ihre Herausbildung praxissituiert und sozial sowie kulturell beeinflusst sind. Im Rahmen dieses gewandelten Bildverständnisses sowie daran anschließender Perspektiven auf die vielfältigen Situierungen bildgebender Praxen hat sich das CVA 2015-17 bewegt, das inhaltlich Akteur_innen von Bildproduktionen im vorgenannten Sinne in sein Zentrum rückte. Wichtig dabei war zunächst, dass die Vielfalt des Bildbegriffs durch die Wahl der von den Studierenden zu bearbeitenden Themen deutlich wird. Entsprechend fanden nicht nur Malerei und Fotografie Berücksichtigung, sondern auch von Schauspieler_innen auf einer Theaterbühne oder durch Musik evozierte imaginäre Bilder, aber auch aus physikalischen Daten gewonnene Grafiken, die ebenfall einen Bildsttatus für sich beanspruchen können. Zudem sollte herausgestellt werden, dass Bilder als Produkt von Wahrnehmungpraxen angesehen werden können, die neben visueller Perzeption auch andere sensorsiche Fähigkeiten wie Fühlen, Riechen, Hören und Bewegen beinhalten.

Non-linear storytelling

Da es im CVA 2015-2017 neben der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Rahmenthema „Bilder machen“ auch um die Erprobung non-linearer interaktiver Erzähltechniken gehen und das entstehende Rohmaterial deshalb nicht nur in einzelne narrative Filme, sondern vor allem auch in die Web-Dokumentation Korsakow überführt werden sollte, war eine die einzelnen filmischen Arbeitsgruppen überreifende Koordination der Projektarbeiten von besonderer Bedeutung. Denn damit das Korsakow-System sein non-lineares und interaktives Potential ausspielen kann, werden besondere Anforderungen an die Themenentwicklung und schließlich auch an das Rohmaterial gestellt. Diese können auf einer abstrakten Ebene als kalkuliertes Wechselverhältnis aus Wiederholung und Innovation beschrieben werden. Wiederholung bedeutet im konkreten Kontext, dass die Bearbeitung der Einzelthemen unter zuvor gemeinsam definierten Kategorien erfolgen muss. Erst so wird das System überhaupt in die Lage versetzt, den Nutzer_innen an einer Schnittstelle mehrere Rezeptionsofferten anzubieten. Damit diese aber nicht redundant, sondern als polyphon wahrgenommen werden können, muss das gefilmte Material im Stande sein, die verbindende Kategorie auf verschiedene Art und Weisen zu deklinieren. Nur so kann das gewünschte Ergebnis erzielt werden, späteren Nutzer_innen den Eindruck zu vermitteln, zwar weitgehend auf selbst bestimmten, mal überraschenden, mal Zusammenhänge verdeutlichenden, in jedem Fall aber immer erkenntnisgeleiteten und -reichen Wegen durch die Web-Dokumentation zu gelangen. Damit dieses Wechselspiel von Wiederholung und Innovation gelingt, wurden für viele Korsakow-Web-Dokumentation Themen gewählt, die um die vielfältigen Einblicke starke Klammern gelegt haben. Dabei handelt es sich vor allem um geographische Orte – ein Hochhaus oder eine Brücke etwa –, die die Einzelgeschichten als gemeinsamen Nenner verbinden und die verhindern, dass die Nutzer_innen in dem bewusst klassische Dramaturgien entsagenden System nicht „verloren“ gehen. Im Rahmen des CVA übernahm das gemeinsame Oberthema sowie ein im Plenum abgestimmtes kollektives Forschungsdesign diese Aufgabe. Gemeinsam erarbeitetete und alle Themen verbindende analytische Kategorien, Frageleitfäden und/oder Beobachtungsperspektiven sollen als sich wiederholendes Element ermöglichen, dass die spezifischen Ausprägungen der einzelnen Themen in der Zusammenführung als innovative Erfahrungen der Nutzer_innen wahrgenommen werden können.

Interaktive Mulitmediapräsentation und Korsakow-Film


Die Ergebnisse des Projekts wurden Ende Januar 2018 im Rahmen einer öffentlichen interaktiven Multimediapräsentation im Göttinger Kino Lumiere uraufgeführt, von den zwei Gastreferent_innen Susanne Regener (Lehrstuhl für Mediengeschichte, Schwerpunkt Visuelle Kultur, Universität Siegen) und Kay Hoffmann (Studienleiter Wissenschaft, Haus des Dokumentarfilms, Stuttgart) kommentiert und in einem abschließenden Podium diskutiert.
Den fertigen Korsakow-Film „Bilder machen“ sehen Sie hier: www.bildermachen.uni-goettingen.de

Filmisch-ethnografische Zugänge zum Klimawandel


Längst ist unstrittig, dass auch der Faktor Mensch für die einschneidenden Veränderungen des Weltklimas verantwortlich ist. Auch alltagskulturelle Aspekte rücken bei der Suche nach Ursachen ebenso wie bei den Versuchen, auf den Klimawandel zu reagieren, in den Fokus. So auch in Göttingen: Mit der Teilnahme am Förderprogramm „Masterplan 100% Klimaschutz“ hat sich die Stadt das Ziel gesetzt, klimaschädliche Emissionen zu reduzieren. Bis zum Jahr 2050 will die Stadt Göttingen in Kooperation mit der lokalen Wirtschaft, der Universität, ortsansässigen Initiativen, vor allem aber mit Beteiligung aller Bürger_innen den Status der Klimaneutralität erreicht haben. Viele der Maßnahmen reichen unmittelbar in das Alltagsleben der Menschen hinein: Erneuerbare Energiequellen schreiben sich, wie am Beispiel der Windkraft zu beobachten, in die Landschaft ein und regen neue, aber auch altbekannte Auseinandersetzungen mit Natur-, Heimat- und Ästhetikverständnissen an. Unter dem Schlagwort „Suffizienz“ werden Fragen von Lebensstil und Besitz neuen Aushandlungen unterzogen. Eine intensive Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit soll zur Setzung neuer Normativitäten hinsichtlich klimasensiblen Handelns beitragen.

Diese und andere kulturelle Prozesse bilden den Rahmen von vier ethnografischen Filmen. Diese im Zuge des Lehrforschungsprojekts Curriculum Visuelle Anthropologie (CVA) am Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Georg-August-Universität Göttingen umgesetzt. Die ethnografisch-filmische Perspektive zeigt dabei anschaulich, welche sozialen Prozesse, welche Politiken, Initiativen und Kontroversen die Veränderungen des Klimas und mit ihnen die gesellschaftlichen Diskurse zeitigen.

Das KlimaWandelKino trägt die Filme an die Orte zurück, an denen sie entstanden sind. Die Idee dahinter: einen Austausch zwischen filmischer Repräsentation, den Filmemacher_innen und den Orten und Menschen, von denen die Filme erzählen, zu befördern. Durch zusätzliche Veranstaltungsangebote weiterer Institutionen oder Initiativen, die ebenfalls in das Themenfeld involviert sind und durch die die Inhalte der Filme aufgegriffen bzw. erweitert werden, eröffnet das Wanderkino eine kulturanthropologische, multiperspektivische und engagierte Auseinandersetzung mit einem globalen Problemfeld in lokaler Perspektive. Flyer zum download

Alle aktuellen Infos zum KlimaWandelKino unter www.klimawandelkino.wordpress.com

Neue Perspektiven auf Migration in Göttingen


Stadt ist Migration – diese Einsicht der Stadtforschung gilt auch für Göttingen, wie die letzten 400 Jahre Göttinger Stadtgeschichte zeigen. Ohne gezielte und aktive Zuzugspolitik der Stadt etwa im 17. Jahrhundert und ohne die verschiedenen Migrationsbewegungen wäre Göttingen heute noch das Dorf, das es ehemals war. Heute haben ca. 18,5 % der Göttinger Stadtbevölkerung einen Migrationshintergrund; sie kommen aus 172 verschiedenen Ländern – und hierbei sind die temporären ausländischen Studierenden oder Menschen ohne Papiere gar nicht mitgezählt. Göttingen stellt somit einen guten bundesdeutschen Durchschnitt in Sachen Einwanderungsrealität dar. Doch in den offiziellen Darstellungen der Stadt findet diese Realität kaum Beachtung. Vielmehr wird sie von zahlreichen Akteur_innen der Stadtpolitik dethematisiert, ganz nach dem Motto: „Migration? Das höre ich zum ersten Mal!“ Auch ist das Stadtbild stark durch die idyllische Innenstadt, die Universität und eine sehr präsente Mittel- und Oberschicht geprägt; ganze Stadtviertel und Lebenswelten, die ungleich migrantischer sind, fallen hierbei aus dem Blick. Wie kann dies passieren? Movements of Migration hat sich zum Ziel gesetzt, diese verunsichtbarten Realitäten und verdrängten Geschichten der Migration aufzusuchen, ihre leid- wie freudvollen Wege von Aufbruch und Ankommen sowie vom Ringen um Anerkennung und Teilhabe zu rekonstruieren und sie in der Stadtöffentlichkeit sichtbar zu machen. Dabei interessierte uns sowohl in der Forschung als auch in der künstlerischen Umsetzung zur Ausstellung nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart der Migration und die stadtpolitischen Versuche, sie zu steuern und zu regulieren.

Die Ausstellung

Die Ausstellung, welche in Kooperation zwischen der Universität Göttingen, dem Kunstverein und dem Integrationsrat realisiert wurde, basiert auf einem einjährigen Forschungs- und künstlerischen Umsetzungsprozess. Sie verlässt die klassischen Ausstellungsräume und verbindet in einem Ausstellungsparcours den Kunstverein im Künstlerhaus mit weiteren Stationen im Stadtraum. Das Rückgrat der Ausstellung bildet ein digitales Wissensarchiv, welches alle ausgestellten Arbeiten sowie alle verwendeten und recherchierten Materialien enthält und auch via QR-Codes von außerhalb besucht werden kann.

Das Wissensarchiv

Das digitale Wissensarchiv bildet den zentralen Erinnerungsort der Ausstellung, der alle erforschten Materialien (Texte, Dokumente, O-Töne, Bilder, Sound) und Umsetzungen enthält. Es will sie in einem nicht-hierarchisierenden Modus für die weitere Nutzung, Recherche und Ergänzung zugänglich machen. Das digitale Wissensarchiv soll vor allem signalisieren, dass das Lernforschungsprojekt nur als Anfang eines Aufarbeitungsprozesses der Migrations-Geschichten in Göttingen verstanden werden kann, ein Prozess, der auf die Perspektiven und das Mittun der Migration selbst angewiesen ist. Insofern versteht sich das Archiv auch als erinnerungspolitische Aufforderung, endlich die Geschichte der Migration als bedeutsamen Teil der Göttinger Stadtgeschichte zu recherchieren.

Zusammenarbeit mit Kunst

Die Forschungsergebnisse wurden in enger Zusammenarbeit mit sieben bildenden Künstler_innen in installative Repräsentationen überführt. Diese enge Kollaboration folgte nicht nur der Einsicht, dass künstlerische Darstellungsweisen informative und zugleich ansprechende Repräsentationen hervorbringen, die in der Lage sind, Komplexität zuzulassen und sie dennoch darstellbar zu machen. Vielmehr ergänzten sich die Praktiken des akademischen und des künstlerischen Forschens und Analysierens auf eine äußert erkenntnisfördernde Weise. Die Zusammenarbeit half zudem, die akademische Wissensproduktion selbst zu befragen und zu reflektieren. Einen repräsentatorischen Mehrwert stellt die Kooperation mit bildenden Künstler_innen auch für diejenigen Studierenden dar, die als Teilnehmer_innen des Curriculums Visuelle Anthropologie ihre Forschungen in ein filmisches Format überführt haben. Die Installationen, die in ein unmittelbares Zusammenspiel mit den filmischen Repräsentationen treten, rücken vor allem die sonst oft vernachlässigten räumlichen und materiellen Eigenschaften des Mediums in den Vordergrund. Da die Filme ebenfalls in das digitale Wissensarchiv eingespeist sind, eröffnet Movements of Migration zudem neue Chancen für Formen nicht linearen Erzählens im Prozess filmischer Vermittlung. Die Kooperation mit Kunst macht auf diese Weise einen Modus des Erzählens und Darstellens möglich, der vielschichtiger, analytischer und polyfoner ist, als es klassische museale Ausstellungskonzeptionen und filmische Arbeiten vorsehen. Insofern ist der Ausstellungsparcours als kollektives und dialogisches Ergebnis aus Forschung, Kunst und Aktivismus zu verstehen.

Homepage: www.movements-of-migration.org
Filme: www.movements-of-migration.org/cms/wissensarchiv

Die CVA-Abschlussfilme des Jahrgangs 2009/2011 sind thematisch dem ‚Samstag‘ gewidmet. Was ist das Spezifische dieses Wochentages, der als Brücke zwischen den Werktagen und dem Sonntag angesehen werden kann? Und wie lassen sich die Besonderheiten eines Wochentages, seines zeitlichen Rhythmus und das mit ihm verknüpfte Tagesgefühl filmisch vermitteln? Als mögliche Antworten darauf sind zwei ethnografische Kurzfilme entstanden.

Pferd – Kultur – Niedersachsen


Die ethnografischen Kurzfilme der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Studienschwerpunktes Curriculum Visuelle Anthropologie (CVA) des Jahrganges 2009/2011 wurden in enger Kooperation mit Studentinnen und Dozentinnen eines parallel ebenfalls am Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Georg-August Universität angebotenen Lehrforschungsprojekt erarbeitet: „Pferd – Kultur – Niedersachsen“, so der Titel des von Regina Bendix und Michaela Fenske initiierten und durchgeführten 2-semestrigen Projekts, das nach der kulturellen Verankerung des Themas Pferd im Land Niedersachsen fragt. Die Ergebnisse der thematischen Auseinandersetzung umfassen eine Sonderausgabe der Zeitschrift kulturen sowie eine Postersausstellung, die unter anderem in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (SUB), Göttingen, und im Deutschen Pferdemuseum Verden zu sehen war. Die beiden entstandenen Filme wurden als Teil dieser Ausstellung geplant.

Mit einem Klick auf folgenden Button finden Sie außerdem eine Dokumentation zur Entstehung der beiden Übungsfilme, die in Kooperation mit dem Lehrforschungsprojekt „Pferd – Kultur – Niedersachsen“ entstanden sind: Mensch-Pferd [PDF]



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